Pharma-Chef Barner: "Wir brauchen ein gewisses Wachstum"

Foto: epd-bild/Andrea Enderlein
Pharma-Chef Barner: "Wir brauchen ein gewisses Wachstum"
Boehringer-Chef Andreas Barner sieht sich nicht nur dem Profit verpflichtet
Andreas Barner steht als Sprecher der Unternehmensleitung von Boehringer Ingelheim an der Spitze des weltgrößten in Familienbesitz befindlichen Pharmakonzerns. Der 59-Jährige ist aber nicht nur für ein Unternehmen mit 13 Milliarden Euro Jahresumsatz verantwortlich, sondern auch kirchlich stark engagiert und gehört zum Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Der Evangelischen Pressedienst (epd) sprach mit Barner über Unternehmenswerte, die Medikamentenversorgung in Entwicklungsländern und das schlechte Image der Pharmabranche.
22.09.2012
epd
Rainer Clos und Karsten Packeiser

Herr Barner, Sie gehören zu den wenigen deutschen Vorständen, die ihr christliches Bekenntnis nicht als Privatsache betrachten. Ist es hilfreich oder eher hinderlich, gleichzeitig Topmanager und bekennender Christ zu sein?

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Andreas Barner: Es ist sicher so, dass das eher selten ist. Aber es kommt doch häufiger vor, als es Ihre Frage vielleicht nahelegt. Denken Sie an den Bund Katholischer Unternehmer oder den Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer. Dort sind doch relativ viele Menschen aktiv.

Wie beeinflusst Ihr christlicher Glauben als Wertekompass Unternehmensentscheidungen?

Barner: Ich denke, dass die grundsätzliche Art, wie man Management betreibt, natürlich von den Werten beeinflusst ist, die man hat. Diese Werte können aus dem christlichen Glauben abgeleitet sein, oder es sind stark humanistisch geprägte Werte. Auch in ganz anderen kulturellen Traditionen, wie etwa in Japan, wo das Christentum eher selten ist, sind Unternehmer zu finden, die sich Werten verpflichtet fühlen.

Es geht um das Klima und die Unternehmenskultur. Natürlich haben auch wir schwierige Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise, wenn wir eine Produktion aufgeben müssen, weil wir keine Produktionskapazität brauchen. Unser Anliegen ist es dann, den Ausstieg aus einer Produktion so zu gestalten, dass die betroffenen Mitarbeiter dennoch eine Zukunft haben. In einem solchen Fall verkaufen wir etwa einen Produktionsstandort durchaus zu substanziell schlechteren Bedingungen und erhalten dafür von dem Käufer die Zusage, dass die Mitarbeiter gehalten werden.

Hier zeigt sich deutlich die Bereitschaft, auch materiell Einbußen für den Unternehmensgewinn hinzunehmen, wenn es den Mitarbeitern schließlich zugutekommt. Es gibt andere Kulturen und andere Länder, denken Sie an manche US-amerikanische Unternehmen, da wird einfach der Produktionsstandort geschlossen.

"Es ist nicht erwünscht, dass jemand an der Gesundheit anderer Geld verdient"

Am Finanzmarkt lässt sich derzeit beobachten, was kurzfristiges Renditestreben sowie immense Staatsverschuldung anrichten können. Gelten für die Pharmaindustrie noch andere Maßstäbe als der wirtschaftliche Erfolg?

Barner: Wenn ich heute eine Forschungsidee habe, dann vergehen leicht 25 Jahre, bis ein Medikament aus dieser Idee herauskommt. Forschungsidee, Suche nach chemischen Substanzen und Medikamenten-Entwicklung beanspruchen rund 20 Jahre. Für die internationale Etablierung des neuen Medikaments kommen problemlos weitere fünf Jahre hinzu. Das ist der Zeitraum einer Generation. Deshalb sage ich: Die pharmazeutische Industrie mit diesen Zeitspannen von Forschung und Entwicklung ist gut in Familienunternehmen aufgehoben, weil es eine Generation bis zur Marktreife einer Neuerung dauert.

Wie erklärt sich dann aber aus Ihrer Sicht, dass die Pharmahersteller - gemessen an anderen Akteuren auf dem Gesundheitsmarkt - ein schlechtes Ansehen haben?

Barner: Vielleicht liegt es daran, dass die Menschen generell der Ansicht sind, es sei nicht erwünscht, dass jemand an der Gesundheit oder der Krankheit anderer Geld verdient. Betrachten wir auf der anderen Seite die gesamten osteuropäischen Länder in der Zeit der Planwirtschaft, dann fällt auf, dass es dort praktisch keine einzige medizinische Innovation, kein neues Medikament gab. Die Entwicklung neuer Medikamente funktioniert offenbar eher unter Bedingungen der Privatwirtschaft. Und in Gesprächen mit HIV-Patienten oder Krebskranken, denen die neuen Medikamente helfen, gibt es eine positive Sicht auf die pharmazeutische Industrie.

Bei vielen Gelegenheiten äußern sich auch Kirchenvertreter zu wirtschaftlichen Fragen wie dem Zwang zum Wachstum oder der zunehmenden Kluft bei den Einkommen. Ist die kirchliche "Kapitalismuskritik" angemessen oder von Vorurteilen bestimmt?

Barner: Ich glaube, die Fragen, die die Kirchen aufwerfen, sind wichtig und richtig. Ich glaube auch, dass die Auseinanderentwicklung bei den Einkommen auf Dauer weder vertretbar noch gut ist. Schwierigkeiten habe ich jedoch mit Äußerungen, wir bräuchten kein Wachstum. Grundsätzlich gibt es durch den wissenschaftlichen Fortschritt jedes Jahr einen Produktivitätszugewinn.

"Wachstum ist notwendig zur Finanzierung der Sozialsysteme"

Wenn Sie nun sagen, wir wollen kein Wachstum, dann hieße das, dass immer weniger auf gleichbleibend viele oder mehr Menschen verteilt werden müsste. Die meisten Menschen, die ich kenne, tun sich schwer damit, im kommenden Jahr weniger zu akzeptieren als im vergangenen.

Wir brauchen ein gewisses Wachstum auch, weil ansonsten die Finanzierbarkeit unserer Sozialsysteme unendlich schwierig würde. Dort, wo Wachstum nur die Umwelt belastet, nicht nachhaltig ist und die Gesellschaft nicht voranbringt, sehe ich durchaus Grenzen. Aber dass wir ein minimales Wachstum brauchen, ist für mich unstrittig nicht zuletzt auch wegen der Länder, die einen sehr niedrigen Lebensstandard haben. Da wundere ich mich manchmal, wie leicht Kritik formuliert wird.

Ein in Kirchen heiß diskutiertes Thema ist die Gentechnik. Das geht so weit, dass Gemeinden kein Land mehr an Bauern verpachten, die gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen. Die Rote Gentechnik ist allgemein akzeptiert. Bei der Grünen Gentechnik haben wir ein Problem. Wie erklären Sie sich das?

Barner: Bei vielen Veranstaltungen in Kirchen habe ich vor 15 oder 20 Jahren für die Rote Gentechnik geworben. Viele der Krebsmedikamente oder eines unserer Medikamente zur Auflösung der Blutgerinnsel bei akuten Herzinfarkten sind vollkommen unumstritten. Wenn wir in Westeuropa eine ernsthafte Ernährungsproblematik hätten, dann würde auch die Grüne Gentechnik eine große Akzeptanz finden. Ich halte die Grüne Gentechnik für wichtig, weil wir vermutlich eine massiv wachsende Weltbevölkerung nur ernähren können, wenn wir Pflanzen züchten, die mit ganz wenig Wasser auskommen, oder die in der Lage sind, mit mehr Salz im Boden zu leben.

Es gibt viel Kritik an der Pharmabranche auch für Medikamentenversorgung in der Dritten Welt. Was sagen Sie zu Vorwürfen, dass die Medikamente zu teuer für Patienten in den armen Ländern sind und sich auch die Forschung vorrangig an den Bedürfnissen der reichen Staaten orientiert?

Barner: Was wir erreichen müssen, ist die Akzeptanz für ein zweigeteiltes Preissystem. Die Länder, die sich das leisten können, müssten die Forschung mitbezahlen. Und in den ärmeren Ländern müssten Medikamente zu Produktionskosten abgegeben werden. So ein System funktioniert nur, wenn garantiert wird, dass keine Reimporte in die Länder mit höheren Preisen stattfinden.

Unser HIV-Medikament "Viramune" haben wir in einigen Ländern kostenfrei zur Verfügung gestellt, weil eine Tablette, die man der infizierten Mutter während der Wehen gibt, die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion des Kindes bei der Geburt halbieren kann. Wir hatten die Produktionsstandorte für das Medikament hier in Ingelheim und den USA und mussten feststellen, dass wir mit unseren Lohnkosten weit entfernt waren von Preisen, die in ärmeren Ländern attraktiv gewesen wären.

Wir haben dann Generika-Herstellern in Indien und anderen Ländern erlaubt, das Mittel herzustellen, uns aber bewusst dagegen entschieden, das Patent freizugeben. Unsere größte Sorge war, dass das Medikament irgendwo einfach mit weißem Pulver vermischt und verkauft werden würde. Unsere Mindestanforderung war, dass der Hersteller WHO-qualifiziert ist. Im Rückblick war das eine kluge Entscheidung, denn es wurde das gleiche erreicht wie bei einer Patentfreigabe, aber ein kleines Tüpfelchen Qualitätskontrolle bleibt gewährleistet.