Das technische Zauberkärtchen - eine Vision

Das technische Zauberkärtchen - eine Vision
Nach jahrelangen Blockaden wird ein gigantisches IT-Projekt Realität: die elektronischen Gesundheitskarte. Jetzt bekommen die ersten sieben Millionen Versicherten die Karte. Der medizinische Nutzen lässt noch auf sich warten, der Streit nicht.

Mit der elektronischen Gesundheitskarte rollt eine kleine Revolution im deutschen Gesundheitswesen an - doch auch nach dem offiziellen Start ist der medizinische Nutzen vorerst offen. Rund sieben Millionen gesetzlich Versicherte bekommen das technische Zauberkärtchen bis Jahresende. Künftig sollen Ärzte und Kliniken Arztbefunde oder Röntgenbilder einzelner Patienten mit der Karte als Schlüssel online von sicheren Servern herunterladen können. Diese "Vision" werde aber wohl erst in rund fünf Jahren Wirklichkeit, schränkte der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Carl-Heinz Müller, ein.

Ein Foto gegen Missbrauch der Karte

Die Krankenkassen wollten sich noch gar nicht auf ein Datum festlegen. "Da kann ich heute keine konkrete Zahl nennen", sagte der zuständige Experte des Verbands, Rainer Höfer, am Mittwoch in Berlin. Zunächst kann die Karte, deren Einführung bereits vor acht Jahren beschlossen wurde, kaum mehr als die Krankenversichertenkarte. Elektronische Kommunikation ist noch nicht möglich. Die einzigen Neuerungen: Ein Foto der Versicherten soll den heute häufigen Missbrauch ausgedienter oder fremder Karten verhindern. Und für Notfälle sollten Daten über Vorerkrankungen gespeichert werden können. Eine Erklärung zur Organspende könnte dazukommen.

"Sie ist lernfähig und intelligent", sagte die Chefin des Kassenverbands, Doris Pfeiffer. Die Ausgabe der Karte sei nötig für den angepeilten Modernisierungsschub des Gesundheitswesens. Heute werden Diagnosen und Dokumente über Therapien oft auf Papier von Arzt zu Arzt weitergegeben - oder gar nicht. Daraus folgende Doppeluntersuchungen und -medikationen sollten künftig vermieden werden, sagte Müller.

Wenn die nötige Infrastruktur steht, sollen nach Darstellung der Betreibergesellschaft Gematik schon alle Versicherten eine Karte und alle Ärzte und Kliniken funktionierende Lesegeräte haben. In den Praxen ist dies trotz Widerstands vieler Ärzte laut KBV bis Jahresende weitgehend der Fall. Auf welchen Servern die Patientendaten später liegen sollen, ist aber laut den Ärzten noch unklar.

Linkspartei: "Ein Milliardengrab"

Technische und organisatorische Schwierigkeiten sowie Widerstand bei den Akteuren verzögerten den Start jahrelang. Die Karte soll später auch Geld sparen. Doch bisher fielen Kosten von mindestens rund 600 Millionen Euro für Karten, Lesegeräte und die von Ärzten, Kassen, Kliniken und Apothekern betriebene Gematik an. Mögliche weitere Kosten blieben bei der Präsentation des Starts auf Nachfrage unklar. Für die Linkspartei ist das Projekt ein "Milliardengrab".

Erste Versicherte haben die Karten bereits bekommen. Die alte Versichertenkarte solle zurückgeschickt oder zerstört werden, sagte Höfer. "Für die Versicherten ändert sich erstmal gar nichts." Eine für später geplante Pin-Nummer gibt es noch nicht. Doch die mit Mikroprozessor-Chip ausgestattete Karte habe alle Anlagen für die geplanten Anwendungen. Pfeiffer drückte die Hoffnung auf bisher noch unbekannten Nutzen aus. Laut Müller kann etwa der Impfpass elektronisch gespeichert werden.

Die Karte ist laut Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sicher. Unbefugte könnten auch später nicht an die hochsensiblen Daten kommen, sagte Amtsvertreter Bernd Kowalski. Die Daten werden verschlüsselt. Nur wenn der Patient die Karte und der Arzt seinen Arztausweis in das Terminal in der Praxis schiebt, können die Daten gelesen werden.

"Den einen oder anderen Schritt schneller"

Nach jahrelanger Hängepartie hatte der Gesetzgeber Druck gemacht. Ohne Ausgabe der Karten bis Jahresende müssen die Kassen gemäß der schwarz-gelben Gesundheitsreform Strafen zahlen.

In der Gematik gibt es aber bereits neuen Streit. Denn die Kassen wollen die Möglichkeit einer Online-Prüfung von Stammdaten schneller als geplant einführen. "Das wäre ein Eklat", sagte Müller der Nachrichtenagentur dpa. Dabei geht es darum, etwa die Adresse des Versicherten auf der Karte per Online-Verbindung zur Kasse bei einem Umzug aktualisieren zu können. Nötig ist laut KBV aber vor allem die medizinisch nützliche Kommunikation. Pfeiffer wies den Vorwurf zurück: "Es geht darum, im Kreis der Gesellschafter zu überlegen, wie man im Patienteninteresse den einen oder anderen Schritt schneller machen kann." Vernachlässigt werde nichts. 

dpa