Vom Leben und Leiden eines Drehbuchautors

Vom Leben und Leiden eines Drehbuchautors
Drehbuchautor Alex Buresch hat alle wichtigen Fernsehpreise in Deutschland erhalten. Für "Das wahre Leben" erhielt er den Grimme-Preis und für "Rose" den Deutschen Fernsehpreis. Der Fernsehfilm "Polizeiruf 110: Rosis Baby" wurde 2009 mit dem Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche, ausgezeichnet. Im Interview mit evangelisch.de verrät Buresch die Tricks eines Autors und ärgert sich über die Filmbranche.
17.10.2009
Von Henrik Schmitz

evangelisch.de: Es heißt, man könne aus einem guten Drehbuch einen schlechten Film machen, aber aus einem schlechten Drehbuch keinen guten Film. Dennoch stehen Drehbuchautoren selten im Mittelpunkt, zu Stars werden nur Schauspieler und Regisseure. Fehlt Ihnen die Anerkennung?

Alex Buresch: Am Anfang hat das schon ein wenig am Ego gekratzt, nicht so im Mittelpunkt zu stehen. Es ist auch manchmal merkwürdig, wenn ich Porträts über Schauspieler oder Regisseure lese und es klingt so, als seien diesen die Geschichten und Dialoge eingefallen. Inzwischen finde ich es aber ganz angenehm, dass ich sozusagen in der Deckung arbeite. Im Dezember kommt der Film "Lila, lila" ins Kino. Das Drehbuch war bereits vor 1,5 Jahren fertig. Alain Gsponer, der Regie geführt hat, und ich sind schon längst mitten in weiteren Projekten. Dennoch muss er jetzt für den Film auf Werbetour gehen, da möchte ich wirklich nicht mir ihm tauschen. Es gibt aber nach wie vor Dinge im Umgang mit uns Autoren, die ich skandalös finde. Zum Beispiel dass der Autor bei einer Nominierung zum "Besten Film" nicht zur Preisverleihung eingeladen wird. Das geht einfach nicht. Wir Autoren generieren Arbeitsplätze, letztlich schaffen wir buchstäblich aus dem Nichts die Grundlage für Millionen-Umsätze. Wenn man uns schon nicht angemessen dafür entlohnt, dann sollte man uns wenigstens ein bisschen mehr Respekt entgegenbringen...

evangelisch.de: Drehbuchautor ist nicht unbedingt ein klassischer Beruf. Wie sind Sie zum Drehbuchschreiben gekommen?

Buresch: Ehrlich gesagt ist das einfach so passiert. Ich hatte eigentlich nie den konkreten Plan, Drehbuchautor zu werden und habe auch nicht schon als Schüler Drehbücher oder Theaterstücke geschrieben. Eigentlich hasse ich schreiben. Aber ich bin in einer schwäbischen Kleinstadt groß geworden. Meine Mitschüler haben Banklehren gemacht oder Jura und Medizin studiert. Mir war klar, dass das nichts für mich ist. In meinem Abschlussjahr hat dann in Aalen ein Stadttheater aufgemacht, da habe ich dann erstmal ein Praktikum gemacht.

evangelisch.de: Und da wurde dann die Leidenschaft geweckt sozusagen?

Buresch: Die emotionale Kraft, die vom Geschichten erzählen ausgeht, fand ich spannend. Wenn ein Film toll ist, dann presst er den Zuschauer regelrecht in den Sessel und das hat mich tatsächlich fasziniert. Im Theater kann man sehr gut sehen, wie in der Arbeit mit Schauspielern Emotion hergestellt wird. Am Theater lernt man auch, wie man durch eine Geschichte führt. Ich kann es eigentlich nur jedem Drehbuchautor empfehlen, ans Theater zu gehen. Ich habe da vielleicht mehr gelernt, als an der Filmakademie in Ludwigsburg, wo ich dann studiert habe.

evangelisch.de: War die Ausbildung in Ludwigsburg ihrer Ansicht nach ungenügend?

Buresch: Ich glaube, man kann Drehbuschreiben nur lernen, indem man es tut. Das kam für mich persönlich an der Akademie ein wenig zu kurz, aber ich gestehe, das hatte wahrscheinlich auch etwas mit meiner eigenen Verweigerungshaltung an der Schule zutun. Aber unabhängig davon: Der deutsche Film- und Fernsehmarkt ist sehr überschaubar. Wenn ich dann daran denke, dass allein die Akademie Ludwigsburg pro Jahr sechs Regisseure und fünf bis zehn Drehbuchautoren ausspuckt, frage ich mich schon, wo die überall arbeiten sollen

evangelisch.de: Halten Sie die Ausbildung der Drehbuchautoren für weniger professionell als in anderen Ländern?

Buresch: Ich weiß nicht, wie die Ausbildung im Ausland aussieht. In Deutschland hat sich da in den letzten Jahren viel getan. Was die Tradition des Erzählens angeht, liegt Deutschland aber hinter Ländern wie zum Beispiel Frankreich oder Großbritannien zurück. Dort gibt es im Theater zum Beispiel die so genannten Well-made-plays. Das sind letztlich Boulevardtheaterstücke, die aber einfach gut gebaut sind und einen guten Plot haben. Auf solche Sachen guckt man in Deutschland eher abwertend. Wir sind hier geprägt von einem mehr bildungsbürgerlichen Blick auf Geschichten – "Das Theater als moralische Anstalt."

Teamarbeit

 

evangelisch.de: Sie arbeiten offenbar gern im Team und haben mehrere Projekte mit dem Regisseur Alain Gsponer verwirklicht. Wie ist diese Zusammenarbeit entstanden?

Buresch: Ich arbeite wirklich sehr gerne im Team. Eigentlich schlechte Vorraussetzungen für einen Autor, wo man doch das Bild hat, ein Autor ist ein Mensch alleine am Schreibtisch. Aber zwei Hirne denken mehr als eines, und ein Film soll ja vielen Menschen gefallen. Da hilft die Arbeit im Team, denn dann gefällt es mindestens schon mal zwei Menschen. Alain Gsponer habe ich an der Filmakademie kennengelernt. Als Regiestudent musste er jedes Jahr einen Film machen. Unsere Zusammenarbeit hat mit einem Projekt begonnen, das ich abgebrochen habe, weil ich mit dem Stoff einfach nicht klarkam. Wir haben uns dann aber noch mal zusammengerauft für Alains Abschlussfilm "Kiki und Tiger". Der Film hat zu unserem Glück eine hohe Aufmerksamkeit bei Fernsehredaktionen und Produzenten erregt, so dass sich daraus weitere gemeinsame Projekte ergeben haben.

evangelisch.de: Was war das für ein Projekt, das Sie abgebrochen haben?

Buresch: Ich weiß es gar nicht mehr so genau. Ich hatte zu dem Zeitpunkt an der Akademie drei Projekte gleichzeitig am Hals und dann bekam ich eine Schreibblockade, bis ich irgendwann alle drei Projekte aufgegeben habe. Alain und ich hatten dann noch die Idee für einen Film, der in Ascona spielen sollte, mit viel Schlagermusik und so, aber das haute mit dem Budget überhaupt nicht hin. Sechs Wochen bevor Alain mit den Dreharbeiten beginnen musste haben wir dann entschieden, "Kiki und Tiger" zu machen. Das wurde sogar ohne Drehbuch gedreht, es gab nur ein so genanntes Treatment, wo nur der Ablauf und die einzelnen Szenen skizziert waren. Letztlich war die ganze Entwicklung ein Glücksfall für uns.

evangelisch.de: Sie haben auch mehrfach mit dem Drehbuchautoren Mathias Pacht zusammengearbeitet. Wie gestaltet sich so eine Zusammenarbeit. Sitzen sie nebeneinander am Schreibtisch und rufen sich ihre Ideen zu?

Buresch: Am Anfang haben wir tatsächlich versucht, nebeneinander zu sitzen und zu schreiben, aber das ging nur bedingt gut. Schreiben besteht sowieso zu mehr als 50 Prozent aus Reden, der eigentliche Schreibanteil ist relativ gering. Deshalb hilft es, wenn man zu zweit arbeitet, dass man sehr lange spricht über die Dinge, die man macht, dass man Vorformen eines Drehbuchs findet, den Ablauf einer Geschichte, ein Gerüst. Und dann teilt man auf: der eine schreibt die eine Hälfte, der andere schreibt die andere Hälfte. Dann schickt man es sich zu und überarbeitet es gegenseitig. Dann spricht man wieder drüber, teilt wieder auf, diesmal verteilt man andersrum, undsoweiter. Am Ende weiß man dann gar nicht mehr genau, was ursprünglich von wem stammt.

evangelisch.de: Wie entstehen Ihre Geschichten? Wie entwickeln Sie Ideen und machen daraus ein Drehbuch?

Buresch: Das ist unterschiedlich. Manchmal hat eine Redaktion eine Anregung und man entwickelt eine Idee dazu, wie etwa bei "Rosis Baby" oder es gibt einen Roman, den man adaptiert, wie jetzt für "Lila, lila". Manchmal stolpere ich über einen Zeitungsartikel, der mich zu einer Geschichte anregt. Bei "Rose" war es wiederum so, dass es ein reales Vorbild gibt: eine Frau mit drei Söhnen, die ich kenne. Ich dachte, da ist etwas drin, das interessiert mich, da will ich einen Film draus machen. Und dann fängt das Elend an.

evangelisch.de: Und wie wird aus der Idee ein Film?

Buresch: Da gehört viel Handwerk zu, Sitzfleisch und Leidensfähigkeit. Das Grundgerüst einer Geschichte ist aber letztlich einfach. Es gibt eine Figur, einen Helden und der Held hat ein Ziel. Die Geschichte handelt davon, ob er das Ziel erreicht oder nicht und vor allem davon wie er das anstellt. Die Zutaten dafür muss man dann finden. Und dafür braucht es eben: Handwerk, Sitzfleisch, Leidensfähigkeit.

Kino vs. Fernsehen

 

evangelisch.de: Was ist der Unterschied zwischen einem Drehbuch für einen Fernsehfilm und einem Drehbuch für einen Kinofilm?

Buresch: Es gibt den Witz: "Warum ist das Fernsehen so dialoglastig? Weil die Hausfrauen nebenher bügeln können müssen." Da ist etwas Wahres dran. Kino ist sehr viel visueller. Ich habe neulich "The Virgin Suicides" von Sophia Coppola auf DVD gesehen und nebenher im Internet gesurft. Von dem Film habe ich dadurch nichts mitbekommen, die Dialoge des Films passen auf vielleicht zehn Seiten. Ein großer Unterschied ist auch, dass im Fernsehen sehr schnell klar sein muss, worum es in der Geschichte geht. Der erste Akt, in der die Hauptfigur vorgestellt wird, die Welt in der er lebt und das Ziel, das er hat, soll höchstens 15 bis 20 Minuten dauern. In einem Kinofilm wie zum Beispiel "Good Bye Lenin" dauert der erste Akt allein 45 Minuten, bis die eigentliche Geschichte losgeht. Im Kino hat man dafür Zeit, der Zuschauer hat seine sieben Euro bezahlt und wird bis zum Schluss in seinem Sessel sitzen. Im Fernsehen haben sie die Zeit nicht, weil der Zuchauer schnell wissen will, ob es sich lohnt dranzubleiben.

evangelisch.de: Gibt es auch einen Unterschied bei der Auswahl der Stoffe?

Im Fernsehen müssen sie die Leute dazu bringen, nicht abzuschalten. Im Kino müssen sie die Leute erstmal dazu bringen, überhaupt ins Kino zu gehen. Die Frage ist daher: Mit welchem Stoff schaffen sie es, Menschen ins Kino zu kriegen? In anderen Ländern stellt sich diese Frage so nicht unbedingt. In den USA haben sie einen Film über einen schlecht gelaunten Rentner als Hauptfigur und dieser Rentner wird gespielt von Clint Eastwood. Das ist dann ein Kinofilm. In Deutschland wäre so ein Soff wahrscheinlich nur ein Fernsehfilm. Wer geht schon ins Kino, um sich einen Film über einen schlecht gelaunten Rentner anzuschauen? Mit vielen Geschichten, die sie im Fernsehen machen können, hätten sie keine Chance, die Leute ins Kino zu bekommen, weil sie in der Masse der Angebote dann gar nicht durchkommen.

evangelisch.de: Fehlen in Deutschland vielleicht einfach nur die großen Stars?

Buresch; Nein, es gibt genug. Aber es ist schwieriger in Deutschland, einen Film nur über den Star zu vermarkten. Es gibt immer so Listen, die um Umlauf sind, welcher Star aktuell angeblich die Leute ins Kino zieht…

evangelisch.de: Haben Sie diese Liste?

Buresch: Nein, ich habe sie nicht und ich will sie gar nicht haben. Diese Liste benutzt man am besten um sich ein schönes Feuer anzuzünden.

evangelisch.de: Für den Film Fernsehfilm "Polizeiruf 110: Rosis Baby" haben Sie den Geisendörfer-Preis, den Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland, erhalten. Der Film handelt von einer Frau mit Trisomie 21, dem so genannten Down-Syndrom, die ein Kind erwartet. Wie haben Sie für diesen Film recherchiert? Wer stand Ihnen als Ratgeber zur Seite?

Buresch: In dem Fall war es mein Mitautor Mathias Pracht, der einen Bruder mit Trisomie 21 hat. Aber wir haben für den Film gar nicht soviel Recherche betrieben. Natürlich weiß Mathias viel über Trisomie 21, aber immer wenn ich ihn gefragt habe, was unsere Heldin kann und was nicht , hat er gesagt: "Die kann alles, wie jeder Mensch. Nur die Sätze dürfen nicht so kompliziert sein." Dafür, wie die Figur, also Rosi, geformt ist, war nicht viel Recherche nötig. Was die Schwangerschaft von Behinderten angeht, welche Rechte sie haben und wie Ärzte mit dem Thema Abtreibung umgehen, waren wenige Telefonate zur Recherche nötig.

evangelisch.de: In dem Film geht es auch um Sex mit und unter Behinderten. Eine echte Sexszene gibt es aber nicht. Ist das auch im Film noch ein Tabu?

Buresch: Ja, aber ich finde das richtig. Ich mag auch keine Sexszenen von nicht-behinderten in Filmen, weil es tendenziell indiskret finde. In "Rosis Baby" haben wir aber wie ich finde einen guten Weg gefunden. Es gibt zwar keine Sexszene aber durchaus eine Liebesszene zwischen Rosi und ihrem ebenfalls behinderten Freund. Die Szene touchiert eine Grenze. Sie sagt dem Zuschauer ganz deutlich: Auch behinderte Menschen wollen Sex und haben Sex. Zugleich ist die Szene aber nicht voyeuristisch. Das haben der Regisseur Andreas Kleinert und die Darsteller wunderbar gelöst. Übrigens haben wir bei diesem Thema nie Gegenwind von der Redaktion oder vom Sender bekommen. Es war immer klar, dass Sexualität ein Teil von Rosi ist.

evangelisch.de: Gab es eine Botschaft, die Sie mit dem Film rüberbringen wollten?

Buresch: Es gibt diesen Satz: "Wenn Du eine Botschaft hast, mach keinen Film, sondern schick ein Telegramm." Dem schließe ich mich an.

evangelisch.de: Hat "Rosis Baby" keine Botschaft?

Buresch: Die Botschaft von Rosis Baby könnte sein, dass Rosi ein Mensch ist wie jeder andere auch. Rosi hat einen ganz starken Wunsch, nämlich ihr Kind zu kriegen. Um ihr Ziel zu erreichen, lügt sie auch, sie hat also nicht nur positive sondern – wie jeder Mensch – auch negative Seiten.

Gesellschaftliche Debatten

 

evangelisch.de: Glauben Sie also nicht, dass es Aufgabe des Films ist, auch gesellschaftliche Debatten anzuregen? Oder zumindest Stellung zu beziehen in bestimmen Debatten?

Buresch: Es ist toll, wenn ein Film eine Debatte anregt. Die Debatte zu führen ist aber eher der Job der Journalisten und des Publikums, das haben wir Filmemacher nicht mehr in der Hand. Wir können nur Angebote machen.

evangelisch.de: Ein Polizeiruf hat etwa sechs Millionen Zuschauer. Wenn Sie einen Film für ein so großes Publikum machen, fühlen Sie auch so etwas wie Verantwortung?

Buresch: Man hat grundsätzlich eine Verantwortung, auch wenn man eine Geschichte für ein überschaubares Publikum erzählt. Die erste und die wichtigste Verantwortung ist es stets, das Publikum zu unterhalten und es ernst zu nehmen. Und man hat eine Verantwortung seinen Figuren gegenüber, die man nicht verraten darf.

evangelisch.de: Wie hätten sie Rosi verraten?

Buresch: Wir haben eine zeitlang überlegt, ob nicht doch Rosi die Täterin sein sollte, die ihre Mutter umgebracht hat. Aber dann wären wir unsrer Verantwortung nicht gerecht geworden. Wir wollten in dem Film beim Zuschauer Empathie für Rosi aufbauen. Das war wichtig für den Film, weil man einem behinderten Mädchen darin sehr nahe kommt. Dies auf den letzten Metern des Films umzudrehen und dem Zuschauer zu sagen, das Mädchen, mit dem du mitgefiebert hat, ist eine Mörderin, kam uns zynisch vor. In einer Rezension zu "Rosis Baby" hieß es auch, die Drehbuchautoren hätten es sich selbst und dem Zuschauer nicht leicht gemacht. Das ist auch wichtig, dass man es sich nicht leicht macht. Das wäre auch Verrat am Zuschauer.

evangelisch.de: Im Fi m "Wie ist die Welt so stille", ebenfalls ein Polizeiruf, gibt es eine sehr drastische Szene. Eine Tochter findet ihre Familie, die mit einem Baseballschläger ermordet wurde. Haben sie Skrupel, wenn sie solche Szenen schreiben?

Buresch: In dem Film geht es darum, dass ein Kommissar an die Grenzen dessen gerät, was er ertragen kann. Wenn das der Kern der Geschichte ist, muss man auch zeigen, worum es geht. Man muss ein Mittel finden, dass zu zeigen. Ich glaube es tut einem Film auch gut, wenn er eine Grenze sucht. Die Grenze dessen, was zumutbar ist, muss man schon ausloten.

evangelisch.de: In ihren Filmen tauchen bestimmte Motive mehrfach auf. In "Rose" etwa kümmert sich ein Vater erstmals nach Jahren wieder ungefragt um seine Familie. In „ Das wahre Leben" ist es zwar ein anderes Milieu, aber auch hier bringt ein Vater Familienstrukturen durcheinander, weil er sich erstmals wieder für seine Familie interessiert. Warum liegt ihnen dieses Motiv so am Herzen? Ist das eine Art Lebensthema?

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Ich hoffe nicht, dass es zu einem Lebensthema wird. Aber ich glaube, dass die Abwesenheit der Väter ein gesellschaftliches Thema ist. Jedenfalls war es das in meiner Jugend: Der Mann arbeitet und bringt die Kohle heim, die Frau kümmert sich um die Kinder. Aber das habe ich mit zwei Filme jetzt auch abgehandelt und alles dazu gesagt, was ich zu sagen hätte. Abgesehen davon dreht sich die Entwicklung aktuell ohnehin eher um. In meinem Bekanntenkreis jedenfalls nehmen immer mehr Väter Erziehungsurlaub.

Werte

 

evangelisch.de: Spielen für Sie christliche Werte eine Rolle?

Ich bin nicht getauft, aber ich bin natürlich christlich erzogen worden und habe in der Schule den evangelischen Religionsunterricht besucht. Eine Freundin sagt immer, meine Drehbücher seien "durchtränkt von Humanismus". Mit dem Schlagwort konnte ich mich ganz gut anfreunden.

evangelisch.de: Denken Sie beim Drehbuchschreiben schon an die Schauspieler, die die Rollen spielen sollen? Stipe Erceg hat in "Kiki und Tiger" und "Such mich nicht" mitgespielt. Volker Bruch in "Rose und das wahre Leben". Edgar Selge und Michaela May naturgemäß in den beiden Polizeiruf –Folgen.

Buresch: Wenn ich für ein Format wie den Polizeiruf schreibe, in dem die Schaupsieler schon feststehen und die Figuren schon da sind, fällt es mir leicht, die Dialoge zu schreiben. Bei "Lila, lila" wusste ich auch vorab, dass Daniel Brühl die Hauptrolle spielen würde und so konnte ich ihm das Drehbuch sozusagen auf den Leib schreiben. Für gewöhnlich stehen die Schauspieler aber nicht vorab fest. Sobald klar ist, wer eine Figur spielt, die ich erfunden habe, schaue ich mir aber schon nach Möglichkeit die Casting-Aufnahmen an, um ein Gefühl dafür zu kriegen, wie die Schauspieler mit den Texten umgehen. Man merkt dann vielleicht auch, dass bestimmte Dialoge schlecht sind oder dass ein Schauspieler noch etwas mitbringt für eine Figur, an das man nicht gedacht hat und dann versucht man es noch reinzubringen in die endgültige Drehbuchfassung.

Der Fall Heinze

 

evangelissch.de: Zuletzt hat der Fall Heinze für Aufregung gesorgt. Der Drehbuchautor Jobst Oetzmann hat in diesem Zusammenhang gesagt, die Macht über Karrieren und Schicksale freier Autoren und Regisseure liege in Deutschland in der Hand von nur rund zwanzig Personen. Fühlen Sie sich auch abhängig?

Buresch: Natürlich bin ich auch abhängig, aber ich verstehe das Wehklagen nicht. Redakteure bei den Fernsehsendern sind wie Intendanten an Theatern, die übrigens in noch viel stärkerem Maße über die Karriere von Schauspielern oder Regisseuren bestimmen, ohne dass sich jemand Gedanken darüber macht. Aber irgendjemand muss ja entscheiden, welcher Film von wem gemacht wird. Es gibt ja kein einklagbares Recht für jeden, einen Fernsehfilm machen zu können. Schwierig wird es natürlich dann, wenn Abhängigkeiten ausgenutzt werden,.Aber mir ist das bislang nicht begegnet. Ich habe das Glück gehabt bisher immer mit sehr ernsthaften und angenehmen Redakteuren zusammen zu arbeiten.

evangelisch.de: Was halten Sie von der Idee Fred Breinersdorfers, eine Art "Appellations-Instanz" einzuführen, um abgelehnte Stoffe den Redaktionen noch mal vorlegen zu können?

Buresch: Davon halte ich nicht viel. Überhaupt: wenn die Sender irgendwas im Überfluss haben, dann sind es doch Gremien. Ich fände es verheerend, wenn jetzt zur Kontrolle der Redakteure diese Gremien noch stärkeren Einfluss gewinnen würden. Dann ginge es vollends nur noch um Sender-Politik. Sinnvoller erscheint mir da die Anregung – ebenfalls von Breinersdorfer – mehr Augenmerk auf die Ausbildung und Praxisnähe der Redakteure zu legen.

evangelisch.de: Bestimmen Sie die Inhalte ihrer Drehbücher selbst oder werden Sie auch von Redakteuren fremdbestimmt?

Buresch; Filmemachen ist Teamwork in allen Bereichen, das fängt schon an bei der Auswahl des Stoffes an. Wenn ich eine Idee habe, dann denke ich nicht im stillen Kämmerchen darüber nach, sondern ich rede mit Alain Gsponer oder Matthias Pacht darüber oder biete die Idee einem Produzenten oder einem Redakteur an. Wenn ein Redakteur das dann ablehnt, weil er mit dem Stoff nichts anfangen kann finde ich das legitim. Umgekehrt lehne ich auch Stoffe ab, die mir von Redaktionen angeboten werden, wenn ich nichts darin finde, was mich packt.

evangelisch.de: Ihre Filme fallen alle unter die Kategorie "anspruchsvolles Fernsehen". Es scheint allerdings, dass die Sendeplätze dafür knapp werden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Buresch: Es gibt den Montagabend im ZDF und den Mittwochabend in der ARD. Da wäre im Jahr Platz für etwa 60 anspruchsvolle Filme, das reicht eigentlich. Das Problem ist, dass der "Degeto-Bereich" immer mehr nach diesen Sendeplätzen greift. Woran das liegt, weiß ich nicht, ich bin ja nicht in den Sendern. Allerdings muss man zugeben, dass "Degeto-Stoffe" viele Zuschauer finden und es nicht den Anschein macht, dass diese Zuschauer unbedingt nach "Qualitätsfilmen" gieren.

evangelisch.de: Vielleicht würden es mehr Leute gucken, wenn es mehr davon gäbe?

Buresch: Vielleicht. Das "Qualitätsfernsehen" in Deutschland ist ja auch ein Ersatz für eine bestimmte Art von Kinofilmen, die es in Deutschland nicht gibt, weil der Markt nicht so groß ist. Ich wünsche mir auch nicht, dass die Sendeplätze für anspruchsvolles Fernsehen weggeschwemmt werden von diesem Degeto-Kram. Denn dann müsste ich mir einen anderen Job suchen. Man muss diese Sendeplätze unbedingt beschützen.

evangelisch.de: Helfen Preise wie der Grimme-Preis oder der Geisendörfer Preis einem Drehbuchautor dabei, seinen Anspruch von Qualität durchzusetzen?

Buresch: Filmemachen hat auch mit Vertrauen zu tun. Ein Sender oder die Filmförderungen vertrauen uns ein Budget an, und sie ewarten dass sie dafür einen guten, möglichst erfolgreichen Film kriegen. Diese Preise helfen natürlich, dieses Vertrauen aufrecht zu erhalten. Keine Frage.

Schlechte Bezahlung

 

evangelisch.de: Wir haben zu Beginn des Interviews über so etwas wie die ideelle Anerkennung der Drehbuchautoren geredet. Wie sieht es mit der finanziellen aus? Es gibt im Fernsehbereich immer mehr Staffelverträgen bei denen die Autoren nur dann das volle Honorar bekommen, wenn der Film auch tatsächlich gedreht wird.

Buresch: Staffelverträge bedeuten, dass der Autor mit ins unternehmerische Risiko geht. Das wäre legitim, wenn die Bezahlung insgesamt besser wäre. Aber weil die Bezahlung unterm Strich nicht besonders gut ist und ich mich als Autor nicht darauf verlassen kann, dass meine Stoffe tatsächlich das volle Honorar bringen, bin ich gezwungen, immer mehrere Projekte gleichzeitig zu machen. Ich glaube aber, dass die Filme in Deutschland besser wären, wenn die Autoren sich zu 100 Prozent auf ein Projekt konzentrieren könnten.

evangelisch.de: Ihr neuer Film "Lila, Lila" ist eine Adaption eines Romans. Was macht mehr Spaß, eigene Geschichten schreiben oder die Geschichten anderer in eine dramatische Form zu bringen?

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Buresch: Mehr Spaß macht es, eine eigene Geschichte zu entwickeln. Der größte Moment beim Schreiben ist immer, wenn einem ein Dialogsatz oder eine Handlung der Figur einfällt, die einen selber überrascht. Man sucht nach einer Lösung in einer Szene und plötzlich hat man sie, weil man um die Ecke denkt. Die Geschichte oder die Figur entwickelt sich dann in eine Richtung, die man selber nie erwartet hätte. Das sind dann Momente, wo man das Gefühl eines Durchbruchs hat. Auch für sich selbst. Da hat man dann was gelernt. Bei einer Adaption passiert das natürlich nicht in der Form, weil man den Weg schon kennt. Das ist eher eine handwerkliche Arbeit. Was daran Spaß macht ist, das ein gewisser Druck weg ist und man nicht im Trüben fischt. Man weiß wo die Reise hingeht.

evangelisch.de: Haben Sie sich mit Martin Suter, dem Autor von "Lila, lila" ausgetauscht?

Buresch: Ich habe ihn gemeinsam mit Alain Gsponer und Daniel Brühl auf Ibiza besucht und er hat uns ermutigt, seinen Roman "mit der gebotenen Härte" zu bearbeiten. Während der Arbeit an dem Drehbuch habe ich ihm immer wieder die neuesten Versionen geschickt und er hat das wohlwollend begleitet. Ich glaube, der Film gefällt ihm.

evangelisch.de: An welchen Geschichten arbeiten Sie derzeit noch?

Buresch: Ich arbeite noch einer weiteren Suter-Adaption, einen Fernsehfilm des Romans "Der letzte Weynfeldt. Und dann arbeite ich zusammen mit Matthias Pacht noch an zwei Projekten, zu denen ich nicht viel sagen will. Das eine ist wieder ein Polizeiruf, das andere Projekt stand ursprünglich mal unter der Überschrift "Sex im Alter", das trifft’s aber nicht mehr so richtig. Denn wie das mit den eigenen Geschichten so ist – sie entwickeln meistens ihre eigene Dynamik.
 


Alexander Buresch, geboren 1973, lebt in Stuttgart. 1994 bis 1997 studierte er Schauspieldramaturgie an der bayerischen Theaterakademie in München, 1997 bis 2003 folgte ein Drehbuchstudium an der Filmakademie Baden-Württemberg

Filmographie (Auswahl):

2005: "Rose" (Buch), Regie: Alain Gsponer, 2007 als "Bester Film" mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. 

2006: "Das wahre Leben“ (Buch, Co-Autor: Matthias Pacht), Grimme Preis 2009

2006: "Am Ende kommen Touristen" (Dramaturgische Beratung; Buch&Regie: Robert Thalheim) 

2007: Polizeiruf 110 "Wie ist die Welt so stille“"(Buch, Co-Autor: Alain Gsponer) 

2007: Polizeiruf 110 "Rosis Baby" (Buch, Co-Autor: Matthias Pacht), Robert Geisendörfer Preis 2009

2009: "Lila, Lila" (Buch, nach dem Roman von Martin Suter), Regie: Alain Gsponer