"Was nützt die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann?"

Ägyptische Frauen auf den Weg zur Arbeit.
Foto: epd-bild / Christof Krackhardt
"Was nützt die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann?"
Ein gutes Jahr nach dem arabischen Frühling kämpfen Frauen um ihre Rechte. Sie wehren sich gegen sexuelle Belästigung in Ägypten und setzten sich für die Trennung von Justiz und Religion in Tunesien ein.
14.08.2012
epd
Martina Zimmermann

"Was nützt die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann?" Diese Frage, die der Feministin Emma Goldman zugeschrieben wird, stellen sich im Jahr nach dem arabischen Frühling viele Frauen in Tunesien, Marokko, Ägypten. Sie versuchen, ihre Rechte zu verteidigen. Unterstützt werden sie vom "Fonds für Frauen im Mittelmeerraum".

"Die Frauen waren sehr präsent während der Revolution, sie haben oft in vorderster Front für eine gerechtere Gesellschaft gekämpft", urteilt die algerische Feministin Caroline Sakina Brac de la Perrière, Mitbegründerin des Fonds. "Doch nun stellen fundamentalistische oder auch konservative Bewegungen sogar die Rechte infrage, die sie bereits hatten." Sie berichtet von Genitalverstümmelung in Tunesien, Polygamie in Libyen und Jungfräulichkeitskontrollen in Ägypten.

Wille allein ist nicht genug

Caroline Sakina Brac de la Perrière hat in den 90er Jahren den Konflikt zwischen Fundamentalisten und Armee in ihrem Land erlebt. Damals wurden Mädchen entführt und vergewaltigt, Lehrerinnen ermordet, weil sie auf Französisch unterrichteten, und alle Frauen bedroht, die keinen Schleier tragen wollten. Sie weiß, dass der Wille und das Engagement der Frauen allein nicht ausreichen, um gegen Rückschritt und für bedrohte Rechte zu kämpfen: "Diese konservativen Kräfte haben enorm viel Geld. Deshalb haben wir unseren feministischen Fonds gegründet."

Unternehmen, private Sponsoren, Stiftungen, darunter die deutsche Filia Frauenstiftung und der Global Fund for Women, sowie die UN gehören zu den Unterstützern. Prominente Künstlerinnen engagieren sich für den bereits 2008 gegründeten Fonds, darunter die in Libanon geborene Choreographin Lamia Safieddine, die französische lyrische Sängerin Isabelle Druet sowie die algerische Folksängerin Souad Massi.

In den vergangenen vier Jahren hat der Fonds 47 Projekte mit insgesamt 100.000 Euro unterstützt. In Spanien finden Migrantinnen Hilfe bei häuslicher Gewalt, in Frankreich gab es Aktionen gegen Zwangsheirat.

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In Tunesien betreiben Frauen in diesen Wochen Lobbyarbeit für die neue Verfassung, die das Parlament im Oktober verabschieden soll. "In dieser Verfassung müssen Religion und Recht getrennt werden", fordert Rechtsanwältin Alia Cherif Chamani: "Die Trennung von Religion und Justiz ist ein Fundament für die Gleichheit der Frauen, egal wo. Die Frau hat in allen Religionen weniger Rechte." Der Fonds hat Treffen verschiedener Frauenorganisationen in Tunis organisiert, damit diese sich vernetzen und sich gemeinsam Gehör verschaffen können.

In Ägypten setzt sich der Fonds gegen sexuelle Belästigung ein. Westliche Reporterinnen haben sexuelle Gewalt auf dem Tahrir-Platz erlebt, als sie von der Revolution berichteten. Auch der Film "Kairo 678" von Mohamed Diab erzählt von dieser Gesellschaft, in der Männer tagtäglich ungestraft belästigen, begrapschen und vergewaltigen und in der Polizei und Familie von einer Anklage abraten. Das Thema ist tabu. Im Film wehrt sich schließlich eine der Hauptdarstellerinnen, in dem sie den Tätern im Bus in den Unterleib sticht.

Karte im Netz registriert Übergriffe

Der Fonds unterstützte die Gründung des Netzwerks "Harass Map" - eine Idee von vier jungen Ägypterinnen, die genug haben von der Belästigung, der Frauen ausgesetzt sind. Im Internet wird eine Art Landkarte erstellt mit den Übergriffen, die die Opfer per SMS mitteilen, erklärt die Journalistin Samia Allalou vom Fonds für Mittelmeerfrauen: "So konnten wir feststellen, an welchen Orten die Belästigung am schlimmsten ist."

In bestimmten Vierteln in Kairo wurden bis zu 100 Belästigungen am Tag gemeldet. Mit Hilfe der Karte, die im Internet laufend aktualisiert wird, versucht das Netzwerk, auch die Behörden zum Handeln aufzufordern."Mit diesen Zahlen sind die Frauen aufs Kommissariat gegangen und konnten der Polizei sagen: Eure Zahlen sind nicht exakt, wir haben andere Zahlen", sagt Samia Allalou.

Die Polizei unternehme meist wenig, um die Frauen besser zu schützen. Deshalb gingen Freiwillige zu den gemeldeten Orten, patrouillierten und sprächen mit den Jungen und den Männern im Viertel. Die betroffenen Frauen bekommen Hilfe - wer Anzeige erstatten will, erhält kostenlose Unterstützung von Juristen und Psychologen. Das Konzept wurde inzwischen auch von Organisationen in der Türkei übernommen und fand über die Mittelmeerregion hinaus Nachahmerinnen in Indien, Afghanistan und Indonesien.