Gauck: Pöbler von Dresden haben Kultur des Diskurses verlassen

Gauck: Pöbler von Dresden haben Kultur des Diskurses verlassen
Führende Politiker wurden am Tag der Deutschen Einheit in Dresden wüst beschimpft. Ziel der Beleidigungen war auch Bundespräsident Gauck. Er sieht eine Grenze in der Auseinandersetzung erreicht: Die Pöbler hätten die Kultur des Diskurses verlassen.

Nach den Beschimpfungen von Spitzen des Staates bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden sieht Bundespräsident Joachim Gauck Grenzen im Dialog mit sogenannten Wutbürgern. Die Kultur des Diskurses sei verlassen, "wenn Leute hasserfüllt und aggressiv zum Ausdruck bringen, dass Politiker ganz generell Abschaum sind ", sagte das Staatsoberhaupt in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wir befinden uns in einer Zeit, in der allzu oft Anstandsregeln und Respekt missachtet werden", ergänzte Gauck.

"Hassen, soviel Ihr wollt"

Andersdenkenden werde nicht mit dem Argument begegnet, sondern teilweise mit Bosheit und Hass. Die dahinterliegende Wut passe aber nicht zu den Verhältnissen in Deutschland, sagte der Bundespräsident. Das Land sei geprägt von Rechtssicherheit, stabilen Institutionen, sozialer Sicherheit, Demokratie und der Freiheit jedes einzelnen, "so wie wir es niemals zuvor in Deutschland hatten". "Wir leben nicht in der Weimarer Zeit", betonte Gauck.

Der Bundespräsident sagte, denen, die sprechen wollen und Argumente benutzen, solle jede Brücke gebaut werden. "Aber nicht denjenigen, die mit Hass oder Wut oder sogar mit Straftaten auf eine Gesellschaft und ihre politischen Vertreter reagieren, die von der ganz breiten Mehrheit der Bevölkerung so gewollt und so gewählt wurden", betonte er. Ihnen solle jeder entgegenhalten: "Ihr könnt hassen, soviel Ihr wollt. Dieses Deutschland werdet Ihr nicht in die Hand bekommen."

Gefragt nach den Gründen, warum er sich nach den Beleidigungen, die er in Dresden und Ende Juni auch bei einem Besuch in Bautzen erlebte, gegen eine strafrechtliche Verfolgung entschied, sagte Gauck: "Ich wollte diese Leute nicht adeln, indem ich sie so ernst nehme, dass ich ihnen eine Anzeige ins Haus schicke."

Gauck appellierte, der Blick in die eigene Geschichte könne "uns etwas gelassener sein lassen, als wir es manchmal sind". Er verwies auf die frühen Auseinandersetzungen in der alten Bundesrepublik, an den Streit um die Wiederbewaffnung, die Westbindung, den RAF-Terror. "Das war teilweise beunruhigender und bedrückender als die gesellschaftlichen Verhältnisse in unserem Land heute", sagte er.

Zwei verschiedene Kulturen in Deutschland

Dass besonders im Osten Deutschlands viel Unmut über die derzeitige Situation zu vernehmen ist, erklärt Gauck mit zwei nicht identischen politischen Kulturen im wiedervereinigten Deutschland. Im Osten befinde sich ein Teil der Gesellschaft noch in einem Veränderungsprozess, sagte er. In der Zeit des Übergangs nach 1989 hätten viele Menschen Plätze eingenommen, die ihnen vorher verschlossen waren, sagte Gauck und nannte als Beispiele Parlamente, Rathäuser oder Unternehmen. Andere hätten sich nicht "auf den auch mühsamen Weg der Demokratie" gemacht. "Sie waren eher geprägt von Mutlosigkeit wie es viele Seelen in der Diktatur sind", sagte er.

Im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik und den Integrationsbemühungen hob Gauck aber auch das zivilgesellschaftliche Engagement hervor. "In jedem Ort dieses Landes leben Menschen, die sich nicht nur um sich kümmern, sondern um das Gemeinwesen, die freiwillig Not lindern wollen oder sozial Schwachen helfen", sagte er. Begegnungen mit diesen Menschen seien für ihn "Inspiration und Kraftquelle". In mehreren Jahrzehnten habe sich in der Bundesrepublik ein "echtes Bürgerbewusstsein in einer Bürgergesellschaft" entwickelt. Der Osten habe diesen Prozess lange nicht mitmachen können. "Gerade deshalb sind dort die Freiwilligen und Engagierten besonders zu loben", betonte der Bundespräsident.