Können syrische Kriegsverbrechen angeklagt werden?

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Diese bewaffneten Männer wurden von Regierungstruppen in Damaskus festgenommen.
Können syrische Kriegsverbrechen angeklagt werden?
Der Internationale Strafgerichtshof verfolgt noch keine Verbrechen, die in Syrien verübt wurden. Anders als vor einem Jahr in Libyen hat er dazu kein Mandat. Denn die internationale Justiz ist nicht frei von politischen Interessen.
05.08.2012
epd
Benjamin Dürr

Seit Monaten wird in Syrien gemordet - verfolgt werden die Gräueltaten bisher aber nicht. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, der weltweit Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen soll, hat noch keine Ermittlungen eingeleitet. Denn anders als vor einem Jahr in Libyen fehlt den Anklägern eine rechtliche Grundlage. Das Weltgericht ist abhängig von internationalen politischen Entscheidungen.

Der Internationale Strafgerichtshof kann nur Verbrechen in seinen 121 Mitgliedsstaaten verfolgen. Syrien ist noch nicht beigetreten. Jedoch: "Es gibt eine Ausnahme: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen könnte Untersuchungen anordnen und das Gericht beauftragen", erklärt Christoph Safferling, Professor für Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Philipps-Universität Marburg.

"Eine politische Entscheidung"

"Ob der Strafgerichtshof in Syrien ermitteln kann, ist also eine politische Entscheidung", fügt er hinzu. Die Vetomächte Russland und China blockieren bisher im Sicherheitsrat strengere UN-Resolutionen gegen das Assad-Regime. Das Tauziehen betrifft nicht nur eine mögliche militärische Intervention und Sanktionen, sondern auch die Verfolgung der Verbrechen.

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Menschenrechtler rufen die Staaten auf, sich zu einigen. "Wir fordern, dass der Weltsicherheitsrat Den Haag mit der Strafverfolgung beauftragt", sagt Ferdinand Muggenthaler von Amnesty International. Seine Organisation habe genügend Beweise, die eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechtfertigen würden.

Unter diesen Tatbestand fallen die Angriffe auf unbewaffnete Demonstranten, systematische Folter und das Ausschalten von Oppositionellen. "Diese Verbrechen beobachten wir schon seit Beginn des Konflikts," sagt Muggenthaler. Auch die systematischen Angriffe auf ganze Ortschaften, wie im Mai in Hula, gelten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

"Noch nicht genügend gesicherte Erkenntnisse"

Seit die Lage als bewaffneter Konflikt eingestuft wird, könnte ein zweiter Anklagepunkt hinzukommen: Kriegsverbrechen. Darunter fällt beispielsweise das Töten von Zivilisten. "Dafür haben wir bisher allerdings noch nicht genügend gesicherte Erkenntnisse," erklärt Muggenthaler.

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Auch wer sich in einem möglichen Verfahren verantworten müsste, sei noch nicht klar. "Es liegt aber nahe, dass gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad Anklage erhoben werden müsste", betont Muggenthaler. Der Strafrechtler Safferling fordert, dass das Weltstrafgericht auch die Rolle der Regime-Gegner untersuchen muss: "Auch die Untaten der Rebellen müssen auf den Tisch."

Der Ruf nach dem Strafgerichtshof im Fall Syrien wird lauter: Der ehemalige französische Außenminister, Bernard Kouchner, forderte schon im Juni Ermittlungen. Weil eine militärische Intervention keine Zustimmung finde, sei Gerechtigkeit die einzige verbleibende Lösung, schrieb er in der "New York Times".

"Ein Zeichen, dass Menschenrechtsverletzungen nicht ungestraft bleiben"

Solchen Aufrufen widerspricht Hans-Peter Kaul, der deutsche Richter am Internationalen Strafgerichtshof. Das Gericht einzuschalten, könne nicht als Ersatz dafür herhalten, dass sich der UN-Sicherheitsrat im Syrien-Konflikt nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen könne, warnte Kaul im Berliner "Tagesspiegel" vom 6. August. Außerdem wären Untersuchungen in Syrien schwierig, solange dort kein Waffenstillstand herrscht.

Dennoch sind Menschenrechtler wie Juristen überzeugt, dass eine Aufarbeitung vor dem Strafgerichtshof für Gerechtigkeit und Stabilität sorgen könnte. "Von einem Verfahren geht immer auch eine präventive Wirkung und ein Zeichen aus: dass Menschenrechtsverletzungen nicht ungestraft bleiben", sagt Amnesty-Sprecher Muggenthaler.