Bollwerk der Integration: Interkulturelle Woche 2010

Bollwerk der Integration: Interkulturelle Woche 2010
Mit einem ökumenischen Gottesdienst in Essen ist die bundesweite Interkulturelle Woche eröffnet worden. Der rheinische Präses und amtierende EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider, der römisch-katholische Bischof Franz-Josef Overbeck und der griechisch-orthodoxe Metropolit Augoustinos gestalteten den Gottesdienst gemeinsam. Ziel der Interkulturellen Woche ist es, die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, des Geschlechts oder anderer Kriterien zu überwinden.
24.09.2010
Von Thorsten Leißer

Unter dem Motto "Zusammenhalten – Zukunft gewinnen" stehen etwa 3.500 Veranstaltungen in über 300 Städten und Gemeinden, die in der Zeit vom 26. September bis 2. Oktober 2010 bundesweit stattfinden. Die Bandbreite reicht dabei wieder von Kochkursen, Filmvorführungen und Lesungen über Theaterstücke zu Gottesdiensten und Vorträgen.

Die Idee hat Geschichte: Bereits seit 1975 findet jährlich Ende September die Interkulturelle Woche statt. Organisiert und getragen werden die Programme vor Ort zumeist von Bündnissen, in denen sich Vertreterinnen und Vertreter von Kirchengemeinden, der Kommunen, von Migrantenorganisationen, von unterschiedlichen Einrichtungen, Vereinen oder Initiativen sowie interessierte Einzelpersonen engagieren.

[listbox:title=Zur Interkulturellen Woche[Gemeinsames Wort der Kirchen]]

Bis heute ist das Eintreten für bessere politische und rechtliche Rahmenbedingungen des Zusammenlebens von Deutschen und Zugewanderten ein Ziel der "Woche" geblieben. Darüber hinaus will die Initiative dazu beitragen, durch Begegnungen und persönliche Kontakte ein besseres gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und zum Abbau von Vorurteilen beizutragen, was angesichts der jüngsten Debatten über die sarrazinischen Thesen nichts an seiner Aktualität eingebüßt hat.

Bleiberecht und Integration

Zur diesjährigen "Woche" haben die Kirchen in ihrem Gemeinsamen Wort den Fokus auf das Bleiberecht für langjährig in Deutschland Geduldete gelegt. Im Zentrum stehen neben Jugendlichen, die hier geboren und aufgewachsen sind, auch die Forderung nach humanitären Aspekten bei der zukünftigen Regelung: diese Aspekte "müssen berücksichtigt werden, wenn etwa alte, kranke oder traumatisierte Menschen ohne eigenes Verschulden die strengen Bedingungen für einen dauerhaften Aufenthalt nicht erfüllen können."

Auch zur Integration äußern sich die Kirchen: "Zugang zum Arbeitsmarkt, gleiche Bildungschancen oder gesellschaftliche und politische Partizipationsmöglichkeiten dürfen nicht nur gefordert werden. Vielmehr müssen wir unsere Anstrengungen verstärken, damit diese Ziele für alle, unabhängig von ihrer Herkunft, erreichbar werden." Dabei nehmen sich die Kirchen mit in die Pflicht, denn Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, über die auch bekannte Probleme und Defizite nicht hinwegtäuschen dürfen.

Eine Initiative, die gesellschaftliche Diskussionen anstößt

Es waren aktuelle gesellschaftliche Beobachtungen, welche die großen christlichen Kirchen in Deutschland im Jahr 1975 veranlassten, den "Tag des ausländischen Mitbürgers", aus dem sich die heutige Interkulturelle Woche entwickelt hat, ins Leben zu rufen.

Nach dem Anwerbestopp 1973 war deutlich geworden, dass es eine folgenschwere Fehleinschätzung war, dass ausländische Arbeitskräfte sich nur vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten und in absehbarer Zeit wieder in ihre Herkunftsländer zurückzukehren würden. Es wurden Arbeitskräfte gerufen, aber stattdessen kamen Menschen. Fehlende politische Rahmenbedingungen, und ein Mangel an gesellschaftlichen Integrationsangeboten machten in der Folge nicht nur den "Gastarbeitern" und ihren Familien, sondern auch der deutschen Mehrheitsbevölkerung zu schaffen. Die Arbeitsmigranten sahen sich bestenfalls der Erwartung gegenüber, sich vollständig an die deutsche Gesellschaft anzupassen und ihrer Werteordnung unterzuordnen.

Mit der "Woche der ausländischen Mitbürger" wurden damals gesellschaftliche Diskussionen angestoßen, die bis heute wirken. Schon 1978 formulierten die Kirchen in ihrem gemeinsamen Wort zum "Tag des ausländischen Mitbürgers", dass "für viele ... die Bundesrepublik zum Einwanderungsland geworden ist." Eine erstaunlich offene Analyse für die damalige Zeit, in der noch lange das Dogma der deutschen Ausländerpolitik gelten sollte, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist.

Ökumenische Koordination und Unterstützung

Den christlichen Kirchen ist es darüber hinaus in den zurückliegenden Jahren gelungen, die besonderen Herausforderungen durch Migration und Flucht im Kontext einer verschärften Ausländerpolitik öffentlich zu machen und so zu Anwältinnen von Flüchtlingen zu werden, die in Deutschland Zuflucht suchen. Dies hat auch darin Ausdruck gefunden, dass nunmehr seit 1986 im Rahmen der Interkulturellen Woche der Tag des Flüchtlings stattfindet, der auf die besondere Situation von Flüchtlingen hinweist.

Die Interkulturelle Woche ist eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz, des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Griechisch-Orthodoxe Metropolie. Die Initiative wird von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Kommunen, Migrationsbeiräten, Integrationsbeauftragten und deutsch-ausländischen Initiativgruppen unterstützt und mitgetragen.

Zur Vorbereitung der "Woche" wurde der Ökumenische Vorbereitungsausschuss eingerichtet. Er veranstaltet jährlich im Februar eine Vorbereitungstagung, an der rund 150 Personen aus den Bereichen Migration, Integration und Flucht teilnehmen und die inhaltliche und politische Schwerpunktsetzung der kommenden Interkulturellen Woche erarbeiten. In der Folge werden Materialien erarbeitet, die sowohl den Akteurinnen und Akteuren vor Ort eine Orientierung sein wollen als auch für die Verbreitung an Informationsständen oder bei Veranstaltungen geeignet sind.


Thorsten Leißer ist Theologischer Referent für Menschenrechte und Migration im Kirchenamt der EKD und Mitglied im Ökumenischen Vorbereitungsausschuss zur Interkulturellen Woche.