Präses Schneider über Papst, Ökumene und Afghanistan

Präses Schneider über Papst, Ökumene und Afghanistan
Die Fragen betrafen Themen wie Krieg und Frieden, Seelsorge, Ökumene oder das neue Buch des Papstes. Präses Nikolaus Schneider nahm sich am Mittwochabend eine Stunde Zeit, um auf evangelisch.de mit Menschen zu diskutieren und Fragen zu beantworten. Am Ende meinte er: "Das Chatten ist schon eine ziemliche Hetzerei, aber ich nehme es sportlich."

Hier eine Auswahl aus dem Chat-Protokoll mit Nikolaus Schneider: 

Thema: Atomkraft

ralpe: Eine Frage, die heute aus der Community kam: Hallo Herr Präses Schneider, eine Frage für heute Abend, die mich sehr interessieren würde. Sie haben den Atomausstieg ethisch-theologisch begründet. Haben Sie eine Antwort der Bundeskanzlerin darauf erhalten, die neulich auf dem CDU-Parteitag deutlich ihren christlichen Glauben bekannt hat, aber eine andere politische Ansicht hat. Wie konkret muss sich die Kirche bzw. der Ratsvorsitzender sein?

PraesesSchneider: Ich werde noch die Gelegenheit haben, mit der Kanzlerin ein direktes Gespräch zu führen. Grundsätzlich ist es so: Je konkreter die Äußerungen sind, desto stärker ist Zuspruch und Widerspruch. Im parteipolitischem Sinne werde ich mich allerdings nicht konkret äußern. Auf Sachfragen bezogen werde ich allerdings weiterhin möglichst konkret sprechen, und dabei bin ich an die biblischen Themen gebunden: Eintreten für Arme, Schwache und Fremdlinge. 

Thema: Stuttgart 21

guest6134: Ich würde gerne wissen, was der Präses von den Demos zu Stuttgart21 hält. Da demonstrieren Pfarrer auf beiden Seiten, dafür und dagegen. Mit welcher stimme spricht denn die Kirche?

PraesesSchneider: Im Protestantismus spricht eben NICHT die Kirche. Es gehört zu uns, dass es verschiedene Stimmen in unserer Kirche gibt. Bei komplexen Fragen ist das sicher auch eine Hilfe für die öffentliche Debatte, wenn sachbezogen aus verschiedenen Perspektiven Argumente zusammengetragen werden.

guest6134: Dann würde ich nachfragen: wieweit kann Widerstand gehen. was sind die Grenzen?

PraesesSchneider: Es ist gutes demokratisches Recht, eine andere Meinung auch in die Öffentlichkeit zu tragen. Dabei ist es auch in Ordnung, sich in den Weg zu stellen bzw. in den Weg zu setzen. Die Grenze ist da erreicht, wo Gewalt ausgeübt wird und Menschen verletzt werden. 

Thema: Papst-Äußerungen zu Kondomen

ralpe: Noch eine Frage aus der Community: Der Papst hat nun in Ausnahmefällen den Kondom-Gebrauch gestattet. Haben wir nicht wichtigere sexualethische Themen? Welche evangelische Position wird sich zur PID durchsetzen?

PraesesSchneider: Die Aussage des Papstes hört sich wie nur eine kleine oder nur unbedeutende Öffnung an, aber sie ist in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen: Wenn der Papst eine solche Öffnung für möglich hält, dann nimmt er in einer fundamentalen Fragen eine Veränderung der katholischen Position vor. Was daraus an weiteren Diskussionen sich ergibt, ist noch nicht absehbar. Allerdings ist die evangelische Position deutlich anders: Sexualität gehört zu den guten Gaben Gottes und der Gebrauch von Kondomen gehört zu einer verantwortlich gelebten Sexualität!

Zu PID: Die Diskussion in der Evangelischen Kirche hat gerade begonnen und deshalb kann ich noch nicht absehenm, welche Position sich am Ende durchsetzen wird.

Heyfisch: Was halten sie von dem neuen Buch des Papstes - insbesondere die Aussagen zur Frauenordination und dem Abendmahlverständnisses.

PraesesSchneider: Das neue Buch des Papstes konnte ich leider noch nicht lesen, aber ich bin schon gespannt darauf ....


Thema: Was soll die Kirche bezahlen – was der Staat?

guest6869: Was sagen sie zu den Forderungen, dass der Staat die Leistungen an die Kirche reduzieren soll?

PraesesSchneider: Bei dieser Diskussion wird viel durcheinander gebracht: Es gibt "Staatsleistungen". Die gehen zurück auf Enteignungen von kirchlichem Vermögen und können auch durch den Staat abgelöst
werden. Dem werden sich die Kirchen nicht entziehen. Und dann gibt es Entgelte für Leistungen, die die Kirchen erbringen, z.B. im Bereich der Bildung. Dabei handelt es sich um die Bezahlung, wie sie andere
Leistungserbringer auch bekommen.

guest6134: Aber muss der Reli-Unterricht vom Staat bezahlt werden? Oder die Militärseelsorge? Oder wären das nicht besser rein kirchliche Aufgaben?

PraesesSchneider: Der Reliunterricht ist ordentliches Lehrfach des Staates. Es geht dabei um die Vermittlung notwendiger Kenntnisse zum Verständnis der gesellschaftlichen Realitäten in unserem Land. Das liegt auch im Interesse des Staates. Der Reliunterricht dient nicht der "Missionierung".
Deshalb ist er weiter gerechtfertigt.

guest8598: Aber warum gibt es dann evangelischen bzw. katholischen Reliunterricht?

PraesesSchneider: Das ist wirklich eine gute Frage. Ich meine JA. Denn Religion wird völlig diffus, wenn sie nicht auf eine konkrete kirchliche Gemeinschaft bezogen wird.

PraesesSchneider: Die Militärseelsorge ist ein Dienst, der allen Soldaten angeboten wird. So lange die Unabhängigkeit der Militärseelsorge garantiert ist, kann er in der jetzigen Weise fortbestehen.

guest6134: aber dann müssten wir auch jüdische, muslimische oder auch konfessionslose Militärseelsorger haben? Gerade in Ostdeutschland sind viele Soldaten nicht in der Kirche!

PraesesSchneider: Ich halte es für erwägenswert, dass der Staat auch mit der jüdischen Gemeinschaft oder auch mit der muslimischen Gemeinschaft entsprechende Verträge abschließt, wenn eine entsprechend große Anzahl von Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr Dienst tun.

PraesesSchneider: Konfessionslos ist allerdings nicht mit atheistisch zu identifizieren. Viele Konfessionslose nehmen die Angebote der Militärseelsorge gerne in Anspruch.

guest8844: Als betroffene Soldaten-Familie warten wir seit 8 Jahren vergeblich auf eine Antwort von der Ev. Militärseelsorge und von unserer Kirche.


Thema: Afghanistan

guest8844: In einem interessanten Interview sagten Sie kurze Zeit nach Ihrer Wahl zum EKD-Vorsitzenden, dass Sie Ihr Amt durch klare Worte prägen wollen. Nun bitte ich aus existentieller Betroffenheit um eine klare Antwort (ja oder nein), ob aus der Sicht der EKD der Bundeswehreinsatz in
Afghanistan einer Ethik Recht erhaltender Gewalt entspricht oder ob er es noch nie tat.

PraesesSchneider: Die Frage ist leider so einfach nicht zu beantworten. Ich bin allerdings der Meinung, dass die Bundeswehr den Afghanistaneinsatz so schnell wie möglich beenden sollte, ohne allerdings
einen Scherbenhaufen zu hinterlassen.

guest8844: In der Friedensdenkschrift stehen Kriterien zur ethischen Beurteilung von Militäreinsätzen, aber die Militärseelsorge lässt Soldaten und ihre Familien mit der wichtigsten Frage allein, nämlich ob der Einsatz je den von der Friedensdenkschrift aufgestellten Kriterien entsprochen hat oder nicht. Nur hoffen, dass der Einsatz bald beendet wird, weicht der Frage aus, ob der Einsatz je den Kriterien entsprochen hat oder entspricht.

PraesesSchneider: Beim Afghanistaneinsatz werden Kriterien erfüllt. Schwerste Menschenrechtsverletzungen, der Zusammenbruch eines Rechtssystems. Andere Kriterien wurden offensichtlich nicht erfüllt: Beim Beginn des Einsatzes etwa ein klares Ausstiegszenario vor Augen zu haben.
Auch hier gilt also: Leider ist die Frage nicht so klar zu beantworten. Allerdings würde ich meinem Enkelsohn davon abraten, sich für einen militärischen Einsatz in Afghanistan zur Verfügung zu stellen.

guest8844: Die Exitstrategie fehlt in der Friedensdenkschrift bei den Kriterien. Sie kommt zwar an anderer Stelle vor, aber nicht bei den Prüfkriterien!

guest8844: Menschenrechtsverletzungen gibt es an vielen Orten. In der Denkschrift steht aber, dass ALLE Kriterien erfüllt sein müssen. Nicht nur einzelne!

PraesesSchneider:Die Denkschrift zählt eine große Zahl von Kriterien auf - und das ist schon ein deutlicher Hinweis darauf, dass es immer um Einschätzungs- und Abwägungsfragen geht. Deshalb sage ich zu Afghanistan: Die ethische Rechtfertigung ist durch den o.a. Mangel ernsthaft in Frage gestellt. Genau deshalb meine ich auch, den Einsatz so schnell wie möglich zu beenden. Aber es wäre verantwortungslos, sich Hals über Kopf zurückzuziehen, unabhängig von den möglichen Folgen für die
Menschen in Afghanistan

guest8844: Für einen Abzugstermin ist die Politik zuständig, für eine friedensethische Bewertung die Ev. Militärseelsorge und die Ev. Kirche – ich finde, das schuldet die Ev. Kirche ihren Mitgliedern. 

Thema: Christenverfolgung

guest3474: Mich beschäftigt in letzter Zeit sehr die Situation der Christen im Irak, in Palästina, in der Türkei und in arabischen Ländern. Die Aufzählung könnte ich fortsetzen. Welche Unterstützung kann die evang. Kirche den Christen dort geben. Gibt es überhaupt ein problembewußtsein in der evang.
Kirche für diese Menschen, die wegen ihres Glaubens Repressionen ausgesetzt sind oder sogar ihr Leben gefährden?

PraesesSchneider: In meinem Ratsbericht hatte ich diese Situation angesprochen. Wir helfen durch öffentliche Solidarität, Gebete, konkrete materielle Hilfe und auch dadurch, dass wir der auswärtigen
Politik diese Probleme nahe bringen. Ferner hat die EKD einen Sonntag des Kirchenjahres - Reminicere - bestimmt, an dem der verfolgten Christinnen und Christen gedacht wird - und zwar EKD-weit.

guest3474: Verfolgte ChristInnen: Die Äußerungen in bezug auf verfolgte ChristInnen finde ich im ratsbericht (habe kurz nachgeschaut) sehr allgemein. Sie nehmen politischen Einfluß, was heißt das, wen sprechen Sie an, gibt es gemeinsames handeln mit anderen konfessionen, haben Sie Kontakt
zu den religiösen Institutionen dieser Länder? Sprechen Sie irgendwo Einzelfälle an?

PraesesSchneider: Wir sind im engen Austausch mit der Bischofskonferen; wir haben einen engen Kontakt zum Außenministerium und zum Kanzleramt und sind natürlich vernetzt mit unseren ökumenischen Partnerkirchen. Wir nehmen Stellung zur allgemeinen Lage, kümmern uns
aber auch um konkrete Einzelschicksale.


Thema: Ökumene

guest6869: Haben Sie Hoffnung, dass der Papstbesuch nächstes Jahr auch die Oikumene voranbringt? Oder zeigt der Papst den Protestanten die kalte Schulter? Die Einladung nach Wittenberg zu kommen, scheint er nicht angenommen zu haben. Was denken Sie?

PraesesSchneider: Der Papst wird in Berlin, vermutlich Erfurt und Freiburg Station machen. Ich gehe davon aus, dass es auch ökumenische Begegnungen gibt. Wesentliche Fortschritte erwarte ich
allerdings nicht.

Heyfisch: Also weiter ökumenische (zumindest bezüglich der Evangelischen Kirche) Eiszeit?

PraesesSchneider: Von ökumenischer Eiszeit würde ich nicht sprechen. Wir haben ein ganz hohes Niveau ökumenischer Gemeinsamkeiten und sind mittlerweile bei den theologisch schweren Fragen angelangt. Es wird Zeit brauchen, dabei weiterzukommen. Insofern entsteht der Eindruck
von Stagnation. Allerdings gilt auch: Es gibt einen ganz normalen und gut funktionieren Alltag in unseren Gemeinden.

La_Loupina: Herr Präses Schneider, waren sie auf dem Ökumenischen Kirchentag und war es für sie ein Schritt aufeinander zu und glauben/hoffen Sie, daß der nächste noch Enger werden wird, vllt sogar
mit gemeinsamen Abendmahl ?

miriam1998: Nochmal eine Frage, was ist der Grund, dass die evangelische Kirche dieses "ökumenische Konzept" so stark verfolgt? Martin Luther hat eine riesige Bewegung ausgelöst -. und zu Recht. Was ist der Hintergrund für diese ökumenische Anstrengung?

alexschnapper: Der nächste ökumenische Kirchentag soll ja 2017 stattfinden, im Lutherjahr ;) wie passend *g*

PraesesSchneider: @lalupina: Auf dem ÖKT wurde christliche Gemeinschaft über die Grenzen der Konfessionen hinweg gelebt. Auf dem Forum konnte man häufig nicht unterscheiden, ob sich eine katholische oder evangelische Initiative präsentierte. Das Gemeinsame unseres Glaubens stand im
Vordergrund. Der ÖKT hat dem Zusammenwachsen gedient und deshalb setze ich darauf, dass es einen weiteren ÖKT geben wird. Dazu gehört für mich auch ein gemeinsames Abendmahl - aber wie viel Zeit das brauchen wird, lässt sich nicht absehen.

Heyfisch: Den gut funktionierenden Alltag in den Gemeinden vor Ort sehe ich auch. Aber was der Vatikan verlautbaren lässt, wirkt auf mich sehr rückwärtsgewandt.


Thema: Kern des Evangeliums

atemhaus: Sehr geehrter Präses Schneider, wir leben in einer Zeit kurzer prägnanter Botschaften. Wie würden Sie den Kern des Evangeliums kurz umschreiben?

PraesesSchneider: Kurz und knapp: Du bist ein von Gott geliebter Mensch, musst Dir Deine Würde nicht erarbeiten und kannst sie auch nicht verlieren. Das gilt auch für das Himmelreich! Gott ist in allen
Höhen und Tiefen des Lebens an Deiner Seite.

kpuschmann: Das ist ja mal eine Prima Aussage präses Schneider. Wenn Sie nicht dagegen haben nehme ich selbige für die Nächste Sitzung im beschäftigungsfonds als Alternative zur Tageslosung

atemhaus: @Präses Schneider: Danke für diese wunderbare Formulierung. Ich glaube es lohnt sich, Menschen dazu zu ermutigen, das in und an ihrer eigenen Lebensgeschichte durchzubuchstabieren - und das natürlich auch selber zu tun.

 

Thema: Advent

guest6134: Wenn noch Zeit für eine Frage ist: Was sagen Sie dazu, dass Advent für viele Menschen nur noch shoppen ist - geht da nicht der Sinn von Weihnachten verloren?

PraesesSchneider: Mein Weihnachtsgeld ist schon fest verplant. Die Frauen in meiner Familie shoppen auch sehr gern. Aber nun ernsthaft: Wir müssen als Kirchen mit viel Phantasie darum werben, die
Bedeutung der Adventszeit und den Sinn des Weihnachtsfestes immer neu zu vermitteln. Kalender wie "der andere Advent" ist dafür ein gutes Hilfsmittel und noch mehr Kreativität wäre wirklich gut.