Von "Alien" zu "Prometheus": Die Kunst des Giger

Der Künstler H. R. Giger mit Gesichtsmaske.
Foto: Getty Image/Dana Frank
Der Künstler H. R. Giger mit Gesichtsmaske.
Von "Alien" zu "Prometheus": Die Kunst des Giger
H. R. Gigers Bilder sind zu Ikonen der Science-Fiction-Filme geworden. Nun tritt der Meister des phantastischen Surrealismus erneut ins Rampenlicht: Der Schweizer Künstler, der schon 1978 mit seiner Arbeit für Ridley Scotts "Alien" Maßstäbe setzte, zeichnet sich verantwortlich für die düstere Optik von "Prometheus".
04.09.2012
evangelisch.de

Das Reihenhaus in Zürcher Stadtteil Oerlikon könnte man glatt übersehen. Die Fassade ist grün überwachsen, wild wuchern Sträucher und Bäume. Startende Jets vom unweit gelegenen Flughafen Kloten dröhnen über das Haus. Und doch wohnt hier seit 1971 mit H. R. Giger ein Kunststar. Jener Mann, der mit "Alien" das wohl furchterregendste Monster in der Filmgeschichte kreierte und 1980 für die Spezialeffekte eines Düsterwerkes der Sonderklasse einen Oscar erhielt und Weltruhm erlangte. Die Tür geht auf. Im Rahmen steht ein Mann, ganz in schwarz gekleidet. Unter seinem zerzausten, weißen Haarschopf blicken dunkel funkelnde Augen hervor. Seine Stimme ist überraschend sanft.

Beim Vater des "Alien"

33 Jahre nach "Alien" ist H. R. Giger wieder in aller Munde: mit dem Hollywood-Blockbuster "Prometheus", der unter anderem der Frage nachgeht, ob die Menschheit von Außerirdischen erschaffen wurde. Der Churer Künstler hat für Ridley Scotts neuen Film, der zurzeit in deutschen Kinos läuft, ein Raumschiff gestaltet. Das Medieninteresse an dem 72-Jährigen ist groß, obwohl er selbst sagt: "Ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen."

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Auch an diesem Vormittag sind Journalisten hier, die wissen wollen, wie der Erzeuger von "Alien" lebt. Seine Gäste bittet Giger – er läuft am liebsten barfuß herum - meist in sein Arbeitszimmer. Sie tauchen in eine surreale Welt ein. Vier chromblitzende, hohe Stühle wachsen aus Knochenbecken heraus und enden oben mit Schädeln.

Skulptur vor dem Giger-Museum im Schloss St. Germain in Gruyères. Foto: Vera Rüttimann

Weiter führt sie H. R. Giger hinaus in seinen verwilderten Skulpturengarten, in dem "Alien"-Figuren und alte Eisentüren aus Ridley Scotts Filmklassiker Moos ansetzen. Am selben Tisch, an dem er heute Gäste empfängt, saß er 1977 mit dem britischen Regisseur, als es mit "Alien" losging. "Für viele ist diese Kreatur wegen ihres perfiden Perfektionismus eine Art dunkle Göttin", sagt sein Erschaffer.

Kleinkinder als Patronen

Wahre Giger-Jünger pilgern heute ins Chateau St. Germain im schweizerischen Gruyères, wo das Lebenswerk des Designers, Malers und Plastiker präsentiert wird. Die Eisenplastik "Gebärmaschine" am Eingang, die eine aufgeschnittene Pistole zeigt, die mit Kleinkindern als Patronen geladen ist, sorgt schon einmal für den ersten Schockeffekt. H. R. Giger hat sich mit dem idyllischen Gruyères einen wundersamen Platz für seine Kreaturen ausgesucht, die sonst auf einem finsteren Planeten im bläulichen Licht hausen und todbringende Eier ausbrüten. Der Künstler bezeichnet diesen Ort jedoch als "Kraftort".

H.R. Gigers Anhängerschaft - darunter Film-, Kunst- und Gothic-Fans und auch einige Satanisten -   suchen im Chateau St. Germain nach ihm, wo er nur selten anzutreffen ist. Ist er aber da, mischt er sich unter seine staunende Besucher und betritt den Raum, in dem seine "Pilger" minutenlang wie hypnotisiert in einen Glaskasten starren, in dem ein durchsichtig schimmernder, rostbrauner Riesenkopf eines Aliens ausgestellt ist. Ein phallisches Haupt, dessen Gebiss ein weiteres verbirgt, das wie ein Schlagbolzen hervorschnellen kann.

Frühe Bekanntschaft mit dem Tod

Interessiert stehen Besucher auch vor den großformatigen Bildern der "Passagen"-Serie des Meisters des fantastischen Surrealismus. Die Darstellungen lösen bei ihnen klaustrophobische Ängste aus. Auf vielen der Bilder finden sich in unterschiedlichsten Variationen von seltsamen Körperöffnungen, aus denen Flüssiges dringt. Wie tickt der Mann, der sich solche Bilder von der Seele malen muss? H.R. Giger erzählt von seiner Kindheit im graubündnerischen Chur, in der er von Albträumen geplagt war, in denen er aus Erdlöchern nicht mehr herausfand. In der Kindheit hatte er ein reales, vergleichbares Erlebnis. Das war in Ägypten, als er in die Cheops-Pyramide hinabstieg und in den extrem niedrigen Gänge von Platzangst erfasst wurde.

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Auch unter einer sexuell verklemmten Gesellschaft habe er gelitten. Giger machte zudem früh Bekanntschaft mit dem Tod. Die Selbsttötung seiner Frau Li Tobler 1975 beschäftigte ihn sehr. "Die Kunst war für mich danach auch ein Stück Therapie", sagt Giger. Li Toblers sphinxähnlicher Kopf wandert als biomechanoides Wesen in teuflischer oder engelhafter Gestalt durch sein Werk. Manche seiner Bilder thematisieren auch mögliches Leben nach dem Tod. Obwohl Giger weder an Gott noch an ein Leben danach glaubt: "Fertig ist fertig." Kürzlich habe er sich bei der Sterbehilfeorganisation Exit angemeldet, weil er nicht bei einer schweren Krankheit nicht lange leiden wolle.

Besucher vor einer "Alien"-Figur im Giger-Museum. Foto: Vera Rüttimann

H.R. Giger klagt: "Viele reduzieren meine Kunst nur auf Alien." Doch Kennern ist längst auch sein anderes Werk bekannt. Anhänger fasziniert den visionären Gehalt seiner Kunst. Vor allem die Werke aus den 1970er Jahren. Endzeitbilder wie "Atomkinder" und "Unter der Erde". Morbide, expressive Spritzpistolenbilder in schwarz-weiß. Reproduktion von Tier und Mensch, die Herrschaft der Computer über den Menschen, Überbevölkerung, Selbstbestimmung über den eigenen Tod – in seinen Bildern stellte Giger meist tabuisierte Themen in drastischer Form früh dar. Sein späterer Ruhm durch "Alien" hat dem Mann mit dem leisen Humor und den melancholischen Augen nicht nur gut getan. Als Gruselkünstler verunglimpft, wurde der sensible Giger viele Jahre von Museen geschnitten.

Kult sind vor allem seine "Biomechanoiden", laut Giger eine "harmonische Verschmelzung der Technik, Mechanik mit der Kreatur". Wesen, überschlank in die Höhe wachsend und an eigenartige Schläuche und Apparate angeschlossen. Wer sein Haus in Zürich sowie das Schloss St. Germain besucht, erkennt: H. R. Gigers Einfluss auf die Popkultur ist beträchtlich. Er hat dem teuflisch Bösen ein Antlitz gegeben. Ohne sein "Alien" sähen die Kreaturen der Horrorfilme, Comics und Computerspiele heute anders aus.