Der Journalismus und die Versaftung des Lokalen

Der Journalismus und die Versaftung des Lokalen
Was ist heute noch lokal, und wie kann ich Twitter in der Redaktion einsetzen? In Waiblingen diskutierten Lokaljournalisten über Trends und Entwicklungen ihrer Branche.
31.01.2011
Von Henrik Schmitz

Man darf die Lokalzeitungen in Deutschland durchaus als unterschätzte Medien einordnen. Selten wird in der Medienpublizistik, die sich mit ihrer eigenen Branche befasst, über das Lokale berichtet. Wenn doch, dann sind es in der Regel Familienfehden wir die im Hause DuMont, die Aufsehen erregen. Der Lokaljournalismus an sich, wird dabei selten thematisiert. Dabei muss ein Großteil der immerhin noch rund 22 Millionen verkauften Tageszeitungen pro Tag dem Lokalen zugeordnet werden. Und gerade im Lokalen könnte der Verlust an publizistischer Aufbereitung und Vielfalt zum Demokratieproblem werden. Man sagt, das Interesse der Menschen gelte gerade dem Nahbereich, also dem Umfeld, in dem sie wohnen, ihre Freizeit gestalten und arbeiten. Wenn in diesem Nahbereich kein Journalismus, der seinen Namen noch verdient, mehr stattfindet, auf welcher Basis sollen Bürger dann demokratische Entscheidungen treffen?

Über das Desinteresse am Lokalen kann nur spekuliert werden. Eine gewisse Arroganz könnte eine Rolle spielen. Wer große Journalistenschulen besucht hat und sich bei einem großen Medium etabliert hat, für sind Gemeinderatssitzungen und Jahreshauptversammlungen sozusagen unter der Angriffsschwelle – sogar auf der Metaebene. Und auch der Faktor Eitelkeit darf nicht unterschätzt werden. Jeder Mensch will wahrgenommen werden und natürlich besonders gern von Menschen, die bedeutungsvoll sind. Wer über die Großen schreibt, wird von diesen auch eher registriert. Und so wundert es nicht, dass beim von der Bundeszentrale für politishce Bildung veranstalteten Lokaljournalistenforum 2011, dem Branchentreff der Lokalzeitungen schlechthin, die Medienjournalisten der "Leitmedien" fehlten.

Zugegeben: Man kann nicht behaupten, dass sie inhaltlich viel verpasst hätten. Wie andere Tagungen (Netzwerk Recherche, Mainzer Medientage etc.) auch, besticht auch das Lokaljournalistenforum weniger durch exklusive Neuigkeiten, sondern eher durch den Anstoß von Debatten und den daraus folgenden Diskussionen am Rand. Debatten, die allerdings eine durchaus gesellschaftliche Relevanz – siehe oben – haben.

Drohender Niedergang

Den drohenden Niedergang aufhalten, das wollen die Lokal-Macher. Und so wurde in Waiblingen über die "neue Architektur des Lokaljournalismus" debattiert. Eine Herausforderung, die allein schon darin, besteht, das Lokale zu definieren. Früher sei "lokal" eine durchaus geografische Definition gewesen, sagte der Psychologe Jens Lönneker  (Rheingold) zur Eröffnung der Tagung. Aber heute? Die Loveparade in Duisburg sei für viele Jugendliche in ganz Deutschland ein lokales Ereignis gewesen. "Denn jeder kannte jemanden, der dort war – mindestens einen Freund aus Facebook." Die zunehmende Individualisierung der Menschen erschwere es den Zeitungsmachern daher, der Masse von Menschen ein Angebot zu machen. Man könnte auch sagen: Die Wundertüte von einst, in der für jeden etwas dabei war, funktioniert nicht mehr. Einzig die jeweils örtliche Biermarke stifte noch so etwas wie lokale Identität, sagte Lönneker. Egal wohin man komme, immer höre man, dass das jeweils am Ort gebraute Bier das "beste der Welt" sei. "Ein Kollege von mir hat das mal die Versaftung des Lokalen genannt."

Noch interessanter als der Hinweis auf die Individualisierung war jedoch Lönnekers Hinweis auf etwas, was man einen Wertewandel nennen könnte. Früher hätten Menschen ihren Alltag oft als "grau" beschrieben. Heute beschreiben sie ihn in der Regel als "stressig". Während also früher die Menschen ihrem grauen Alltag mit der Lektüre der Zeitung entfliehen konnten, sei das Ritual des Zeitungslesens heute nicht mehr en vogue. "Sie werden schief angesehen, wenn sie im Büro die Zeitung aufschlagen", sagte Lönneker. Zeitungsmacher müssten daher neue Nutzungssituationen schaffen, um weiter am Markt bestehen zu können.

Wie sieht er also aus, der Lokaljournalismus von Morgen?

Twitter, Apps und neue Technik

Beinahe irritierend war, was der Niederländer Bart Brouwers vorschlug. Für die Telegraaf Medien Gruppe baut er an einem "hyperlokalen Netzwerk". Dieser vor allem für mobile Endgeräte optimierte Dienst soll dem Nutzer künftig ein maßgeschneidertes Produkt liefern, wobei die Inhalte sich an den jeweiligen Interessen orientieren – automatisiert versteht sich. Angereichert wird dies stets mit Informationen, die zum jeweiligen Aufenthaltsort passen – daher "hyperlokal" Der Handlungsreisende etwa bekommt so nicht nur die aktuellen Börsenkurse, sondern auch eine Information über das beste Restaurant am Platz geliefert. Erstaunlich war allerdings, dass es kaum Widerspruch gab, als Brouwers zur Finanzierung eine Aufhebung der Trennung von bezahlten und recherchierten Artikeln ins Gespräch brachte.

Einig waren sich die Experten beim Forum darin, dass es bei Zukunftsvisionen nicht allein um "die schöne neue Technikwelt" gehen könne, um schicke Oberflächen und Klick-Rekorde auf den Internet-Seiten also. Gefragt sei Interaktion, sagte die Medienredakteurin ("Guardian"), Mercedes Bunz, die sich in Waiblingen mit dem Titel "Digital Thinker" vorstellte. Allein die Aufforderung, im Form von Kommentaren unter Internettexten massenhaft Leserbriefe zu schreiben und Artikel zu kommentieren, könne nur ins Leere laufen, Interaktion dürfe nicht nur Geste sein. Bunz stellte unter anderem die Seite OpenIdeo vor. Nutzer werden auf der Plattform aufgefordert, sich Gedanken zu einer konkreten Fragestellung zu machen. Eingereichte Vorschläge werden dann von den Nutzern diskutiert und verbessert. Am Ende gewinnt ein Vorschlag und wird von der Redaktion umgesetzt. Zur Finanzierung schlug Bunz einen "Key-Sponsor" vor und empfahl die Zusammenarbeit mit Prominenten, die Patenschaften für bestimmte Fragestellungen bzw. Projekte übernehmen könnten.

Nicht alles machen

Wie aber sollen Lokalredakteure das alles schaffen? Womöglich werde die Zahl der digital interessierten Redakteure steigen und die Begeisterung, auf Artikel tatsächlich mit den Lesern in Diskussion treten zu können, wie ein "Sog" wirken, sagte Lorenz Lorenz-Mayer von der Universität Darmstadt. "Spezialisierung hat es im Journalismus schon immer gegeben", gab Mercedes Bunz zu bedenken. Uwe Rolf Heer, Chefredakteur der Heilbronner Stimme, bestätigte: "Es muss nicht jeder alles machen, sonst sieht’s aus wie Youtube für Arme." Dazu kommt für Heer der enorme Wandlungsprozess, dem Redaktionen seit Jahren ausgesetzt sind. Die Forderung nach mehr Qualität, besseren Geschichten, investigativem Lokaljournalismus, dazu drohende Einkommensverluste bei den Redakteuren: "Man kann den Leuten nicht immer mehr aufhalsen." Problem erkannt, aber Problem nicht gelöst, könnte man schlussfolgern. Denn: Wer kümmert sich um Kleintierzuchtvereine, Gemeinderatsdiskussionen, Fußballspiele der Kreisliga B, wenn sich Lokalredakteure in der schönen neuen Onlinewelt tummeln und virtuos mit Internet und iPad umgehen? Statt einer "digitalen Spaltung", statt Alt gegen Neu, müsse es um eine Verbindung von beidem gehen, sagte Bunz.

Die Verlagsberaterin Katja Riefler (RiSolutions) empfahl dafür – quasi Lönnekers Individualisierungscredo folgend – eine Diversifikation der Inhalte. Es nutze nichts, nur eine App für alle anzubieten, stattdessen müsse auf vielfältige Angebote gesetzt werden. Einige Zeitungen in Deutschland gingen bereits diesen Weg. Terminkalender, Staumeldungen und sogar Todesanzeigen seien als Anwendungen fürs Mobiltelefon erhältlich. Sinnvoll sei es außerdem, sich in bestehende Angebote einzuklinken. "Es gibt Onlinedienste, die regionale Informationen bündeln. Darauf haben Sie als Zeitung keinen Einfluss und kommen auch nicht vor. Außer, Sie bieten selbst Inhalte an."

Das Verhältnis zur PR

Woher diese Inhalte künftig kommen, wurde indirekt bei der Diskussion "Medien als Spielball der PR-Strategen" diskutiert – ein Themendauerbrenner auf allen Medientagungen. PR als Kommunikation für bestimmte Interessen wird immer professioneller. Schuld daran sind nicht zuletzt die Journalisten selbst: Bilden sie die künftigen PR-Profis an den Hochschulen doch auch aus – um sich nicht mehr mit miserablen Pressetexten und schlechten Rednern rumschlagen zu müssen, wie Sven Gösmann, Chefredakteur der Rheinischen Post und Mitglied des Kuratoriums der privaten PR-Hochschule Quadriga Berlin, sagte. Umso wichtiger sei es für ihn, "dass beide Seiten ihre Rolle kennen und begreifen". Für Tom Schimmeck, einst Mitbegründer der taz und heute freier Autor, kann die Abgrenzung nicht radikal genug sein – trotz aller wirtschaftlichen Zwänge gerade für freie Autoren: "Journalisten machen keine PR." Distanz ist für ihn oberste Journalistenpflicht, PR und Journalismus ein klassisches Gegensatzpaar. Es sei fragwürdig, wenn Journalisten PR-Leute darin ausbildeten, die eigene Zunft möglichst professionell hinters Licht führen zu können.

Das funktioniert offenbar mit simpler Korrumpierung. "Journalisten muss man das Gefühl geben, sie wären die Stars", sagte Lars Schatilow, Referent des Präsidenten der Zeppelin University Friedrichshafen. Wäre er für die Krisen-PR des in die Kritik geratenen Verteidigungsministers zuständig, er würde die wichtigen Chefredakteure zu einer Auslandsreise einladen – "dann sieht die ganze Sache schon anders aus". Sven Gösmann widersprach. Einladungen zum Essen seien "Service", Reisen mit Politikern bezahlten Journalisten in der Regel selbst, und träfem sich Pressesprecher und Journalisten in aller Öffentlichkeit im Berliner Café Einstein, sei das – ganz im Gegensatz zu Schatilows Unterstellung – ganz gewiss nicht "die Absprache einer Linie für die kommenden drei Monate".

Doch die PR-Zunft ist mächtig. Allein in Berlin gebe es 6.000 hauptberufliche Lobbyisten, hieß es in Waiblingen. Auch im Lokalen sei "sauschwer, Abstand zu halten", sagte Schimmeck. Kritik am Bürgermeister und am Feuerwehrkommandanten erforderten – angesichts des täglichen Kontakts – oft mehr Mut als ein flammender Kommentar gegen Karl-Theodor zu Guttenberg im fernen Berlin.

Unternehmensberater

Am Ende der Tagung in Waiblingen stand nach der PR-Branche dann noch eine weitere Branche im Mittelpunkt des Interesses, die bei Journalisten eher unbeliebt ist: Die Beraterbranche. Diese hätten kein Verständnis von Journalismus und strichen quasi mit der Rasenmähermethode Stellen zusammen, lautet wohl der Kernvorwurf an die Branche. Rolf-Dieter Lafrenz, Gesellschafter der Schickler-Gruppe, die auch bei der WAZ und der Frankfurter Rundschau tätig war, wies diesen Vorwurf zurück. Bei den wenigsten Projekten gehe es überhaupt um Stellenabbau, sagte er. Bei der WAZ haben die Geschäftsführung bereits vor der Beratung abgelegt, wie viele Stellen abgebaut werden müssten und die "Frankfurter Rundschau" würde es ohne die Stellenkürzungen heute gar nicht mehr geben, verteidigte er seine Branche. Auch Tagessätze von 1.000 bis 2.000 Euro seien angemessen. Zum einen steckten darin auch Kosten für Vor- und Nachbereitung, zum anderen seien die Berater nicht jeden Tag gebucht. "Erst wenn ein Berater an drei von fünf Tagen ,verkauft' ist, machen wir überhaupt Gewinn", sagte Lafrenz. Unterm Strich seien die Berater nicht teurer als vorhandenes Personal in den Verlagen.

Die Supervisorin Kirsten-Annette Vogel bemängelte allerdings, bei der Beratung käme der "Faktor Mensch" zu kurz. Bei den Umstrukturierungen in den Redaktionen werde zu wenig darauf geachtet, was dies mit den Menschen mache, die dort arbeiteten. Sie betonte, Medien seien eben "nicht nur" dafür da, Geld zu verdienen, sondern hätten auch einen kulturellen und gesellschaftlichen Auftrag. Daher könne ein Medienunternehmen nicht direkt mit einer anderen Branche verglichen werden. Dies werde bei Beratungen aber viel zu wenig berücksichtigt. Im Zweifel führe eine neue Unternehmenskultur, bei der der einzelne Arbeitnehmer als Mensch mit seinen Fähigkeiten wieder ernst genommen werde, zu wesentlich größeren Produktionssteigerungen als Umstrukturierungen wie zum Beispiel ein Newsroom-Konzept, sagte Vogel. Sie empfahl den Verlagen dringend in die Entwicklung des eigenen Personals – vor allem des Führungspersonals - zu investierten.

Ein Vorschlag, dem Thomas Satinsky, geschäftsführender Verleger der "Pforzheimer Zeitung", folgte. Er forderte, Unternehmensberater müssten stärker als bislang nach gutem Personal suchen. Bislang beschränke sich die Personalauswahl der Headhunter oft darin, in der Branche nachzufragen, wer wechselwillig sei. "Da kommen dann drei bis vier Frustrierte zusammen, die einen neuen Job suchen." Stattdessen müssten aber Menschen gesucht werden, die den vielfältigen neuen Anforderungen gerecht würden, sagte Satinsky. Wie Jost Lübben, Chefredakteur der Nordsee-Zeitung, schätzt er an Beratern vor allem den "Blick von Außen". Berater lieferten zudem mit ihren Bechmarks Vergleichsmaßstäbe, an denen sich die Häuser messen könnten. Wichtig sei aber stets, die Mitarbeiter in den Beratungsprozess einzubinden.

mit Material der Bundeszentrale für politische Bildung

Henrik Schmitz ist auf Twitter unter @henrikschmitz erreichbar.