TV-Tipp: "Marie Brand und die verfolgte Braut"

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20. April, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Marie Brand und die verfolgte Braut"
Das Drehbuch von Timo Berndt bedient sich der Taktik der Schuldumkehr: An der Schuld des Täters besteht kein Zweifel, zumal er verurteilt worden ist; aber dennoch ist er auch Opfer.

Die Begriffe Täter-Opfer-Umkehr oder auch Schuldumkehr beschreiben die perfide Strategie der Strafverteidigung, den Leidtragenden etwa einer Vergewaltigung eine Mitschuld an dem Verbrechen zu unterstellen. Davon kann in diesem Krimi aus der Reihe mit Mariele Millowitsch und Hinnerk Schönemann zwar keine Rede sein, doch das Drehbuch von Timo Berndt bedient sich einer ähnlichen Taktik: An der Schuld des Täters besteht kein Zweifel, zumal er verurteilt worden ist; aber dennoch ist er auch Opfer. Das Mitgefühl mit Rasmus Tauber (David Rott) hält sich trotzdem in Grenzen: Der Mann ist ein Stalker, wie er im Buche steht.

Vor drei Monaten ist er nach zwei Jahren aus der Haft entlassen worden, nun lebt er in einem heruntergekommenen Wohnmobil auf einem verrotteten Campingplatz. Als aus heiterem Himmel Schüsse fallen, kommt er nur durch Glück mit dem Leben davon; eine der Kugeln trifft allerdings den Platzwart tödlich. Prompt werden Marie Brand und ihr Kollege Simmel bei jener Frau vorstellig, die bis zur Verhaftung ihres Ex-Manns ein Leben in ständiger Angst führte, doch Gwen Tauber (Anna Brüggemann) braucht den Stalker nicht mehr zu fürchten: Er hat ein anderes Opfer gefunden. 

Natürlich benötigt eine derartige Geschichte eine Zeugin der Anklage. Das ist in diesem Fall eine Frau, die eine Beratungseinrichtung für Stalking-Opfer führt. Dem aufmerksamen Publikum wird nicht entgangen sein, dass Jana Lembowski (Ulrike C. Tscharre) unter den Schaulustigen am Campingplatz war. Tatsächlich ist sie in die Geschichte jedoch anders als erwartet involviert. Erst mal bringt Berndt, der lange "Die Toten vom Bodensee" geprägt und seit dem zweiten Film sämtliche Drehbücher für "Sarah Kohr" (beides Krimireihen im ZDF) geschrieben hat, einen weiteren Handlungsstrang ins Spiel. Die junge Paula (Lara Feith) bereitet sich auf ihre bevorstehende Hochzeit vor, doch ein Schatten trübt die Vorfreude ganz erheblich: Sie ist Taubers neue Angebetete. Die schauspielerischen Darbietungen lassen diese Ebene allerdings gerade im Vergleich zu den erfahrenen Mitwirkenden wie Ausschnitte aus einer täglichen Serie wirken.

Wie Fremdkörper fühlen sich auch die heiteren Zwischenspiele an: Engler (Thomas Heinze), der Chef des Duos von der Kölner Kripo, will anlässlich von Brands Dienstjubiläum eine Feier organisieren und nervt Simmel selbst auf dem Klo mit der Bitte um Tipps für Catering, Erheiterung und Geschenk. Wirklich lustig an diesen Einschüben ist allein die Schlusspointe; ansonsten verdanken sie ihre Existenz offenbar allein dem "Marie Brand"-Markenzeichen "Schmunzelkrimi". Umso interessanter ist glücklicherweise die zentrale Handlung, zumal sich David Rott erwartungsgemäß als treffende Besetzung für die wichtigste Episodengastrolle erweist: Seine Filmografie besteht grob geschätzt zu gleichen Teilen aus Krimis wie aus Komödien oder romantischen Dramen. Natürlich ist Tauber ein Täter, aber er kann durchaus einen gewissen Charme entwickeln. Berndts Drehbuch ist zwar weit davon entfernt, Paulas Opferrolle in frage zu stellen, aber ganz so unschuldig, wie sie tut, ist sie an ihrer Misere nicht. 

Die auch darstellerisch interessantere Figur ist allerdings Gwen, zumal der Autor ihre Geschichte um eine tragische Fußnote ergänzt. Die Frau kümmert sich hingebungsvoll um einen pflegebedürftigen Mann, den sie im Grunde kaum kennt: Benno (Benno Schulz) war ihr erstes Date nach der Trennung. Tauber hat ihm damals aufgelauert; bei seiner Flucht ist er vor ein Auto gelaufen. Eine kleine, aber wichtige Rolle spielt auch Vivien König als Bennos Tochter; die junge Schauspielerin hat sich zuletzt mit der heiteren "Inga Lindström"-Romanze "Die vergessene Hochzeit" (2024) für höhere Aufgaben empfohlen. Regisseur des 34. "Marie Brand"-Films ist Michael Zens, "Die verfolgte Braut" ist bereits seine siebte Arbeit für die Reihe.

Die Qualität seiner früheren Beiträge war wechselhaft, auch dieser Krimi hat Licht und Schatten. Die Umsetzung entspricht dem gängigen Standard von Krimiserien, die Bildgestaltung setzt ebenso wie die Musik keinerlei nennenswerte Akzente. Originell ist in dieser Hinsicht allein der Auftakt, als Zens bei der Inszenierung des Campingplatzes mit einer wie Tumbleweed (zu deutsch Steppenläufer oder Bodenroller) durchs Bild kullernden Plastiktüte und dem im Wind quietschenden Kioskschild ein paar Western-Elemente einstreut. Amüsant sind auch witzige Momente wie jener, als Tauber sich mit dem Schlüssel des Dienstwagens aus dem Staub macht und das Kripo-Duo seine Fahrt mit einem Trecker fortsetzen muss.