Trotz Auschwitz: "Ich wollte wieder lachen und leben können"

Foto: Bildungswerk Heinz Hesdörffer e.V.
Heinz Hesdörffer trifft sich oft mit Jugendlichen, um ihnen seine Geschichte zu erzählen.
Trotz Auschwitz: "Ich wollte wieder lachen und leben können"
Heinz Hesdörffer aus dem rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach hat Auschwitz überlebt. Bereits kurz nach der Befreiung durch die Rote Armee hat er seine Erinnerungen an die Judenverfolgung in einem Buch aufgeschrieben. Lange Zeit hat er im Ausland gelebt, 2009 ist er nach Deutschland zurückgekehrt. Heute geht der 90 Jahre alte Mann in Schulen, um Jugendliche für Diskriminierung zu sensibilisieren. Damit will er verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt.

Als die Schlägertruppen der Nationalsozialisten abgezogen waren, duftete es nach Zitrone. Die Essenzen, die für die Herstellung von Süßigkeiten und Schokoladenriegeln benötigt wurden, legten sich über die zerstörte Süßwarenfabrik in Bad Kreuznach. Die Gerüche haben sich in Heinz Hesdörffers Gedächtnis von jener Schreckensnacht am 9. November 1938 eingebrannt. Hesdörffers Vater hatte die Zuckerwarenfabrik im Ortsteil Zwingel aufgebaut. Die Zerstörung des jüdischen Familienunternehmens durch die Nazis musste der Vater nicht mehr miterleben. Er war bereits 1934 verstorben.

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Im ganzen Deutschen Reich zogen SA- und SS-Truppen im November 1938 durch die Städte und Dörfer, zerstörten Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnungen. Die Pogrome waren der Auftakt für die später von den Nazis auf der Wannseekonferenz beschlossene sogenannte "Endlösung der Judenfrage". Was folgte, war die systematische Ermordung von etwa sechs Millionen europäischen Juden.

Der heute 90 Jahre alte Hesdörffer hat die Judenverfolgung der Nazis überlebt. Mit viel Glück entkam er den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz. Seine Mutter, der drei Jahre jüngere Bruder und ein Onkel sind von den Nazis ermordet worden. Hesdörffer berichtet jetzt in Schulklassen von seinen Erlebnissen. Damit wolle er dazu beitragen, dass sich diese Geschichte nicht mehr wiederhole, sagt er. Denn die Ausgrenzung und Verfolgung der Juden sei ein schleichender Prozess gewesen, der schließlich im Massenmord gipfelte. Er wolle junge Menschen dafür sensibilisieren, Diskriminierung von anderen, aus welchen Gründen auch immer, wahrzunehmen und zu verhindern.

Von den Transportlisten nach Auschwitz gestrichen

Als Adolf Hitler im fernen Berlin 1933 zum Reichskanzler ernannt wird, feiert Hesdörffer seinen zehnten Geburtstag. Er erinnert sich noch genau an die Party. "Ich habe noch mit zwei arischen Freunden Geburtstag gefeiert", berichtet er. Einige Wochen später hätten ihn die beiden Ärztesöhne nicht mehr gekannt, seien ihm aus dem Weg gegangen. Von der Schule in Bad Kreuznach sei er 1938 kurz vor dem Abitur verwiesen worden. Vor einigen Jahren hat ihm seine alte Schule das Abitur nachträglich verliehen.

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Noch vor dem Überfall der Wehrmacht auf Polen und den Beginn des Zweiten Weltkriegs, verlässt Hesdörffer mit seinem Bruder im März 1939 das Deutsche Reich und flüchtet in die Niederlande. Die beiden Jungen wachsen in Waisenhäusern auf. Nachdem die Wehrmacht im Mai 1940 in Holland einmarschiert, müssen sie sich verstecken. Die Mutter wird im Mai 1942 aus Fulda deportiert. Es ist das letzte Lebenszeichen von ihr. Im Oktober sehen sich die Brüder ein letztes Mal. Ernst Hesdörffer wird aufgegriffen und im November nach Auschwitz deportiert, wo er ermordet wird. Heinz Hesdörffer kann sich bis März 1943 in Amsterdam verstecken, dann wird auch er verhaftet. Er ist 20 Jahre alt.

Zunächst kommt er ins Durchgangslager Westerbork, dann nach Theresienstadt und später nach Auschwitz. Er wird als Zwangsarbeiter im brandenburgischen Konzentrationslager Schwarzheide eingesetzt, um aus Braunkohle synthetischen Treibstoff für die Wehrmacht zu gewinnen. Mehrmals sei er von den Transportlisten zurück nach Auschwitz gestrichen worden, weil er einer der besten Arbeiter gewesen sei, erinnert sich Hesdörffer. Das habe ihm das Leben gerettet. Im April 1945 wird er ins KZ Sachsenhausen-Oranienburg gebracht, wo wenig später die sogenannten Todesmärsche der Gefangenen beginnen. Die vorrückende Rote Armee befreit Hesdörffer im Mai 1945.

"Wie kann ich an Gott glauben?"

In einem belgischen Krankenhaus erholt er sich von den jahrelangen Strapazen. Kurz nach dem es ihm wieder besser gegangen sei, habe er damit begonnen seine Erlebnisse aufzuschreiben, erzählt Hesdörffer. "Das ist meine Therapie gewesen. Danach hatte ich keine Albträume mehr". Die erlebten Gräuel aufzuschreiben, habe ihm geholfen wieder in die Zukunft zu blicken. "Ich wollte nicht in der Vergangenheit gefangen sein. Ich wollte wieder lachen und leben können". Über die Zeit in Auschwitz werde er aber nie wieder sprechen. Das verkrafte er im Alter von 90 Jahren nicht mehr. Auf dem linken Unterarm ist seine Häftlingsnummer eintätowiert. Die Farbe schon lange verblasst. Seine aufgeschriebenen Erinnerungen sind 1998 als Buch unter dem Titel "Bekannte traf man viele... Aufzeichnungen eines deutschen Juden aus dem Winter 1944/45" im Chronos-Verlag erschienen. Mittlerweile ist das Buch in der dritten Auflage herausgegeben.

Heinz Hesdörffer in der Synagoge des Seniorenheims in Frankfurt-Seckbach

1947 wandert Hesdörffer nach Südafrika aus und verbringt dort zusammen mit seiner Frau ein Großteil seines Lebens. 2002 zieht die Familie nach New York, wo der Sohn als Arzt praktiziert. Im Jahr 2009 kehrt Hesdörffer nach Deutschland zurück. Hier sei das Klima besser, sagt er. Sein Asthma habe sich gelindert. Seitdem lebt er in dem Seniorenheim der Henry-und-Emma-Budge-Stiftung im Frankfurter Stadtteil Seckbach, in dem es auch eine eigene Synagoge gibt. Seine Ehefrau ist in den Vereinigten Staaten geblieben. "Sie wollte nie wieder nach Deutschland zurückkehren", sagt Hesdörffer. Als acht Jahre altes Mädchen habe sie mit ihrer Großmutter die Pogromnächte vor 75 Jahren miterleben müssen. Die Nazis seien in die Wohnung gestürmt, hätten die beiden Frauen im Bad eingeschlossen und dann das Mobiliar kurz und klein geschlagen.

Damit die Gräuel der Nazis nicht vergessen werden, hat Hesdörffer einen Verein gegründet: Das Bildungswerk Heinz Hesdörffer. Die Erlöse aus seinem Buch kommen dem Verein zugute. Regelmäßig besucht er Schulen, Kirchengemeinden und Gedenkorte, um hier vor allem mit jungen Menschen über seine Erlebnisse zu sprechen und vor einer Wiederholung der Geschichte zu warnen. Die häufigste Frage im Gespräch mit den Schülern sei, ob er noch an Gott glaube, berichtet Hesdörffer. "Wie kann ich an Gott glauben, wenn er zugelassen hat, dass sechs Millionen von seinem auserwählten Volk umgebracht werden?", antworte er dann. Zudem erinnere er sich an die Gürtelschnallen der deutschen Soldaten. Darauf habe "Gott mit uns" gestanden.

Kein Kontakt zu nicht-jüdischen Seniorenheim-Bewohnern

Vor einem Jahr haben zwölf Jugendliche zwischen 15 und 21 Jahren aus Bad Kreuznach den 45 Minuten langen Film "Schritte ins Ungewisse" über Hesdörffers Lebensgeschichte gedreht. Dabei haben sie mit ihm auch die Schreckensstationen seines Lebens aufgesucht. Nur Auschwitz nicht, dorthin wollte Hesdörffer nicht noch einmal. Das Filmprojekt ist vom Ökumenisches Kinder- und Jugendhaus Bad Kreuznach-Winzenheim, vom Jugendcafé Kirn und vom Evangelischen Jugendreferat im Kirchenkreis An Nahe und Glan organisiert worden. Ende August dieses Jahres hatte der Film in Bad Kreuznach Premiere. Er ist mittlerweile auf DVD erschienen und soll nach dem Willen Hesdörffers in Schulen gezeigt werden.

Ihm liege es sehr am Herzen, mit den jungen Menschen über die Judenverfolgung im Dritten Reich zu sprechen, sagt Hesdörffer. "Die Schüler wollen wissen, was passiert ist, was ihre Großeltern bis heute verschweigen." In dem Frankfurter Seniorenheim, in dem er lebt, wolle er keinen Kontakt zu nicht-jüdischen Bewohnern in seinem Alter habe. Sie gehörten zur Generation der Täter. Ob sie aus Angst, selbst ins Konzentrationslager zu müssen, geschwiegen hätten, sei unwichtig, sagt Hesdörffer. "Sie haben alle gewusst, was mit den Juden passiert."