The Show must go on?

The Show must go on?
Das Wort zum Sonntag mit Pfarrerin Annette Behnken
16.05.2020 - 21:35
14.05.2020
Annette Behnken

Das Wort zum Sonntag / Das Erste, Samstag, 16.05.2020, ca. 21:30 Uhr

Pastorin Annette Behnken, Loccum

 

„Wenn in China ‘n Sack Reis umfällt? Dann klingt das heute anders, als noch vor ein paar Monaten. Alles ist anders, als vor

paar Monaten. Sogar der Eurovion Song Contest. Jetzt hier in Hamburg und gleich aus Hilversum. 

Es ist nicht egal, wenn in China ein Sack Reis umfällt oder eine Fledermaus hustet. Eine zweischneidige Erkenntnis. Nichts ist egal auf diesem Globus, auf dem alles mit allem zusammenhängt. Wir merken‘s oft nur nicht mehr oder machen die Augen davor zu, dass das selbstgemacht ist, was gerade passiert. Wir zerstören Lebensräume, wir zerstören Vielfalt. Mit unheimlicher Schnelligkeit und Gewinnorientierung. Und schaffen damit genau die Bedingungen, über die sich so ein Virus freut. Wir merken nicht mehr, dass alles mit allem verwoben ist. Jetzt haben wir es zu spüren bekommen. So richtig. In der Krise. Und vorbei ist die noch lange nicht. Und nun: The show must go on?

Ich bin froh, dass in den vergangenen Monaten Wasser, Strom, Nachrichten, Informationen weitergeflossen sind. Der Müll abgeholt wurde, ich zum Arzt hätte gehen können. Außer Klopapier und Mehl gab‘s im Supermarkt alles und davon viel. Ich bin froh, dass es all diese systemrelevanten Menschen, Einrichtungen und Dinge gibt, die uns durch die Krise tragen. Und jetzt? Ist uns wieder nach Party?

Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Klopapier, Pasta und Mehl sind wieder ausreichend vorhanden. Jetzt suchen wir die anderen Lebens-Mittel. Die, die nicht systemrelevant sind. Aber lebensrelevant.

Klar, alle gucken mehr Fernsehen als vor Corona. Streamingdienste und Andere freuen sich. Aber unglaublich viele Menschen, doppelt so viele wie vor Corona, gucken im Fernsehen ausgerechnet: Gottesdienste. Ob das systemrelevant ist? Auf jeden Fall ist es lebensrelevant. So deutlich wie lange nicht merken wir, dass ganz grundlegend etwas aus den Fugen geraten ist. Wir sind erschüttert in unseren Grundfesten und suchen nach Boden unter den Füssen, nach etwas, das trägt, auch durch solche Zeiten. Nach Glaube, nach Poesie, nach Musik. Es sind diese Dinge, die keinen Zweck haben. Eine blühende Rose – die Ros ist ohn Warum sagte der Mystiker Angelus Silesius. Es sind diese Dinge, die Lebensmittel sind für Geist und Seele. Die uns diesen atmenden Kosmos spüren lassen, in dem wir zu Gast sind.

In diesen Tagen atmen wir vorsichtig wieder auf. Jetzt könnte sie vorsichtig wieder anfangen zu klingen – die Melodie des Lebens. Das ganze Leben ist doch Klang, Musik. Dur und Moll und beides durcheinander. Das Leben ist mal Ode an die Freude, mal atemlos. Amazing grace und All the good girls go to hell. Mal Waterloo, mal Sattelite.

Wer sich von Musik berühren lässt, ist musikalisch. Wer sich vom Leben berühren lässt. Wer spürt, dass es hinter der Welt der Dinge eine andere Welt gibt, ist religiös. Das ist mein Glaube. Diese andere Welt ist, wie die Musik, nicht sichtbar, nicht greifbar. Es ist ein Spüren, dass die Welt mehr ist, als die Dinge, die wir sehen. Dass wir verwoben sind in einem großen, lebendigen Organismus.

The show must go on? Naja. Die Show geht ja eben nicht einfach so weiter wie bisher. Alles ist anders. Weil es eben nicht egal ist, wenn irgendwo ein Sack Reis umfällt, `ne Fledermaus hustet. Eine Rose blüht. Ein Gebet gesprochen wird. The show must go on. Anders, als bisher. Ganz anders. Eine Riesenaufgabe und eine Riesenchance. Das lasst uns feiern.

 

14.05.2020
Annette Behnken