Studie: Ärzte und Kliniken kassieren für Patienten-Zuweisungen

dpa/Tobias Hase
Studie: Ärzte und Kliniken kassieren für Patienten-Zuweisungen
Im deutschen Gesundheitswesen werden Prämien für die Zuweisung von Patienten bezahlt. Die Krankenkassen haben nie geglaubt, dass es sich um Einzelfälle handelt. Eine Studie bestätigt das nun und benennt Geber und Nehmer.
22.05.2012
epd
Bettina Markmeyer

Fangprämien für die Zuweisung von Patienten sind im deutschen Gesundheitswesen gängige Praxis. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung, die der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) am Dienstag in Berlin vorstellte. Jeder fünfte niedergelassene Arzt, jedes vierte Krankenhaus und jeder zweite Anbieter im nicht-medizinischen Sektor bezeichnet danach Zuweisungen gegen Entgelt als übliche Praxis.

Von Einzelfällen könne keine Rede sein, sagte Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes. Rechne man die Ergebnisse hoch, verstießen allein 27.000 Vertragsärzte gegen das Berufsrecht. Würde hier Strafrecht angewendet, würde sichtbar, welches Korruptionspotential im deutschen Gesundheitswesen bestehe, erklärte Kiefer.

Nur die Hälfte der Ärzte, ein Fünftel der nicht-medizinischen Anbieter und knapp die Hälfte der befragten leitenden Angestellten in Krankenhäusern gaben der Studie zufolge an, dass Zuweisungen gegen Entgelt nicht vorkommen. Das ist die Minderheit. Die Mehrheit ist offenbar vom Gegenteil überzeugt.

Viele Ärzte haben keine Bedenken

Erschreckend hoch ist der Studie zufolge die Gleichgültigkeit gegenüber den berufsrechtlichen und sozialgesetzlichen Regelungen. Zwar wissen vier Fünftel der Ärzte, Krankenhausmanager und nicht-medizinischen Anbieter, dass Zuweisungen gegen Entgelt verboten sind, doch sehen knapp 45 Prozent darin nur eine Handlungsorientierung. Jeder Zweite zieht sich darauf zurück, die Rechtslage sei unübersichtlich.

Während Ärzte und Krankenhäuser sowohl Geber als auch Nehmer von Vergünstigungen sind, sind die nicht-medizinischen Anbieter eindeutig die Zahlmeister. Zwei von drei Sanitätshäusern, Orthopädietechnikern, Hörgeräteakustikern oder Physiotherapeuten vergüten den Ärzten häufig oder gelegentlich, dass sie ihnen Patienten schicken. An der Spitze liegen Orthopädieschuhmacher und Hörgeräteakustiker. Mehr als 70 Prozent lassen "ihren" Ärzten häufig oder gelegentlich etwas zukommen.

Dabei handelt es sich nicht nur um Zahlungen, sondern auch um Sachleistungen, etwa die Übernahme von Tagungskosten, oder es werden Geräte unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Befragt, wie oft ein Betrieb selbst in eine solche Situation gekommen und nicht nur von ihr gehört oder sie mitbekommen hat, erklärte jeder zweite nicht-medizinische Anbieter, er habe einem Arzt eine zusätzliche Vergütung gewährt.

Fangprämien gelten als Kavaliersdelikte

GKV-Spitzenverbands-Vorstand Kiefer forderte die Kassenärztlichen Vereinigungen auf, mit den Kassen zusammenzuarbeiten. Da es bisher an Kontrollen und Sanktionen mangele, würden Fangprämien offenbar als ein Kavaliersdelikt angesehen. Die Anlaufstellen der Landesärztekammern würden bisher praktisch nicht genutzt. Nur drei Prozent der Ärzte und 16 Prozent der Kliniken suchten dort Rat.

Die nicht-medizinischen Anbieter wehrten sich indes häufiger gegen Forderungen aus der Ärzteschaft, sagte Kiefer. Ein Drittel schalte die Berufsverbände ein. Die Patienten müssten sich aber darauf verlassen können, dass Ärzte sie allein aus medizinischen und nicht aus finanziellen Gründen zu Fachkollegen oder in eine bestimmte Klinik schicken.

Die Ergebnisse der ersten empirischen Studie über Zuweisungen gegen Entgelt beruhen auf einer repräsentativen Befragung von 600 niedergelassenen Ärzten, 360 nicht-medizinischen Anbietern und 180 leitenden Krankenhausangestellten durch das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid. Ausgewertet wurden die Daten durch den Strafrechtler Kai Bussmann vom Forschungszentrum für Wirtschaftskriminalität an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.