Ministerium förderte Unterricht mit "Feuerherz"

Ministerium förderte Unterricht mit "Feuerherz"
Hat das NDR-Magazin "Zapp" die Wahrheit auf den Kopf gestellt? Die "Aktion Weißes Friedensband" sieht dies offenbar so und verbreitet diese Meinung in deutschen Klassenzimmern.
30.08.2010
Von Henrik Schmitz

Es ist eine herzzerreißende Geschichte. In ihrem Buch "Feuerherz" beschreibt die Sängerin Senait Mehari angebliche Kindheitserlebnisse unter anderem in einem militärischen Ausbildungslager in Eritrea. Jedoch: Experten bezweifeln, dass Senait Mehari die in dem Buch beschriebenen Erlebnisse so gemacht haben kann. Einige Passagen in dem Buch haben sich inzwischen als unwahr herausgestellt. Der Eritrea-Kenner Günter Schröder spricht in einem Gutachten von "Ungereimtheiten und Fehlern". Nach einem Gerichtsvergleich wird "Feuerherz" vom Verlag Droemer/Knaur inzwischen nicht mehr verkauft. 

Doch obwohl das Buch offenbar erhebliche Mängel hat, bietet die "Aktion Weißes Friedensband" Material für den Schulunterricht an, das auf "Feuerherz" beruht. "Wir möchten Ihnen zum Thema Kindersoldaten eine für Schülerinnen und Schüler packende Doppelstunde anbieten", wirbt die Aktion auf ihrer Homepage. Der besondere Clou: "Die Kosten für unser Angebot Lesung+Information+Aktion betragen für Sie nur maximal 60,00 Euro, weil sie eine Förderung aus dem Aktionsgruppenprogramm (AGP) beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beantragen können. (…) Wir senden Ihnen auf Wunsch einen vorbereiteten Antrag zu".

Über 2.000 Euro vom Staat

Einige Schulen machten offenbar von diesem Angebot Gebrauch. Von 2007 bis 2010 seien vier Anträge bezuschusst worden, bestätigte das BMZ auf Anfrage von evangelisch.de. 2007 Euro wurden für die Aktion "Thema Kindersoldaten in der Schule" bewilligt. Eine staatlich geförderte Unterrichtseinheit auf Basis eines Buches, das gar nicht mehr verkauft wird, weil es in Teilen unwahr ist? Das BMZ beziehungsweise die Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH (Inwent), die die Mittel aus dem AGP vergibt, sieht darin offenbar kein Problem. Kontroverses werde in der Unterrichtseinheit auch kontrovers dargestellt und behandelt, schreibt Inwent in einer Mail an evangelisch.de. Zudem gebe es eine "ausführliche Medienanalyse" zu "Feuerherz".

In der von der "Aktion Weißes Friedensband" erarbeiteten "Arbeitshilfe" zu "Feuerherz" ist von Kontroverse jedoch wenig zu merken. An der Geschichte von Senait Mehari, die als "charmant und bescheiden" beschrieben wird, werden kaum Zweifel geäußert. "Eine Frau hat ihre Kindheitsgeschichte aufgeschrieben. Wer immer versucht, über Kindheitserlebnisse zu berichten, wird bei der Überprüfung Differenzen feststellen", heißt es lapidar. Dass "Feuerherz" nicht mehr verkauft werden darf, wird erst gar nicht erwähnt. Auch die von Günter Schröder benannten "Ungereimtheiten" werden nicht aufgegriffen. Stattdessen werden die Kritiker des Buches, allen voran die NDR-Journalistin Julia Salden, in der "Medienanalyse" ziemlich einseitig angegangen.

Keine journalistische Sorgfalt bei "Zapp"?

"Für Jugendliche ist es wichtig zu lernen, dass Medien eigenen Regeln und Kriterien folgen und die Wahrheit durchaus auf den Kopf stellen können", heißt es in der Arbeitshilfe. Wie dies geschieht, sollen Schüler offenbar anhand eines Beitrages herausfinden, den Salden, die inzwischen Referentin von NDR-Intendant Lutz Marmor ist, gemeinsam mit dem Journalisten Peter Disch 2007 für das NDR-Magazin "Zapp" erstellt hat. Dafür gibt die "Aktion Weißes Friedensband" klare Arbeitsanweisungen: "Die Jugendlichen erfahren aus den Zitaten, wo Zapp die notwendigen (sic!) journalistischen Sorgfaltspflicht verletzt hat. Sie sollen sich fragen, warum ein Magazin so handelt".

Dass der Zapp-Beitrag im Gegensatz zum Buch "Feuerherz" bis heute rechtlich unbeanstandet blieb, erklärt die "Arbeitshilfe" damit, dass "nur wenig Inhalt" geboten werde. "Aneinandergereihte, oft sehr vage Aussagen, suggerieren Inhalt und Substanz. Dies hat einen plausiblen Grund: Ein solcher Text ist nicht gerichtsrelevant und kann nicht angefochten werden."

Fehlende Substanz

Vage und ohne Substanz sind allerdings auch einige Anweisungen in der "Arbeitshilfe". Bei der Bewertung der in dem Salden-Beitrag zitierten Zeitzeugen sollen die Schüler berücksichtigen, "dass es einen in Deutschland rege tätigen eritreischen Geheimdienst gibt". Und auch für den Zeitpunkt der Veröffentlichungen über "Feuerherz" wartet die "Arbeitshilfe" mit einer These auf, die so vage wie wirr ist: "Erst unmittelbar nach Ankündigung der Verfilmung des Buches, traten Gegner auf den Plan. Das hat einen einfachen Grund. Ein Buch, selbst wenn es wie ,Feuerherz' eine halbe Million mal verkauft wird, bringt nicht so viel Öffentlichkeit wie ein Film, denn des Lesens muss man mächtig sein, einen Film kann jeder anschauen und aufgrund der Bilder auch noch inhaltlich erfassen, wenn er in einer fremden Sprache gezeigt wird." Die "Arbeitshilfe" gibt so im Wesentlichen das wieder, was sie bereits in einem Brief an den NDR-Rundfunkrat als Kritik an dem Beitrag formulierte.

Das eine solch einseitige "Arbeitshilfe" zumindest weiterführende Ergänzung einer vom BMZ geförderten Unterrichtsreihe ist, erstaunt jedoch. Im Merkblatt zum AGP heißt es: Die geförderten Maßnahmen müssen Gewähr für eine sachliche Diskussion der Entwicklungsproblematik bieten und zu einer ausgewogenen Gesamtinformation beitragen." Was "sachlich und ausgewogen" ist, davon hat die "Aktion Weißes Friedensband", deren Engagement gegen Kindersoldaten im Kern lobenswert ist, in Sachen "Feuerherz" offenbar eine etwas eigentümliche Auffassung. Schirmherrin der Aktion ist übrigens: Senait Mehari.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur.