Gewissheit über den Uropa

Gewissheit über den Uropa
Tausende suchen weiter nach Vermissten des Zweiten Weltkriegs
Millionen Menschen hat der DRK-Suchdienst nach dem Zweiten Weltkrieg beim Wiederfinden ihrer Verwandten geholfen - oder bei der Klärung, wo ein Vermisster gestorben ist. Die Suche nach Gewissheit ist bis heute ungebrochen. 9.000 Anfragen gab es 2018.
29.08.2019
epd
Von Corinna Buschow (epd)

Berlin (epd). Mit dem Armband ihrer Oma hat Lara Radings Suche nach dem Schicksal ihres Uropas begonnen. Das Schmuckstück zieren viele Anhänger, einer für jedes Familienmitglied. Die Sternzeichen der Verwandten sind darauf zu sehen. Der mit der Jungfrau hat auf der Rückseite die Gravur "vermisst im Osten 1944". Gemeint ist ihr Urgroßvater, der aus dem Zweiten Weltkrieg nicht zurückkehrte. Lara wurde neugierig. Im Rahmen einer Schülerarbeit forschte sie nach dem Schicksal des Urahnen. Seit diesem Jahr herrscht nun für die Familie Klarheit über den Verbleib von Horst Evers.

Noch vor Kriegsende ist er in einem sowjetischen Lager in der heutigen Ukraine gestorben. Todesursache: Unterernährung. Der Familie habe die Gewissheit geholfen, erzählte Lara Rading am Donnerstag in Berlin. Herausbekommen hat sie das Schicksal des Uropas über den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Nach dem Zweiten Weltkrieg half er getrennten Familien beim Wiederfinden. Bis heute klärt er Schicksale Vermisster auf.

Das Interesse daran ist bis heute hoch: Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres seien knapp 4.800 Anfragen beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) eingegangen, sagte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt am Donnerstag in Berlin. Im gesamten Jahr 2018 gab es nach ihren Worten mehr als 8.900 Suchanfragen. Auch in diesem Jahr rechnet die Hilfsorganisation mit rund 9.000 neuen Fällen.

Immer wieder gibt es bis heute Sucherfolge, selbst wenn frühere Versuche ins Leere liefen. Nach Laras Uropa haben schon andere Angehörige gesucht. Ihr konnte der Suchdienst nun helfen, weil zwischenzeitlich Archivbestände aus Russland neu zur Verfügung gestellt wurden. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, dessen Beginn sich am Sonntag (1. September) zum 80. Mal jährt, erreichten die Organisation nach eigenen Angaben 14 Millionen Anfragen zu Vermissten. In 8,8 Millionen Fällen habe man klärende Auskünfte an Angehörige erteilen können.

74 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nähert sich aber auch das weitgehende Ende der Suche nach Vermissten. Die Förderung für die Suche nach Weltkriegsvermissten vom Bundesinnenministerium läuft noch bis Ende 2023. Eine entsprechende Vereinbarung hatten die Organisation und der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) 2017 unterzeichnet.

Die Arbeit geht dem Suchdienst dennoch nicht aus. Auch heute hilft er Familien, die durch bewaffnete Konflikte, Katastrophen, Flucht oder Migration getrennt wurden. Von Januar bis Ende Juni 2019 gab es 1.034 neue Anfragen in diesem Bereich, wie aus der Bilanz hervorgeht. Zu den Hauptherkunftsländern zählen Irak, Syrien und Somalia. Im Gesamtjahr 2018 waren es knapp 2.300 Fälle. Weltweit wird nach Angaben des Suchdienstes aktuell nach mehr als 140.000 Vermissten gesucht.

Heute gibt es eine Foto-Datenbank, die die Suche erleichtert. Mobiltelefone und soziale Netzwerke machen den Kontakt nach dem Wiederfinden einfacher als vor 70 Jahren. Dennoch bleibt die Suche oft schwierig, wie Hasselfeldt sagte. Die Zufriedenheit über ein Wiederfinden oder die Gewissheit über ein Schicksal dürften damals wie heute aber ähnlich sein. Lara Rading will nun mit der Familie das Grab des Uropas in der Ukraine besuchen. Und das Armband ihrer Oma soll einen neuen Anhänger bekommen - wieder mit der Jungfrau, aber diesmal mit der Gravur "gestorben am 24.3.1945".