Luftwurzeln schlagen

epd-bild/Alasdair Jardine
Der Verleger Madjid Mohit in seinem Verlag in Bremen. Das deutesche PEN-Zentrum zeichnet ihn für seine Verlagsarbeit aus.
Luftwurzeln schlagen
Das deutsche PEN-Zentrum zeichnet den Bremer
Madjid Mohit für seine Verlagsarbeit aus

Von Dieter Sell (epd)
Der Mann ist ein Wanderer zwischen den Kulturen, schlägt Brücken zwischen Orient und Okzident: Madjid Mohit hat in Bremen einen Verlag gegründet, der in Deutschland seinesgleichen sucht. Einen Verlag für «Luftwurzelliteratur».
11.11.2015
epd
Dieter Sell (epd)

Bremen, Darmstadt (epd)Luftwurzeln wachsen über Grenzen hinaus, ankern an verschiedenen Orten, sind beweglich und reagieren auf ihre Umwelt. Der Bremer Verleger Madjid Mohit (54) ist davon überzeugt, dass auch Menschen Luftwurzeln schlagen. Menschen, die reisen, auswandern, flüchten, eine neue Heimat finden. Mohit ist einer von ihnen - ein Verleger und Literat, der Anfang der 1990er Jahre vor der Zensur im Iran nach Deutschland flüchtete und nun in Bremen "Luftwurzelliteratur" verkauft. Das deutsche PEN-Zentrum zeichnet ihn dafür am Mittwoch in Darmstadt mit dem Hermann-Kesten-Preis aus.

Wie ein Körper ohne Seele

Den mit 10.000 Euro dotierten Preis bekommt der gebürtige Teheraner "für seine kontinuierliche und beeindruckende Arbeit für Autoren, die nicht in ihrem Heimatland leben und publizieren wollen oder können". Mohit widme sich einer Literatur, die ortsunabhängig wirke, von Autoren geschrieben, die in einem fremden Land grenzübergreifend die hiesige Kulturlandschaft bereicherten, urteilt die Autorenvereinigung.

"Sujet" heißt der kleine Verlag in der Bremer Bahnhofsvorstadt, was im Persischen so viel wie "Thema" heißt. "Ein idealer Name für einen Verlag, der sich der großen Tabu-Themen in meiner Heimat annimmt wie Politik, Sexualität, Moderne und Verfolgung", sagt Mohit, der Bücher liebt. "Ein Raum ohne Bücher ist wie ein Körper ohne Seele", steht an der Wand neben seinem Schreibtisch geschrieben. Und: "Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns."

Mohit stammt aus einer alten Verleger-Familie. Sein Großvater publizierte das erste deutsch-persische Wörterbuch. Im Programm seines Verlages finden sich aktuell mehr als 150 Titel: Krimis, Satire, auch Sachbücher. Aber besonders Gedichtbände mit einem Schwerpunkt für moderne iranische Lyrik.

Schwieriger Start in Deutschland

Und eben "Luftwurzelliteratur" von Autoren, die nicht an einen Ort gebunden sind und nicht mit wehmütigem Blick in ihre Heimat zurückblicken, sondern ihre Erfahrungen vom Leben in unterschiedlichen Kulturen schildern. So wie Mohits Landsleute Mahmood Falaki und Seyed Ali Salehi oder Bassirou Ayéva aus dem westafrikanischen Togo.

Wäre alles nach Plan gelaufen, würde es "Sujet" gar nicht geben. Denn als Mohit vor der sich verschärfenden Zensur nach der Fatwa, dem Todesurteil des Ajatollah Chomeini, gegen den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie, aus dem Iran floh, wollte er eigentlich nach Kanada. Doch er strandete am Flughafen von Frankfurt am Main und kam als Asylsuchender in die niedersächsische Kleinstadt Vechta. Er fühlte sich einsam, wurde schief angeguckt, "hing in der Luft", wie Mohit selbst sagt.

Ein schwieriger Start. "In Deutschland musste ich zunächst die Sprache lernen, bevor ich wieder in meiner Branche aktiv sein konnte. Das war nicht leicht", blickt Mohit zurück. Später kam er nach Bremen und gründete dort 1996 den "Sujet"-Verlag. Mit einer Druckmaschine erledigte er kleine Aufträge, um sein erstes Buch zu finanzieren, "Die Schatten" von Mahmood Falaki.

Mittlerweile ist das Verlagsprogramm vielfältig. Und doch bleibt die Lyrik eine wichtige Säule von "Sujet". Ein mutiger Weg, den Mohit geht, denn Gedichtbände gehören in Deutschland selten zu den Kassenschlagern. Er kenne keine andere Form der Literatur, "die so viel Genuss macht wie Lyrik", sagt Mohit. Zu den neuesten Büchern im Verlag gehört der zweisprachige Gedichtband "Unter dem Schnee" mit Texten der Bremer Schriftstellerin Inge Buck, die Mohit ins Persische übertragen hat.

Auch eigene Gedichte

Die Gedichte spannen einen Bogen zwischen Orient und Okzident. Und Inge Buck ist es auch, die am Mittwoch die Laudatio auf den Preisträger halten wird. Madjid Mohit schaffe faszinierende Verbindungen zwischen den Kulturen, ist die Autorin und Kulturwissenschaftlerin überzeugt. "Er schafft es, immer wieder neu anzufangen und mit Mut etwas Hoffnungsvolles zu schaffen."

Dazu gehören zuweilen eigene Gedichte wie das von der Weser, die durch Bremen fließt und ihn an Menschen erinnert, die unterwegs sind. "Du verstehst mich", schreibt Mohit. Und weiter in typisch persischer Poesie: "Dein Flussbett ist ein Gespräch zwischen meinem Gehen und Bleiben. Ich gehe mit dir und bleibe in dir."