Warum der Koran nicht in die Tonne kommt

epd-bild/Stefan Boness
Salafisten verteilen in Berlin Koran-Exemplare.
Warum der Koran nicht in die Tonne kommt
Religiöse Regeln für die Entsorgung von Heiligen Schriften
Die drei großen Religionen Judentum, Christentum und Islam haben nicht nur ihren einen Gott gemeinsam. Sie sind sich auch darin einig, wie mit ihren heiligen Schriften zu verfahren ist.
19.04.2012
epd
Judith Kubitscheck

Die Koranverteilung von Salafisten in verschiedenen Städten sorgt für Diskussionen: 25 Millionen deutschsprachiger Koran-Exemplare, also rund 360 Lastwagen voller Bücher, wollen die extremistischen Muslime unters Volk bringen.

Dieser Aktion stehen nicht nur Politiker, sondern auch viele Muslime kritisch gegenüber. Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, sagte in einem Interview, dass die Weitergabe des Korans eigentlich ein gutes Werk sei. Eine millionenfache Verteilung jedoch sehe er kritisch, da das "Wort Gottes" kein Flugblatt sei, das man als Massenware verteile solle. Außerdem befürchte er, dass der Koran im schlimmsten Fall als Altpapier weggeworfen werde.

Besser den Koran beerdigen anstatt ihn zu verbrennen

Die Vorstellung, dass ein Koran in der Tonne landet, ist für die meisten Muslime unerträglich. Erst im Februar hatte die Verbrennung von Koranausgaben durch US-Militärs in Afghanistan zu Protesten und tödlichen Unruhen geführt: "Der Koran ist für Muslime die wörtliche Offenbarung Gottes", sagt Abdurrahim Kozali, der die Professur für Islamisches Recht und Glaubenspraxis am Zentrum für interkulturelle Islamstudien an der Universität Osnabrück innehat. Deshalb hätten die Muslime schon immer versucht, den Koran respektvoll zu behandeln. Der Koran dürfe laut islamischem Recht nicht ohne rituelle Waschung berührt werden oder auf dem Boden liegen.

Wenn arabischsprachige Korane alt und unlesbar sind, solle man sie nach Meinung der meisten Gelehrten wie einen Toten in ein Tuch wickeln und beisetzen, erläutert Kozali. Dabei müsse darauf geachtet werden, dass dieser Ort sauber sei und nach der "Bestattung" nicht mehr betreten werde. Eine Minderheit unter den Rechtsgelehrten ist laut Kozali der Auffassung, dass in die Jahre gekommene Korane nicht vergraben, sondern verbrannt werden sollten.

Sie berufen sich auf den Kalif Osman (644-656 n. Chr.), der nach der Redaktion des offiziellen Korantextes andere Versionen verbrennen ließ. Damit habe Osman jedoch nicht reguläre Korane entsorgen, sondern Diskussionen und Verwirrungen verhindern wollen, ist der islamische Theologe überzeugt. Aus diesem Grund sei die Beerdigung des Heiligen Buches einer Verbrennung vorzuziehen.

Dank Beerdigung bedeutende archäologische Schätze gefunden

"Der Koran ist für Muslime Symbol für das Heiligste überhaupt", sagt Hartmut Bobzin, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Deshalb sei es nicht verwunderlich, dass Muslime dem Koran besonderen Respekt erweisen. Wahrscheinlich stamme der ehrfurchtsvolle Umgang mit einer Heiligen Schrift aus dem Judentum, vermutet der Islamwissenschaftler.

Die genannten Regeln und Entsorgungsvorschriften gelten nach Ansicht der meisten islamischen Gelehrten jedoch nur für arabische Korane. Denn nur sie seien offenbartes Wort Gottes. Übersetzungen des Korans werden deshalb "Übertragung" genannt. Auch auf dem Verteilkoran der Salafisten steht deshalb: "Der edle Qur'an. Die ungefähre Bedeutung in der deutschen Sprache."

Im Judentum werden Texte, in denen der hebräische Gottesname vorkommt, nicht weggeworfen. Stattdessen werden sie meist in Synagogen an einem abgeschotteten Ort, einer "Geniza",  aufbewahrt.  Das Begraben und Verstecken von Schriften ist der Grund, weshalb in den letzten Jahren bedeutende archäologische Schätze gefunden werden konnten. Zu diesen zählen alte Koranhandschriften in der großen Moschee von Sanaa im Jemen, oder die berühmte Kairoer Geniza.

Gehört eine alte Bibel auf den Friedhof?

Auch die katholische Kirche rät zum Bestatten einer unleserlichen oder beschädigten Bibel: Laut einem Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz sollte sie in geweihter Erde, beispielsweise auf dem Friedhof begraben werden. Diese Vorschrift sei allerdings nicht kirchenrechtlich festgelegt. Generell sei der Inhalt des Buches entscheidend, nicht das Buch an sich.

Johannes Friedrich, Vorsitzender der Deutschen Bibelgesellschaft  mit Sitz in Stuttgart und ehemaliger Bischof der evangelischen Landeskirche in Bayern, sagte, es gebe für Protestanten keinerlei Regeln, was die Bibelentsorgung betrifft. "Nach unserer Auffassung ist die Bibel Gottes Wort, das durch Menschen aufgeschrieben worden ist. Gott kann also nicht beleidigt werden, wenn wir die Bibel nicht ehrfürchtig behandeln." Aber die Gefühle anderer Menschen könnten verletzt werden.