Spurlos im Netz?

Foto: kalljipp/photocase
Beim Surfen im Netz hinterlassen wir Spuren. Mit speziellen Programmen können wir uns besser tarnen.
Spurlos im Netz?
Wie Menschenrechtler einen sicheren Internetzugang ermöglichen wollen
In Syrien, Ägypten oder dem Iran ist ein sicherer Internetzugang so gut wie nicht möglich. Blogger, Aktivisten und Oppositionelle haben daher kreative Programme entwickelt, die eine freie Rede im Internet ermöglichen sollen.

Orwell war ein Optimist! Wenn der Science-Fiction-Autor auch nur annähernd die Möglichkeiten des Internets im 21. Jahrhundert erahnt hätte, so wäre seine Big Brother-Vision noch wesentlich düsterer ausgefallen, meint die US-amerikanische Inernet-Expertin Karen Reilly. Denn es sei heute relativ einfach, E-Mails abzufangen und diese auf einen eigenen Server umzuleiten. Auch können Suchanfragen im Internet leicht auf andere Seiten umgeleitet werden. Statt zum Beispiel Informationen etwa über einen Bürgerprotest im Stadtteil zu erhalten landet der Surfer nur auf Seiten über ein fröhliches und buntes Bürgerfest, das zeitgleich wenige Straßen weiter stattfand.

###mehr-artikel### Um einen Schutz vor Manipulation im Internet zu bieten, hat Reilly mit Gleichgesinnten das Tor-Projekt gegründet, das sie in der vergangenen Woche bei einer Tagung in Berlin zum Thema Internet und Menschenrechte vorstellte. Das Projekt vereint weltweit sichere Server, die dafür sorgen, dass E-Mails auch wirklich nur zu denjenigen gelangen, an die sie adressiert sind. Mit Hilfe dieses nichtkommerziellen Netzes kann man surfen und publizieren sowie Instant Messaging und weitere Dienste nutzen, ohne Spuren im Internet zu hinterlassen.

Nach den USA und Deutschland ist mit 50.000 Usern mittlerweile im Iran die drittstärkste Nutzer-Gruppe des Tor-Projekts entstanden. Denn ein freier Internetzugang ist hier praktisch nicht möglich. Es herrsche eine gewisse Paranoia in der iranischen Regierung, als würde jeder iranische Facebook-Eintrag automatisch eine Gefährdung der Macht darstellen, sagt die iranische Bloggerin Maryam Mirza, die von ihrem deutschen Exil aus auch zusammen mit der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" für ein freies Internet in ihrer Heimat kämpft. Ähnlich ist die Situation in Syrien: So müsse man dort etwa seine Telefonnummer angeben, um sich bei Facebook anmelden zu können.

Aktivisten für Internetsicherheit

"In anderen Ländern muss man seinen bürgerlichen Namen angeben", beklagt Stephan Urbach von Telecomix, einem Zusammenschluss von Internetaktivisten. Von Europa aus versuchen die Aktivisten, Bloggern und Oppositionellen die freie Rede in einem freien Internet zu ermöglichen. Während des durch die ägyptische Regierung veranlassten Internet-Blackout Anfang 2011 baute Telecomix zum Beispiel eine parallele Internet-Infrastruktur auf. Sie stellten alte Modem-Hardware über ihre privaten Nummern als Einwahlpunkte zur Verfügung und faxten diese Nummern an öffentliche Einrichtungen, Universitäten oder Hotels in Ägypten.

Die Aktivisten vom Tactical Technology Collective dagegen geben auf Ihrer Webseite erst einmal Tipps und Regeln für ein sichereres Internet. Ihr digitaler Überlebensratgeber rät Usern dazu, nicht zu red- und vertrauensselig zu sein. Und der Südafrikaner Chris Böhme hat mit seiner Firma die open-source-Spyware Paterva entwickelt. Damit lassen sich ganz legal die digitalen Fußspuren verfolgen, die jeder User permanent im Internet hinterlässt. "Besonders verräterisch sind Bilder. Twitter ist ein offenes Buch. Es lassen sich schnell die Bilder finden, die ein User gepostet hat. Es lässt sich sogar darstellen, wann von welchem Gerät gesendet und an welchem Ort dieses Bild gemacht wurde. Zu große Online-Präsenz kann fast unkontrollierbar persönliche Informationen streuen", warnt der südafrikanische Internet-Experte.

Internationale Standards gefordert

###mehr-links###Die Blogger und Aktivisten in Unrechtsregimen zu unterstützen ist das eine, für das freie Internet internationale Standards zu setzen und deren Einhaltung zu überwachen das andere. Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit Frank La Rue fordert, die internationale Politik müsse sich noch vehementer für die freie Rede in freien Medien einsetzen. Das Internet sei ein Medium in Echtzeit, ein soziales, ein politisches Medium, sagt La Rue. "Aber das heißt nicht, dass eine Webseite mächtiger wäre als etwa eine klassische Telefonkette, um zum Beispiel zu einer Demo oder anderen politischen Aktion aufzurufen. Dennoch geraten gerade Internet-Aktivisten und Blogger viel schneller in den Fokus staatlicher Verfolgung."

Dunja Mijatovic aus Bosnien und Herzegowina, Medienbeauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OECD, weiß, dass staatliche Wissenslücken über die Funktionsweise des Internets oft zu übertriebener Furcht, zur Filterung bis hin zur Sperrung von Webseiten führt. Staatliche Stellen hätten schlicht Angst vor Bloggern. "Zum Beispiel unterdrückt die Türkei Internetfreiheit. Ich versuche die Prozesse gegen Journalisten dort zu begleiten. Wichtig ist es auch, kritische Stimmen aus den betroffenen Staaten zu sammeln. Manche Webseiten werden freigeschaltet, dann wieder gesperrt. Es ist eben eine permanente Arbeit der kritischen Beobachtung", berichtet Mijatovic.

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Auch müsse man nicht nur staatliche Stellen, sondern auch die Unternehmen zur Verantwortung ziehen, mahnt Arvind Ganesan von Human Right Watch. Die Dinge hätten sich seit 2006 gewandelt. Yahoo oder Microsoft hätten damals noch bereitwillig User-Daten an China preisgegeben. Heute käme das nicht mehr vor. Solche Weltkonzerne akzeptierten heute ihre Verantwortung für Internet- und Menschenrechte, erklärt Ganesan.