"Immer wieder neu fragen: Was ist jetzt dran?"

Foto: epd-bild/Stefan Arend
"Immer wieder neu fragen: Was ist jetzt dran?"
Vor der Zukunft der Kirche ist dem neuen Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, nicht bange. Sie dürfe aber nicht einfach weitermachen wie in den vergangenen Jahrzehnten, sagt der 55-jährige Theologe, der an diesem Dienstag genau 100 Tage an der Spitze der zweitgrößten deutschen Landeskirche steht. Nötig seien Veränderungen und der Blick nach vorne.
11.06.2013
epd
Ingo Lehnick

Nach 100 Tagen im Amt: Wie fällt ihre erste Bilanz aus?

Manfred Rekowski: Ich halte viel von dem Satz "Lernen durch Begegnung". Dazu hatte ich bereits viele Gelegenheiten. Ich reise viel durch die 38 rheinischen Kirchenkreise, um genau zu hören, was die Herausforderungen in den verschiedenen Regionen sind. Die Landessynode im Januar hat der neuen Kirchenleitung außerdem eine Reihe von Aufgaben mit auf den Weg gegeben. Daran arbeiten wir intensiv. Ich stelle zudem auch gelingende Vertrauensbildung im Miteinander von Kirchenleitung und Synode fest.

"Wir müssen uns also innerhalb kürzester Zeit neu aufstellen"

Was sind die zentralen Herausforderungen und Aufgaben?

Rekowski: Unser Hauptthema ist die Frage, wie wir künftig Kirche sein wollen und müssen, um das Evangelium zu den Menschen bringen zu können. Angesichts sinkender Einnahmen und Mitgliederzahlen müssen wir eine veränderungsfähige Kirche sein, die nicht nur scheibchenweise kleiner wird, sondern bereit und fähig zum Aufbruch ist. Wir müssen uns also innerhalb kürzester Zeit neu aufstellen. Veränderungen und Weiterentwicklungen gehören zum Wesen der Kirche. Dass wir darüber offen nachdenken und reden, wird vielfach nicht nur als Last, sondern auch ganz stark als Befreiung erlebt. Unsere Synoden sollen nicht Konkursveranstaltungen gleichen, sondern den Blick nach vorne richten.

Wie könnte denn die Kirche der Zukunft aussehen?

Rekowski: Wir haben uns Jahrzehnte lang darauf verlassen, dass die Kirchensteuereinnahmen kontinuierlich fließen, und vor allem auf institutionelle Präsenz - die Kirche ist in Gestalt einer kirchlichen Einrichtung präsent - gesetzt. Künftig wird es stärker auf die Menschen ankommen, die in der Kirche arbeiten.

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Ein Beispiel: Die Studierendenseelsorge muss vielleicht heute nicht mehr zwingend ein Wohnheim betreiben. Sondern es wird eine Seelsorgerin oder ein Seelsorger finanziert und dann überlegt und auch ausprobiert werden, welche Arbeitsform heute funktioniert: Sollte man ein Ladenlokal auf dem Campus mieten oder ein Wohnmobil?

Bei der Citykirchenarbeit haben wir gelernt, wie chancenreich kontextgemäßes Arbeiten in den Innenstädten ist. Unsere Arbeitsformen kann man nicht für Jahrzehnte planen und festschreiben, sondern es ist immer wieder neu zu fragen: Was geht jetzt, was ist jetzt dran? Wir müssen uns permanent weiterentwickeln. Es gehört zu meinen Aufgaben, dafür zu werben und darauf zu vertrauen, dass wir viel Kreativität einsetzen und uns angstfrei mit veränderten Situationen befassen.

Aber es gibt auch Ängste?

Rekowski: Der Abschied vom Vertrauten tut natürlich immer weh. Mit jeder Kirche, die wir schließen müssen, verbindet sich ein Trauerprozess. Es kann aber auch eine Chance sein, zu entdecken, dass wir auch mit leichterem Gepäck noch immer Kirche sind. Wir können hier auch vom Ausland lernen, zum Beispiel von den Protestanten in Polen, der vereinigten evangelischen Kirche in Frankreich oder Kirchen in Großbritannien und den Niederlanden. 

Dort sieht man, dass es funktionieren kann, auch mit ganz anderer Arbeitsweise und ganz anderen Strukturen als Kirche Jesu Christi präsent und – lax gesagt – auf Ballhöhe zu sein. Wenn ich das sehe, bin ich angstfrei. Auch unser Verständnis von Volkskirche hängt nicht nur von der Größe ab. Wir haben immer auch eine Verantwortung für das Ganze und werden auf die gesellschaftliche Dimension des Evangeliums schauen, egal wie groß unsere gesellschaftliche Relevanz gemessen an der Mitgliederzahl ist.

"Wir müssen mehr denn je entscheiden: Wohin soll die pastorale Power fließen?"

Sie haben auch eine Diskussion über die Rolle der Pfarrer angestoßen. Was ist Ihr Anliegen?

Rekowski: Auch wenn der Dienst der öffentlichen Verkündigung kein Privileg der Theologinnen und Theologen ist: Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind mit ihrer akademischen Ausbildung zweifelsohne ein Schlüsselberuf. Wir müssen aber mehr denn je entscheiden: Wohin soll die pastorale Power fließen? Als wir finanziell und personell noch aus dem Vollen schöpfen konnten, haben die Theologinnen und Theologen auch viele nichtpastorale Aufgaben wahrgenommen, von Verwaltungsarbeiten bis zu Aufsichtsposten in Sozialeinrichtungen.

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Weil die Zahl kleiner wird, müssen wir die gut ausgebildeten Theologen künftig sehr gezielt einsetzen, auch als Multiplikatoren. Das bedeutet auch eine Entlastung von Aufgaben, die andere genauso gut oder vielleicht sogar besser erledigen können. Dazu gehört natürlich die Bereitschaft, Aufgaben abzugeben - wer A sagt, muss auch B sagen. Hier gibt es noch manche Ängste, die wir abbauen wollen.

Sie stehen als Präses mit der neu gewählten Kirchenleitung auch angesichts einiger Altlasten vor schwierigen Herausforderungen. Stichworte sind die Millionenverluste beim kircheneigenen Unternehmen bbz und die finanziellen und organisatorischen Probleme beim neuen Rechnungswesen NKF. Wie stark bremsen diese Klötze am Bein?

Rekowski: Die nächste Landessynode Anfang kommenden Jahres wird sich vermutlich mit beiden Themen befassen. Die Umstellung auf das Neue Kirchliche Finanzwesen (NKF) ist nicht umkehrbar. Wir nehmen aber von der Synode beauftragt derzeit eine kritische Bestandsaufnahme vor und überlegen, wo es Korrekturen geben soll. Zum Beihilfe- und Bezügezentrum (bbz): Wir haben die Firma wirtschaftlich stabilisiert und bereits im Herbst 2011 die Geschäftsführung ausgetauscht.

Noch nicht grundsätzlich beantwortet ist aber die Frage, ob wir dauerhaft unternehmerisch in diesem Bereich tätig sein wollen. Im Raum stehen außerdem grundsätzliche Anfragen der Höppner-Kommission zur Ordnung der rheinischen Kirche, etwa unter dem Stichwort "Gewaltenteilung". Der Bericht der unabhängigen Kommission hat eine konstruktive Dynamik ausgelöst: Alle ständigen Ausschüsse haben sich damit befasst und wir haben einen Projektausschuss gebildet. Auf einem Studientag sollen die aufgeworfenen Ordnungsfragen intensiv erörtert werden - zum Beispiel die Frage, ob die Kirchenleitung weiter das Präsidium der Synode bilden soll.

"Ich glaube nicht, dass wir revolutionäre Veränderungen brauchen"

Die Höppner-Kommission hat die presbyterial-synodale Grundordnung der rheinischen Kirche ja grundsätzlich infrage gestellt. Unabhängig von der ausstehenden Entscheidung der Landessynode: Wie denken Sie persönlich über die Strukturfrage?

Rekowski: Ich bin von der presbyterial-synodalen Ordnung sehr überzeugt. Idealtypisch ist sie unschlagbar, real existierend ist aber möglicherweise die eine oder andere Optimierung sinnvoll. Zum Beispiel müssen wir in unseren Gremien manchmal schneller zu Ergebnissen kommen. Befassen müssen wir uns auch mit der Frage, wie Verantwortung in Kollegialorganen - davon haben wir in unserer Kirche sehr viele - wahrgenommen werden kann. Viele Menschen sind beteiligt. Wer aber ist verantwortlich?

Das sind aber eher Fragen der Leitungskultur als der grundsätzlichen Verfassung. Ich glaube nicht, dass wir revolutionäre Veränderungen brauchen. Wir haben mit dieser Ordnung auch alle Instrumente, um die in den kommenden Jahren nötigen Veränderungen auf den Weg zu bringen. Unsere theologisch verantwortlich gestaltete Ordnung "predigt" ja - wie es in der Barmer Theologischen Erklärung in These III heißt - ebenso wie unsere Botschaft.