G20: "Wachstumsfreundlicher Defizitabbau"

G20: "Wachstumsfreundlicher Defizitabbau"
Es war einer der teuersten Gipfel der Geschichte - aber mit eher mageren Ergebnissen. Die Versprechen zum Abschluss des G20-Treffens in Toronto sind wohlklingend: Abbau der Haushaltsdefizite und eine Finanzmarktreform. Für Begeisterung sorgte vor allem die Fußball-WM.
28.06.2010
Von Dorothée Junkers und Martin Romanczyk

Kurswechsel der stärksten Volkswirtschaften der Erde (G20): Statt mit Konjunkturprogrammen auf Pump wollen sie künftig durch Schuldenabbau Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen. Auf diese - wenn auch unverbindlichen - Ziele verständigten sich die Staats- und Regierungschefs der G20 im kanadischen Toronto. Sie blieben aber auch im zweiten Jahr nach der schweren Wirtschaftskrise die versprochenen schärferen Spielregeln für die Banken schuldig.

"Wachstumsfreundlicher Defizitabbau"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sah die Finanzpolitik Deutschlands und Europas am Wochenende in Toronto bestätigt. "Ehrlich gesagt, ist es mehr als ich erwartet habe (...)." Es sei eine Formel für "wachstumsfreundlichen Defizitabbau" gefunden worden. Bis 2013 wollen die stärksten Industrienationen ihre Haushaltsdefizite halbieren. Der Anteil der Schulden an der Wirtschaftsleistung soll sich möglichst verringern.

US-Präsident Barack Obama kündigte mittelfristig eine Wende in seiner Wirtschaftspolitik an. Die Amerikaner "können und wollen nicht länger den Weg der Welt zum Wohlstand bezahlen", sagte er am Sonntagabend (Ortszeit). Er will die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie stärken und so die Exporte ankurbeln.

Obama steht innenpolitisch angesichts der hohen Arbeitslosigkeit unter Druck. Bisher setzt er besonders auf schuldenfinanzierte Konjunkturanreize. Doch angesichts des enormen Schuldenbergs mehren sich auch dort kritische Stimmen - selbst in Obamas Demokratischer Partei.

Ausschreitungen - 500 Demonstranten festgenommen

Der Gastgeber und kanadische Premierminister Stephen Harper kam Obama entgegen. "Wir haben starke Beschüsse zur Eindämmung der Schulden vorgenommen", sagte er. "Die Haushaltskonsolidierung ist aber nicht Ziel an sich. Die Konjunkturprogramme werden auf kurze Sicht weiter eine wichtige Rolle spielen."

Auch der US-Präsident zeigte sich mit dem Doppel-Gipfel zufrieden - am Freitag und Samstag hatten auch die führenden Industriestaaten und Russland (G8) im 220 Kilometer nördlich von Toronto gelegenen Huntsville getagt. Zur G8 gehören die USA, Kanada, Russland, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien.

Die G20 repräsentiert zwei Drittel der Weltbevölkerung, knapp neun Zehntel der globalen Wirtschaftskraft und vier Fünftel des weltweiten Handels. Zu der Gruppe gehören aufstrebende Volkswirtschaften wie China, Indien, Mexiko und Brasilien. Der erste G20-Gipfel waren im November 2008 auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise zusammengekommen - als eine Art globale Krisenfeuerwehr. Das Toronto-Treffen war der nun vierte Gipfel.

Harper stand wegen der gewaltigen Gipfelkosten von fast einer Milliarde Euro in der Kritik. Obwohl der Großteil des Geldes für die Sicherheit draufging, kam es zu Ausschreitungen. Mehr als 500 Demonstranten wurden festgenommen. Polizeiautos brannten.

Keine globale Bankenabgabe oder Transaktionssteuer

Wenig Handfestes kam bei der Reform des Weltfinanzsystems heraus. Immerhin konnte Obama für die USA bereits schärfere Regeln vorweisen, die wohl im Juli Gesetz werden. Allerdings zählten die Vorschriften für die US-Bankenbranche bisher im weltweiten Vergleich zu den lockersten - ein wesentlicher Grund für den Ausbruch der Finanzkrise.

Die G20 wollen nun im November in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul einen Rahmen verabschieden - beispielsweise für eine bessere Risikovorsorge und schärfere Eigenkapitalvorschriften der Banken. Merkel konnte sich mit ihren Ideen einer Bankenabgabe und einer Steuer auf bestimmte Bankgeschäfte nicht durchsetzen. Immerhin sprang ihr Obama bei der Bankenabgabe bei. Der Gipfel sei eine "Übergangsphase" gewesen, räumte Merkel ein. "Wichtige weitere Schritte werden wir in Seoul abschließen."

Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy sah dennoch einen Erfolg der Europäer. Zum ersten Mal überhaupt sei in einem Dokument der G8 oder der G20 von einer Bankenabgabe die Rede. Sarkozy und der neue britische Premier David Cameron wollen die Welthandelsrunde wiederbeleben. Das müsse Chefsache werden, sagte der Franzose. Die sogenannte Doha-Runde läuft seit 2001. Sie stockt vor allem wegen Streits zwischen den reichen Industriestaaten und den aufstrebenden Schwellenländern über die Öffnung der Märkte.

Am Sonntag stahl sich Merkel für eine Stunde aus der Sitzung, um begeistert das Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen England bei der Fußball-WM zu sehen. "Das war ein tolles Spiel und ein toller Sieg. Ich bin noch ganz bewegt", sagte die Kanzlerin nachher. 

Keine Abschlusserklärung zum Klimaschutz

Die Staats- und Regierungschefs klammerten den Klimaschutz quasi aus. Sie strichen das Bekenntnis, in nachhaltige Energien zu investieren, aus der Abschlusserklärung. Nach dem Debakel beim Weltklimagipfel in Kopenhagen spielt das Thema derzeit eine untergeordnete Rolle.

Auch wenn erstmals ein G20-Gipfel direkt einem G8-Treffen folgte, sieht Merkel für die Gruppe der Acht weiter einen wichtigen Platz im globalen Machtgefüge. Die G8-Staaten verurteilten Nordkorea für den Angriff auf ein südkoreanisches Kriegsschiff Ende März. Den Iran riefen sie erneut auf, sein Atomprogramm internationalen Inspektoren offenzulegen. Das Land steht im Verdacht, an der Atombombe zu arbeiten.

Hilfsorganisationen übten scharfe Kritik an der G8. Sie warfen den Staatenführern vor, frühere Versprechen an arme Länder unter den Tisch fallengelassen zu haben. Gegen den G20-Gipfel in Toronto protestierten mindestens 10.000 Demonstranten. Nach zunächst friedlichen Aktionen kam es zu den Ausschreitungen. 19.000 Polizisten waren im Einsatz. Frankreis Staatspräsident Nicolas Sarkozy richtet 2011 im Frühjahr (G8 in Nizza) und im November (G20 - Ort noch offen) die nächsten Gipfel aus.

dpa