Der Apfelbaum der Erkenntnis auf der Documenta 13

Foto: epd-bild/Andreas Fischer
Der Apfelbaum der Erkenntnis auf der Documenta 13
Warum der Korbinians-Apfelbaum ein Documenta-Kunstwerk ist
Der Korbinians-Apfelbaum ist ein besonderes Exponat auf der Documenta 13 in Kassel: Er erinnert an Pfarrer Korbinian Aigner, der im KZ Dachau heimlich Äpfel züchtete. Nach dem Krieg widmete er sich mit Higabe der Obstkunde.

7.000 Eichen ließ einst der Künstler Joseph Beuys in Kassel pflanzen und prägte damit das Gesicht und den Ruf der Documenta-Stadt nachhaltig. Das Bäumchen, das rund 30 Jahre später Carolyn Christov-Bakargiev, Chefin der Documenta 13, in der Karlsaue pflanzte, nimmt sich dagegen bescheiden aus. Und doch ist dieser zu einem Kunstwerk erhobene unscheinbare Stamm etwas ganz Besonderes. Denn die künstlerische Leiterin setzte einen Korbinians-Apfelbaum in die Erde und erinnerte damit an den bayerischen "Apfelpfarrer" Korbinian Aigner (1885-1960), der als Gefangener im Konzentrationslager Dachau heimlich Äpfel züchtete.

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Während das Bäumchen im Park leicht zu übersehen ist, stoßen Besucher der Weltkunstausstellung an prominenterem Ort noch einmal auf den Namen Korbinian Aigner: Im Fridericianum, dem traditionellem Hauptort der Documenta, finden sich in einem Raum Apfel-Bilder des katholischen Priesters, der sich auch als Künstler betätigte. In einem Zeitraum von 50 Jahren schuf Aigner rund 900 Zeichnungen im Postkartenformat - durchnummerierte Aquarelle, die verschiedene Äpfel und Birnen einzeln oder in Paaren darstellen.

Er weigerte sich, Kinder auf den Namen Adolf zu taufen

An der Wand hängt auch die Nummer 600: Das Bild zeigt ein Apfelpaar, das Aigner "KZ-3" taufte, weil es eine der vier Sorten war, die er im KZ Dachau züchtete. Für den Geistlichen, der in der Perfektion der Frucht die göttliche Schöpfung bewunderte, war die lakonische Namensgebung  wohl so etwas wie eine Mahnung. Später, zum 100. Geburtstag Aigners, wurde der KZ-3 in "Korbiniansapfel" umbenannt.

epd-bild/Andreas Fischer

Wer war nun dieser Korbinian Aigner, dem auf der weltgrößten Kunstausstellung fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod ein Denkmal gesetzt wird? Der Dorfpfarrer aus dem Landkreis Freising zeigte sich offen als Gegner des NS-Regimes, als er in den 1930er-Jahren in seinen Predigten gegen die Nazis wetterte. Er weigerte sich, Kinder auf den Namen Adolf zu taufen und erkannte die Hakenkreuzfahne nicht als deutsche Nationalflagge an.

1940 wurde er aufgrund einer Denunziation verhaftet und kam ins Gefängnis, danach musste er in den KZs Sachsenhausen und Dachau Zwangsarbeit leisten. Aber auch an diesen Schreckensorten demonstrierte er ungebrochenen Widerstand und züchtete heimlich hinter einer Baracke einige Apfelbäume. Hier entstanden die Sorten KZ-1, KZ-2, KZ-3 und KZ-4. Aigner überlebte das KZ und widmete sich nach dem Krieg in seiner Pfarrgemeinde Hohenbercha mit Leidenschaft der Obstkunde, bis er 1966 starb.

KZ-Äpfel - "Was ist daran Kunst?"

Aigners KZ-Äpfel, so kann man im Documenta-Begleitbuch nachlesen, seien "ein bewegendes Symbol für den Holocaust als den Sündenfall der Moderne." Trotzdem stutzen viele Besucher: "Was ist daran Kunst?", fragen sie verunsichert, wenn sie über das Gelände flanieren und auf das Korbiniansbäumchen stoßen. Anders als etwa Beuys "7.000-Eichen-Projekt" fehlt dem dürren Stamm die Ausstrahlung einer spektakulären Kunstaktion.

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Klaus-Peter Sondergeld ist einer der sogenannten "Worldly Companions", die als geschulte Laien im Auftrag der Documenta-Leitung die ausgestellte Kunst vermitteln sollen. Der 60-jährige Mathematiker aus Kassel macht sich die Position von Christov-Bakargiev zu eigen, nach deren Konzept die Frage zur Definition von Kunst unerheblich sei. "Die Frage ist, ob es Wirkung hat", erklärt Sondergeld seinen Gruppen: "Wenn ein Mensch diesem Apfelbaum begegnet, und dadurch etwas in ihm ausgelöst wird, dann ist es Kunst".

Natürlich soll der Korbiniansapfelbaum auch nach den hundert Documenta-Tagen weiter in der Kasseler Karlsaue wachsen, Früchte tragen und seine Botschaft in die Welt schicken. Die Tat der Documenta-Chefin, die sich zu anderen Gelegenheiten als eher kirchenkritische Zeitgenossin profilierte, erinnert an das berühmte Luther-Zitat: "Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen."