Das große evangelische Credo lautet, dass wir "aus Glauben allein" gerecht, also gerettet werden – aus Glauben, nicht aus Denken! Bedeutet nicht zu glauben, das Denken möglichst auszuschalten? Wenn das so wäre, dann wäre ja der Aufruf der evangelischen Fastenaktion 7 Wochen Ohne ein Aufruf zum Nichtglauben: "Glaubst du noch oder denkst du schon?" Glauben und Denken gelten als unvereinbare Gegensätze. Entweder man glaubt oder man denkt, beides gleichzeitig geht nicht. Das eine steht für einen aufgeklärten Geist, das andere für einen naiven, im schlimmsten Falle umnebelten Verstand.
Dennoch behauptet 7 Wochen Ohne frech, dass zu denken, gar selbst zu denken so etwas wie ein christliche Tugend sei, die man in der Fastenzeit pflegen sollte. Wo liegt also das verbindende Element von Glauben und Denken? Denn wir können davon ausgehen, dass die Initiatoren der Aktion nicht wollen, dass die Menschen, die an der Aktion teilnehmen das Glauben einstellen, wenn sie beginnen selbst zu denken. Anders herum gefragt: Wie kann man glauben ohne seinen Verstand auszuschalten?
Es ist falsch zu glauben, zu glauben hieße nur zu vermuten
"Ich glaube, dass es heute noch regnen wird." Man kann dies einen geradezu klassischen Glaubenssatz nennen. Wer ihn spricht, greift vorsichtshalber beim Verlassen seines Hauses zum Regenschirm. Im Moment ist noch alles trocken, aber ein Blick zum Himmel, vielleicht auch einer auf das Handy oder ein Ohr am Radio geben eine Prognose ab, die man als einigermaßen sicher einschätzt. "Ich glaube" heißt also in diesem Fall so viel wie "ich vermute" oder auch "ich bin mir irgendwie ziemlich sicher". Beides ist vage und hat zwar einerseits mit eigener Einschätzung zu tun, andererseits aber auch mit so etwas wie "Bauchgefühl".
Man könnte diesen Satz übrigens auch mit denken formulieren: "Ich denke, es regnet heute noch", geht auch. Es ist ja auch eine gewisse Denkleitung nötig, wenn man vom Blick auf den dunklen Himmel auf einen bevorstehenden Wolkenbruch schließt, oder von einem Symbol aus Wolke und Strichen auf Regen. Dennoch reicht dieses Denken nicht aus, sich gleich als "Denker" zu fühlen. Vielmehr wird das Denken hier – unbeabsichtigt, vielleicht – wie das Glauben zu einem unbestimmten Gefühl degradiert. Richtig zu denken oder zu glauben geht anders.
Es ist auch falsch zu denken, zu glauben hieße nur, etwas für wahr zu halten
Atheisten machen häufig einen Fehler, der verzeihlich ist, aber auch für einen glaubenden Menschen ärgerlich sein kann. Viele Atheisten denken, Gläubigen ginge es in ihrem Glauben um die Existenz Gottes. Verzeihlich ist dieser Fehler vor allem deswegen, weil die Bedeutung von glauben durchaus auch für wahr halten einschließt. An etwas zu glauben, das in meiner Wirklichkeit nicht existiert, wäre unsinnig. Doch verwendet der Glaubende nur in seltenen Fällen sein Denken, seinen Verstand darauf, sich mit dieser Grundvoraussetzung, nämlich dass Gott existiert, auseinanderzusetzen. Das hat nichts mit Denkfaulheit oder gar Verweigerung zu tun. Vielmehr weiß der Glaubende, dass es eine müßige und mühselige Angelegenheit ist, Gott durch kluge Gedanken entweder zu beweisen oder – noch mühseliger und müßiger – seine Nicht-Existenz zu beweisen. Einer der schlausten Theologen hat es einmal versucht. Thomas von Aquin (1225-1274) war ein großer Verfechter des Ansatzes, Glauben und Denken als unzertrennliches Paar zu verstehen. In seiner "Natürlichen Theologie" macht er deutlich, warum man durch Denken notwendigerweise irgendwann zu dem Schluss gelangt, dass es einen Gott geben muss. Fünf Wege zu Gott ("quinque viae ad deum") hat Thomas abgeschritten, um mit logischem Denken Gott zu erreichen. Allerdings hat Thomas zunächst überhaupt nicht von "Gottesbeweisen" gesprochen. Es ging ihm vielmehr darum deutlich zu machen, dass man Argumentationsketten erschaffen kann, an deren Ende steht: "Das ist es, was alle Gott nennen."
Richtig ist zu sagen, dass zu glauben heißt zu vertrauen
Thomas von Aquin beendete jeden seiner Gedankenketten zu Gott mir demselben Satz: "Das ist es, was alle Gott nennen." Das bedeutet, dass er seine logischen Gedankenreihen zu Ende führte und dann dem, was da war, eine Namen gab: Gott. Das aber ist kein reiner Gedankenschritt mehr, es ist ein Bekenntnis, ein Glaubensakt. Für den frommen Professor von Aquin war es selbstverständlich, dass – wenn er in seiner Argumentation zum Beispiel bei der "allerersten Wirkursache" (causa prima) ankam – er bei Gott angelangt war. Der Denker Thomas war eben auch der Gläubige Thomas. Für ihn war Gott nicht schlicht eine Tatsache, sondern auch ein Gegenüber, zu dem er mehrmals täglich betete.
Gläubige Menschen leben in einer Beziehung zu Gott. Gott ist für sie ein Gegenüber, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Sicherlich kann man naiv glauben. Man kann sich Gott zuwenden und sich an der Geborgenheit erfreuen, die davon ausgeht: Ich ein Geschöpf, gewollt, geliebt, so wie ich bin. Man kann aber auch einen Schritt weitergehen: So, wie ich bin? Mit all meinen Macken und Makeln? Wie macht Gott das? So beginnt man zu denken, man beginnt, den Verstand zu nutzen, um die Beziehung zu Gott zu gestalten. Doch am Anfang steht ein Vertrauensvorschuss. Glauben bedeutet, eine Beziehung zu Gott haben zu wollen. Eine Beziehung gehe ich nur ein, wenn ich dem Gegenüber vertrauen kann.
Richtig ist auch, dass zu glauben heißt, an der Beziehung zu Gott zu arbeiten.
Der glaubende Mensch wird enttäuscht werden. Wer glaubt, traut Gott zu, dass er sich kümmert. Die Bibel macht ein großes Wortfeld auf, wenn es darum geht, den Glauben an Gott zu beschrieben. Vor allem in den Psalmen findet man hier viele Wörter, die in dieses Feld gehören: Zuversicht, festhalten, Vertrauen, sich verlassen oder Ehrfurcht sind nur einige Beispiele dafür, wie Menschen ihren Glauben beschreiben. Ebenso gehören Worte wie Zweifel, Verlassensein oder Sehnsucht dazu. Am Beginn einer Beziehung steht ein Vertrauensvorschuss, der aufgebraucht werden kann. Dem Glaubenden bleibt Unglück nicht erspart. Fromme Menschen können sich Gott unendlich fern fühlen.
###mehr-artikel###Wer eine Beziehung lebendig erhalten will, muss an ihr arbeiten, und das bedeutet auch, sich auseinanderzusetzen mit vielleicht falschen Erwartungen. Es bedeutet, das Gegenüber immer neu zu sehen und nicht festzulegen auf ein Bild, das ich gern hätte. Es braucht Flexibilität im eigenen Geist, und diese Flexibilität leistet unser Verstand. Es ist ein Kurzschluss, Beziehungen zu beenden, wenn einem der Partner "nicht mehr in den Kram passt". In der Beziehung zu Gott geschieht dieser Kurzschluss manchmal so, dass man den eigenen Geist dazu nutzt, Gott schlicht die Existenz abzusprechen. Wer aber festhalten will an seinem Glauben, der wird seinen Verstand nutzen sich – und auch Gott – zu fragen, wie es weitergehen kann. Dies ist ein sehr erwachsener, gedankenvoller Umgang mit einer Beziehung.
Richtig ist schließlich, zu verstehen, dass der Glaube das Denken braucht
Der aufgeklärte und glaubende Geist wird sich darüber hinaus auch fragen müssen, wie er mit den Zeugnissen des christlichen Glaubens umgeht. Was tun, wenn der Verstand sich bei einigen Bibelstellen sträubt? Ignoranz hilft hier nur für kurze Zeit weiter. Die Heilige Schrift der Christen steckt voller Widersprüche und Unglaublichkeiten, die uns immer wieder einholen müssen. Der glaubende Mensch wird sich darum wiederum seines Verstandes bedienen müssen. Er wird die Bibel auslegen, wird Verse und Worte interpretieren. Das ist schon immer so geschehen, und es wird so lange weitergehen, wie es Menschen gibt, die sich in einer Beziehung zu diesem Gott sehen, der in der Bibel beschrieben wird. Auch dies ist ein Akt höchster Denkleistung.
"Selber Denken" ruft das Motto von 7 Wochen Ohne und macht Mut, sich nicht darauf zu verlassen, dass andere Menschen die Beziehung zu Gott für einen regeln. Damit man durch Glauben gerettet werden kann, wie es das große evangelische Credo sagt, braucht es genau das: Selbstständig die Beziehung zu Gott zu pflegen, indem man seinen Versand fröhlich nutzt.