Mohammed Mursi - ein Präsident unter Vorbehalt

Foto: dpa/Mohamed Abdel
Zwei Tage nach seiner Wahl traf sich Mohammed Mursi am 26. Juni in Kairo mit koptischen Bischöfen. Eine wichtige Geste - doch die Christen in Ägypten sind nicht ganz sicher, ob es ihnen unter dem neuen Präsidenten besser gehen wird.
Mohammed Mursi - ein Präsident unter Vorbehalt
Der neu gewählte ägyptische Präsident Mohammed Mursi hat am 30. Juni vor dem Verfassungsgericht in Kairo den Amtseid abgelegt. Mursi ist der erste frei gewählte Präsident des Landes. Der 60-jährige Islamist war bis vor kurzem Funktionär der Muslimbruderschaft. Die koptischen Christen in Ägypten befürchten weitere Diskriminierungen - auch wenn sie eine Geste von Mursi anerkennen: Er hat bereits Gespräche mit Führern der Kopten aufgenommmen.


Das Ergebnis der ägyptischen Präsidentschaftswahlen war für viele Beobachter eine handfeste Überraschung. Mit Mohammed Mursi soll erstmals ein Vertreter der bislang verbotenen Muslimbruderschaft das wichtigste Amt des Landes übernehmen. Dabei hatte es in den vergangenen Wochen so ausgesehen, als ob die mächtigen Militärs des Landes genau dies verhindern wollten.

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Dass jetzt doch ein Muslimbruder dem gestürzten Präsidenten Mubarak nachfolgen soll, wird von vielen daher als cleverer Schachzug des herrschenden Militärrates gesehen. Die Generäle übertragen das undankbare politische Tagesgeschäft auf die politisch unerfahrenen Muslimbrüder und haben sich selbst weitreichende Befugnisse und Einspruchsrechte in zentralen politischen und militärischen Fragen gesichert.

Gerüchte: Alkoholverbote, Bekleidungsvorschriften, Zensur

Manche Beobachter spekulieren sogar, dass die Militärs den neuen Präsidenten im Amt scheitern lassen wollen, um die Popularität der Muslimbruderschaft zu brechen. In jedem Fall werden die Generäle jeden Schritt des neuen Präsidenten genau beobachten und bei Bedarf einschreiten. Eine ägyptische Tageszeitung titelte am Tag nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses deshalb treffend: "Mursi gewählt, Militärs weiter im Amt"

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Ungeachtet aller Beschränkungen und Vorbehalte werden der neue Präsident und seine Regierung aber eigene Akzente setzen müssen. An die Muslimbrüder wird von vielen Ägyptern die Erwartung einer islamisch gerechten politischen Ordnung geknüpft. Doch die Chancen auf mehr Wohlstand und Gerechtigkeit stehen schlecht. Wirtschaft und Tourismus liegen am Boden, die Devisenreserven schrumpfen und die Kriminalität steigt. Viele Säkulare und Liberale befürchten daher, dass die neue Regierung versuchen wird, mit islamischer Symbolpolitik bei ihren Wählern zu punkten. Schon jetzt machen Gerüchte über Alkoholverbote, der Verschärfung von Bekleidungsvorschriften und neue Zensurpraktiken die Runde. Für Tourismus, Frauen, Kunst und Kultur könnten diese Maßnahmen verheerende Auswirkungen haben.

Atmosphäre der Anfeindungen gegenüber Christen

Sorgen machen sich aber auch Ägyptens Christen. Schon jetzt ist Ägypten ein islamischer Staat und die Scharia Hauptquelle des Rechts. Vielfältige Diskriminierungen sind die Folge: beim Kirchenbau, bei den Lehrplänen und bei der Vergabe von öffentlichen Ämtern. Gravierender als konkrete politische und juristische Benachteiligungen ist für die Kopten aber die gesellschaftliche Stimmung im Land. Die allgemeine Islamisierung erzeugt eine Atmosphäre, in der Anfeindungen und Übergriffe gegen Christen auf fruchtbaren Boden fallen. Alltägliche Konflikte um Land und Geld oder Beziehungsstreitigkeiten eskalieren so immer häufiger zu Religionskonflikten. Seit Jahren schon nehmen Übergriffe gegen Kopten und Anschläge auf Kirchen zu. Meist bleiben sie ungestraft. Die Kirche reagiert auf die schwieriger werdende Lage mit Abschottung und verstärkt damit das Problem. Ein interreligiöser Dialog findet nicht statt.

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Die Wahl eines Muslimbruders zum neuen ägyptischen Präsidenten trifft die Christen des Landes in einer Phase der Orientierungslosigkeit. Im März starb Papst Shenouda III, ein Nachfolger wurde noch nicht gewählt. Der neue Präsident war deshalb umgehend bemüht, den Ängsten der Christen entgegenzuwirken. Wenige Tage nach Bekanntgabe seines Wahlsiegs traf Mursi sich mit den wichtigsten Führern der koptisch-orthodoxen Kirche. Gleichzeitig kamen Gerüchte auf, nach denen er einen Kopten zu einem seiner Stellvertreter ernennen wolle. Für viele Christen sind das wichtige Gesten. Aber sie bezweifeln, dass Mursi konkrete Verbesserungen ihrer Lebenssituation gegen die Interessen islamistischer Hardliner durchsetzen wird. Auch bei ihnen wird der neue Präsident daher ein Präsident unter Vorbehalt sein.