Filmkritik der Woche: "American Hustle"

Foto: dpa/Francois Duhamel
Filmkritik der Woche: "American Hustle"
Der doppelte Boden der wilden Siebziger: In "American Hustle", seinem dritten Film über das Neuerfinden gebeutelter Existenzen, konstruiert David O. Russell mit erlesener Besetzung ein schillernd doppelbödiges Betrugsspiel.
12.02.2014
epd
Anke Sterneborg

Kaum zu glauben: Das soll der Mann sein, der den perfektionistischen Dark Knight spielte? Den ausgemergelten Kriegsgefangenen Dieter Dengler in Rescue Dawn? Den ausgezehrten Maschinisten Trevor Reznik? Jetzt also Irving Rosenfeld, Besitzer einer Kette von Reinigungen in New York, ein feister Typ mit speckig geröteter Haut und lautem Auftreten, mit einer dicken Wampe, über der sich die Knöpfe seiner hässlich gestreiften Hemden mit großen Krägen spannen. Gewiss kein Traummann, aber mit unwiderstehlichem Selbstvertrauen ausgestattet, das beim Arrangement diverser Trickbetrügereien mit Geldanleihen und gefälschten Bildern sein Kapital ist.

Man muss gesehen haben, wie Christian Bale in der ersten Szene vor dem Spiegel ein struppiges Toupet auf seinen kahlen Oberschädel klebt, um dann die langen Seitenhaare darüberzulegen, bevor er den merkwürdigen Aufbau mit einem dicken Haarspraystoß festzementiert. David O. Russell liebt es, Schauspieler gegen die Erwartungen zu besetzen, weshalb beispielsweise Mark Wahlberg in "I Heart Huckabees" auch als Umweltschützer mit dem Fahrrad durch Downtown Los Angeles fuhr. So zwingt er seine Darsteller, sich noch mehr als üblich selbst neu zu erfinden, und genau darum geht es in seinem neuesten Film "American Hustle", den man allemal als Anleitung zum kreativen Umgang mit der aktuellen Rezession verstehen könnte: Not macht erfinderisch und zündet allerlei Ideen, wie man trickreich trotzdem an Geld kommt.

Als Regisseur ist natürlich auch David O. Russell ein notorischer Trickbetrüger, der filmische Wirklichkeiten auf die Leinwand zaubert, und wie seine Helden hat auch er sich als Filmemacher gewissermaßen neu erfunden, nach der sechsjährigen kreativen Pause, die auf "I Heart Huckabees" folgte. Im Vergleich zu den mit exzentrischen Einfällen gespickten früheren Filmen wie "Flirting with Disaster" oder "Three Kings" setzt er jetzt stärker auf den Fluss der Geschichte und auf das komplexe Gefühlsleben seiner Figuren. Wie in "Fighter" und "Silver Linings Playbook" geht es auch hier ums Überleben in schwierigen Zeiten und um die Neuerfindung danach.

Aber hier entwirft Russell ein sehr viel weiter gestecktes Szenario. Lose basiert American Hustle auf der realen Geschichte des sogenannten »Abscam«-Skandals Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre, als das FBI verschärft gegen Korruption in der Politik vorging und zu diesem Zweck auch einen Trickbetrüger anheuerte. Beherzt verwandelt er sich die reale Geschichte an, als flirrendes Spiel mit Schein und Sein, mit Rolle und Realität, wobei er die schillernden Figuren in enger Zusammenarbeit mit den Schauspielern erarbeitete und dabei weitere Schichten von Wirklichkeit einfließen ließ.

Spiel mit doppeltem und dreifachem Boden

Mit enormer Lust an Maske und Verkleidung entfesseln die Schauspieler da ein Spiel mit doppeltem und dreifachem Boden, denn fast jeder gibt vor, jemand anderes zu sein, als er ist: Die junge, attraktive Exstripperin Sydney Prosser (Amy Adams) geriert sich als englische Lady mit Verbindungen zur Londoner Finanzwelt. Der verbissen ehrgeizige FBI-Agent Richie DiMaso (Bradley Cooper) gibt sich als Kunde in Geldnot aus, um Irving und Sydney zur Mitarbeit zu zwingen. Als Lockvögel sollen sie schließlich den möglicherweise korrupten Bürgermeister Carmine Polito (Jeremy Renner) überführen, der in Wirklichkeit vielleicht der anständigste Mann des verschlungenen Plots ist.

Bei dem fingierten Geschäft, das sie aufwendig arrangieren, kommen noch mehrere Mafiosi ins Spiel (darunter Robert De Niro in einem Cameo-Auftritt als legendärer Casino­Besitzer Victor Tellegio), ein arabischer Scheich, der in Wirklichkeit ein mexikanischer FBI-Mann ist (Michael Peña), und Jennifer Lawrence als Rosenfelds auf Long Island zurückgelassene Ehefrau, die auf einem hinreißend schmalen Grat zwischen Glamour und Vulgarität balanciert, wofür sie gerade einen Golden Globe für die beste Nebendarstellerin in Musical oder Comedy gewonnen hat. Doch der knallige, äußere Seventies-Schein ist nur Fassade, unter der viel Raum ist für verletzliche Gefühle, eine unschlagbare Mischung, mit der David O. Russell den Oscar-Run fortsetzt, auf dem er sich seit "The Fighter" befindet.

USA 2013. Regie: David O. Russell, Eric Singer. Buch: David O. Russell, Megan Ellison. Mit Christian Bale, Bradley Cooper, Amy Adams, Jeremy Renner, Jennifer Lawrence, Louis C.K., Jack Huston. Länge: 138 Min. FSK: ab 6 Jahre.