Startkapital für ein Dorf in Namibia

Sella Nuses in ihrem Laden
Foto: epd-bild / Ingo Lehnick
Sella Nuses (re.) hat mit Hilfe des Bedingungslosen Grundeinkommens in Otjivero einen kleinen Laden eröffnet (hier mit ihrem Sohn und ihrer Nichte im Februar 2013).
Startkapital für ein Dorf in Namibia
Ein Bedingungsloses Grundeinkommen kann Menschen helfen, Armut zu überwinden. Bei einem Versuch in Namibia wurde deutlich, dass Kleinunternehmer und vor allem Schulkinder davon profitieren. Doch was passiert, wenn kein Geld mehr fließt?
29.01.2015
evangelisch.de

Namibia ist eines der reicheren Länder Afrikas, dafür sorgen Bodenschätze wie Uran, Kupfer und Diamanten. Dennoch ist der Reichtum in kaum einem anderen Land der Welt so ungleich verteilt wie in Namibia. Rund jeder zweite Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze, nicht wenige sogar weit unterhalb. Wie aber holt man Menschen, die nichts haben – kein Geld, keine Arbeit, keine Nahrung – und die Tag für Tag vor der Herausforderung stehen, irgendwie überleben zu müssen, wie holt man sie aus dem Elend der Armut heraus?

Eine mutige Antwort auf diese Frage fand im Jahr 2008 ein Zusammenschluss aus Kirchen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen: Die sogenannte BIG Coalition sammelte Geld, um den Einwohnern eines kleinen namibischen Dorfes ein bedingungsloses Grundeinkommen zu zahlen, auf englisch "basic income grant", kurz BIG. Jeden Monat sollten die etwa 1000 Bewohner Otjiveros im Osten der Hauptstadt Windhuk 100 Namibia-Dollar bekommen, das sind knapp acht Euro. Keine Bedingungen, keine Gegenleistung.

Plötzlich gehen fast alle Kinder zur Schule

Finanziert wurde das zunächst auf zwei Jahre angelegte Projekt vor allem durch die Vereinigte Evangelische Mission (VEM) und zwei Evangelische Kirchengemeinden in Nordrhein-Westfalen. Inzwischen hält es sich – mit Unterbrechungen – seit gut sieben Jahren. Ab 2010 jedoch waren die Initiatoren zunehmend auf private Spender angewiesen, das BIG sank auf 80 Namibia-Dollar. Im Sommer 2013 schließlich waren die Mittel erschöpft, das Projekt musste ein Dreivierteljahr lang pausieren. Seit Mai 2014 kommt nun der von den italienischen Waldensern unterstützte Otto Per Mille-Fonds für das Grundeinkommen auf, wobei sich die erste Auszahlung bis September verzögerte.

Dass die Initiatoren überhaupt so lange hartnäckig blieben und immer weiter nach Geldgebern suchten, spricht dafür, dass das Grundeinkommen das Leben der Dorfbewohner signifikant verbessert hat – auch wenn ein wissenschaftlich-statistischer Nachweis dafür bis heute fehlt. Jedoch berichten verschiedene Quellen, dass die Beschäftigungsquote in Otjivero seit Einführung des BIG von 36 auf 48 Prozent gestiegen, die Kriminalitätsrate zugleich um 60 Prozent gesunken sei; rund 90 Prozent der Kinder sollen heute zur Schule gehen – ein Wert, der deutlich über dem namibischen Durchschnitt liegt.

Ute Hedrich bestätigt diesen Eindruck. Die Pfarrerin arbeitet für das Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung der Evangelischen Kirche von Westfalen (Möwe) und war seit Einführung des BIG immer wieder in Otjivero, zuletzt vor rund zwei Monaten. "Die Schule läuft gut, weil jetzt auch Kinder kommen", beschreibt Hedrich die neueste Entwicklung im Dorf. "Sie sind besser ernährt, haben Schulkleidung und die Eltern achten darauf, dass die Kinder auch wirklich zur Schule gehen."

"Die Leute sind stolz, wenn sie selbst etwas schaffen können"

Vor kurzem sei auch eine Art Herberge fertiggebaut worden, in der Schulkinder übernachten können, die weite Schulwege haben. Grund für all die Verbesserungen ist laut Hedrich, dass sich wegen des Grundeinkommens nun alle Eltern das Schulgeld leisten können. "Es konnten neue Lehrmittel angeschafft werden, es gibt wieder Kreide, die Kinder gehen gerne zur Schule – all das macht das Unterrichten einfacher und lässt die Qualität steigen", sagt sie. Wodurch wiederum die Akzeptanz der Schule bei den Eltern steige. 

Alfred Nuses mit den Ziegen seiner Familie im Februar 2013. Seine Frau Sella eröffnete mit Hilfe des Bedingungslosen Grundeinkommens einen kleinen Lebensmittel- und Drogerieladen, der entscheidend zum Einkommen der sechsköpfigen Familie beiträgt.

Doch nicht nur die Kinder profitieren vom Grundeinkommen. Viele Otjiveroer haben mit ihrem monatlichen Grundeinkommen eigene Geschäfte gegründet: Schneidereien, kleine Tante-Emma-Läden, eine Ziegelmacherei. Im Laufe der Jahre wurde immer wieder darüber berichtet, dass viele Dorfbewohner das BIG als Startkapital nutzten und sich auf hoch kreative Weise daran machten, sich durch Arbeit und Anstrengung selbst aus der Armut zu befreien. "Die Leute sind stolz, wenn sie selbst etwas schaffen können", sagt Ute Hedrich.

Kritikern der Grundeinkommens-Idee würde das den Wind aus den Segeln nehmen, lautet ein häufiger Einwand doch, dass hilfsbedürftige Empfänger das geschenkte Geld schlicht verprassen würden. Um dem von Beginn an entgegenzuwirken, wurde in Otjivero ein Bürgerkomitee gebildet; Bewohner jeden Alters gehören ihm an. "Wenn jemand in Gefahr gerät, das Geld zum Beispiel für Alkohol auszugeben, hat man mit ihm oder seiner Familie Kontakt aufgenommen und versucht, mit ihm zu reden", berichtet Ute Hedrich. "Und das scheint auch funktioniert zu haben."

Unternehmer brauchen auch Kunden

Der Ökonom Rigmar Osterkamp dagegen erklärte das BIG-Projekt im Jahr 2013 für gescheitert. Er kritisierte vor allem die mangelhafte wissenschaftliche Begleitung; die Projektleiter hätten sich geweigert, ihre in Otjivero erhobenen Daten in anonymisierter Form zu veröffentlichen, was bei armutsorientierten Projekten eigentlich internationale Praxis sei. Überdies sei kein Vergleichs-Dorf ausgewählt und nach den gleichen Kriterien untersucht worden wie Otjivero; auch dies gehöre zum weltweiten Standard. Die BIG-Initiatoren dagegen hätten nicht einmal erste Ergebnisse vorgestellt.

Dass die statistische Begleitung des Projekts nicht optimal gelaufen ist, bestätigt auch Ute Hedrich. Die Fortschritte im Dorf, die energischen und hoffnungsfrohen Schritte der Bewohner aus der absoluten Armut jedoch hat sie mit eigenen Augen beobachtet, über Jahre hinweg – genauso wie die großen Schwierigkeiten, in die viele Otjiveroer gerieten, als die BIG-Zahlungen für ein knappes Jahr ausblieben. Denn neben den tüchtigen Betreibern von Kleinst-Unternehmen braucht ein funktionierendes Wirtschaftssystem vor allem auch Konsumenten; bleibt denen das Einkommen weg, geraten schnell alle in Schwierigkeiten.

Und so – nach sieben wundersamen Jahren für Otjivero, in denen der Zufall den Bewohnern ein besseres Leben beschert hat – liegen nun alle Hoffnungen auf der Politik. Denn das Ende des BIG-Projektes ist besiegelt. Der Otto Per Mille-Fonds hat Mittel für genau ein Jahr zugesagt, danach ist Schluss. "Das war uns auch klar, dass das so nicht mehr weitergehen kann. Das wäre dann auch unfair geworden gegenüber den anderen Dörfern in der Gegend", sagt Hedrich.

Was wird der neue Präsident tun?

Im Dezember 2014 wurde Hage Geingob zum neuen Präsidenten Namibias gewählt. Schon vor Jahren hatte er mit der Idee eines landesweiten Bedingungslosen Grundeinkommens sympathisiert. Im jetzigen Wahlkampf trat er dann zwar defensiver auf; Namibia-Kennerin Hedrich aber hofft darauf, dass sich nach Geingobs Amtseinführung im März 2015 etwas verändern wird im Land. "Er hat immer wieder gesagt, dass etwas getan werden muss gegen diese schreckliche Ungleichheit."

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Auf lange Sicht hält es Hedrich jedoch eher für wahrscheinlich, dass – ähnlich wie im benachbarten Südafrika – bestimmte Sozialleistungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen eingeführt werden. "Dort gibt es zum Beispiel so etwas Ähnliches wie ein Kindergeld und einen 'disability code', über den Menschen geholfen wird, die mit HIV leben." Denkbar seien auch Zuwendungen für die besonders arme Landbevölkerung.

Noch ist also nicht abgemacht, ob Namibia als erstes Land weltweit für alle seine Bürger ein Bedingungsloses Grundeinkommen einführen wird. Otjivero hat gezeigt, dass es ein funktionierendes Mittel sein kann, Armut und Ungleichheit zu bekämpfen.