Jo Brauner: "Ich kriegte Kicheranfälle wie ein Teenager"

Foto: dpa/Christian Charisius
Der ehemalige Tagesschau-Sprecher Jo Brauner sitzt am 23.11.2012 in seiner Wohnung in Hamburg. 30 Jahre lang war Brauner Sprecher bei der "Tageschau", am 29.11.2012 wird er 75 Jahre alt.
Jo Brauner: "Ich kriegte Kicheranfälle wie ein Teenager"
Er informierte die Deutschen 30 Jahre lang über das Weltgeschehen: Jo Brauner, Sprecher der Tagesschau von 1974 bis 2004. Als 1989 die Mauer fiel, war er es, der das epochale Ereignis in der ARD vermeldete. Am 29. November wird der Mann mit der sonoren Stimme 75 Jahre alt.
29.11.2012
Cornelia Wystrichowski

Herr Brauner, Sie werden am 29. November 75 Jahre alt. Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?

Jo Brauner: Ich bin ein großer Belletristik-Freund und habe mir aus der Zeitung eine Liste mit neuen Büchern ausgeschnitten, über die ich mich freuen würde. Andere Wünsche habe ich eigentlich nicht.

Sie haben 2004 als Chefsprecher der Tagesschau aufgehört. Wie gestalten Sie Ihren Ruhestand?

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Brauner: Ich tue einiges, um meine kleinen grauen Zellen zu beschäftigen, und deshalb fühle ich mich eigentlich 30 oder 40 Jahre jünger. Ich habe meine geliebten Bücher, und nebenbei spiele ich Klavier – nicht sonderlich gut, aber es entspannt mich. Zudem halte ich unter anderem Vorträge, zum Beispiel über Fernsehen, die Tagesschau oder die Sprache. Ich bin ein Freund der Grammatik und ärgere mich über die Vergewaltigung des Deutschen, etwa die vielen Anglizismen. Wieso schreibt man "Coming soon" in ein Schaufenster statt einfach "Demnächst Neueröffnung"?

Und wie beurteilen Sie die Sprache der Fernsehnachrichten?

Brauner: Die Tagesschau ist da nach wie vor führend, mein Nachfolger Jan Hofer kümmert sich ebenfalls sehr darum. Für viele Leute ist die Tagesschau immer noch eine Instanz, nicht nur vom Inhalt her, sondern auch was die Aussprache betrifft. Das ist eine große Verpflichtung, der man nachkommen muss. Sicherlich, niemand ist perfekt – manchmal gibt es auch einen Fehler, denken Sie nur an die falsch angeordneten Farben der deutschen Flagge in den Tagesthemen.

Was machen Sie, wenn Sie einen Fehler bemerken?

"Der olle Rentner mäkelt schon wieder rum"

Brauner: Ich leide mit, wenn ein Beitrag verkehrt eingespielt wird oder der Sprecher die Seiten verwechselt. Wenn ich einen Fehler in der Tagesschau entdecke, etwa einen orthographischen, rufe ich den Chef vom Dienst an und sage: "Du, da stimmt doch irgendwas nicht." Sonst könnte die Meldung später auch in den Tagesthemen noch einmal falsch gesendet werden. Das wird in der Redaktion wohlwollend goutiert, da wird nicht gesagt: Der olle Rentner mäkelt schon wieder rum. (lacht)

Welche Pannen sind Ihnen selber als Sprecher passiert?

Brauner: Meinen schlimmsten Versprecher hatte ich im Hörfunk. Ich las in den Nachrichten, dass die RAF-Häftlinge in Stuttgart-Stammheim in den Hummerstreik statt in den Hungerstreik getreten waren. Natürlich habe ich mich entschuldigt, das Thema war hochpolitisch, das ist immer eine heikle Sache. Im Fernsehen gab es diese Geschichte, als Ulrich Deppendorf die Tagesthemen moderierte und ich den Nachrichtenblock las. An jenem Abend fing er an zu moderieren, obwohl er nicht dran war. Ich aber saß im Bild und hatte noch eine Meldung. Das brachte mich völlig um meine Contenance und ich kriegte Kicheranfälle wie ein Teenager.

Dabei war es ja eigentlich Ihr Markenzeichen, dass Sie stets distanziert und sachlich blieben – selbst bei Meldungen über sehr dramatische Ereignisse.

Brauner: Das ist meiner Meinung nach eine Verpflichtung für alle Nachrichtensprecher. Der Sprecher sollte ein neutrales Gesicht machen, um der Meldung die gebührende Neutralität zu geben. Karl-Heinz Köpcke hat mal in einer Sendung, das ist nun schon 30, 40 Jahre her, bei einer Meldung über Alice Schwarzer und das Thema Frauen-Emanzipation gelächelt. Da gab es einen Riesenaufstand, körbeweise Briefe, und er wurde als Machotyp beschimpft. 

"Beim Mauerfall merkte man meiner Stimme deutlich die Freude an"

Sie haben von 1965 bis 2004 in Radio und Fernsehen die Nachrichten gelesen. Welche Meldung hat Sie am stärksten bewegt?

Brauner: Das eine war das schreckliche Unglück mit der brennenden Concorde in Frankreich, da hat mich meine jüngere Tochter hinterher angerufen und gesagt: "Papi, du hattest gestern Schwierigkeiten bei der Meldung, nicht?" Sie hat bemerkt, dass meine Stimme da nicht so gefestigt klang wie sonst. Die zweite war der Fall der Mauer. Durch Zufall hatte ich am 9. November 1989 die 20-Uhr-Nachrichten, und wir meldeten das von den Öffentlich-Rechtlichen als Erste.

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Wenn man sich die Tagesschau von damals ansieht, wirken Sie aber eher unbewegt, oder täuscht der Eindruck?

Brauner: Das lag daran dass man anfangs noch gar nicht geschnallt hat, wie man das heute salopp sagen würde, was sich hier weltpolitisch anbahnte. Aber wenn Sie sich die Tagesschau vom folgenden Tag ansehen, da hatten wir die Bilder von der Mauer und den Vopos, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November ratlos dastanden. Hier merkte man meiner Stimme deutlich die Freude an, dass dieses Monstrum Mauer zu bröckeln scheint.

Sie hatten Ihre Kindheit und Jugend in der DDR verbracht und waren 1958 in die Bundesrepublik geflohen. Vom Fall der Mauer waren Sie also persönlich betroffen.

"Mutter und Geschwister sehen jetzt, dass ich diese Meldung vom Fall der Mauer lese"

Brauner: Mein Vater war leider zwei Jahre vorher gestorben, aber meine Mutter hat das noch erlebt. Ich erinnere mich an die Gedanken damals: Mutter und Geschwister in der DDR sehen jetzt, wie ich diese Meldung vom Fall der Mauer lese. Das war schon eine aufregende Zeit, ich bin glücklich, dass ich das miterleben durfte.

Sie haben im Lauf Ihrer Karriere aber nicht nur große Weltpolitik verkündet, sondern waren in den 70er und 80er Jahren auch Stadionsprecher beim HSV...

Brauner (lacht): Ja, das war die Glanzeit des HSV mit Kevin Keegan, als man auch noch Titel gewann. Ich bin nach wie vor mit Leib und Seele ein HSV-Fan. Bis heute gehe ich wenn möglich zu jedem Heimspiel und leide mit oder freue mich, je nachdem.

Ihre sonore Stimme ist ja legendär. Was haben sie getan, um Ihre Stimmbänder für den Dauereinsatz zu pflegen?

Brauner: Eigentlich nichts. Ich habe sogar mal sehr stark geraucht, etwa 30 Stück am Tag oder mehr.

Sie haben wirklich während Ihrer aktiven Zeit gequalmt?

Brauner: Eigentlich haben früher alle Sprecher geraucht, außer Werner Veigel. Ich habe das vor 16 Jahren abrupt aufgegeben, und es ist mir auch nicht schwer gefallen – nur beim Gewicht hat es sich leider etwas bemerkbar gemacht.