TV-Tipp: "Sörensen hat Angst"

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6. April, ARD One, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Sörensen hat Angst"
Für den Kriminalhauptkommissar aus Hamburg ist der Wechsel aufs Land keine Versetzung, sondern eine Flucht, wie der Prolog zu "Sörensen hat Angst" verdeutlicht.

Wenn ein Fernsehpolizist sein Großstadtrevier verlassen muss, weil er aufs Land versetzt wird, geschieht das selten aus freien Stücken; das war bei "Nord bei Nordwest" nicht anders als bei "Mord mit Aussicht". Im Fall von Sörensen, einem Mann ohne Vornamen, liegen die Dinge jedoch etwas anders. Für den Kriminalhauptkommissar aus Hamburg ist der Wechsel aufs Land keine Versetzung, sondern eine Flucht, wie der Prolog zu "Sörensen hat Angst" verdeutlicht: Während er im Auto die Stadt verlässt, wird er von der geballten Kakophonie der Metropole begleitet. Seine Hoffnung, im neuen Revier eine ruhige Kugel schieben zu können, erweist sich als fataler Irrtum: In der beschaulichen niedersächsischen Kleinstadt Katenbüll tun sich wahre Abgründe menschlicher Grausamkeit auf. 

"Sörensen hat Angst" war vor vier Jahren das Regiedebüt von Bjarne Mädel, der auch die Hauptrolle spielt. Von außen betrachtet wirkte es mutig vom NDR, ihm die Inszenierung eines Mittwochsfilms im "Ersten" zuzutrauen, aber vermutlich wusste die Redaktion spätestens seit der gleich zweimal mit dem Grimme-Preis gekrönten Zusammenarbeit bei der Serie "Der Tatortreiniger", dass Mädel mehr als "nur" ein ausgezeichneter Schauspieler ist. In der Tat hat er die Hoffnungen nicht enttäuscht, im Gegenteil, zumal der Film nicht nur durch vorzügliche darstellerische Leistungen imponiert: Dank der Bild- und Lichtgestaltung von Kameramann Kristian Leschner ist das Krimidrama auch in optischer Hinsicht sehenswert. 

Die dritte große Qualität des Films ist das Drehbuch. Sven Stricker hat seinen gleichnamigen Roman selbst adaptiert und Mädel auf diese Weise eine Rolle beschert, die sich deutlich von den üblichen TV-Kommissaren abhebt: Sörensen leidet unter einer Angststörung, die sich regelmäßig in Panikattacken äußert. Kaum hat er seine neuen Mitarbeiter kennengelernt, wird er bereits in einen Mordfall verwickelt: Der Bürgermeister ist erschossen worden. Also sucht Sörensen die beiden Männer auf, die einst mit dem nun hingerichteten Hinrichs ein verschworenes Trio gebildet haben. Jens Schäffler, Chef einer Fleischfabrik mit dem unpassenden Namen "Fleischeslust", ist dem Vegetarier automatisch unsympathisch, zumal sich der überhebliche Geschäftsmann nicht in die Karten schauen lässt. Während Peter Kurth diesen Mann mit einer Buddha-gleichen Tiefenentspanntheit versieht, ist Matthias Brandt in der Rolle des verstoßenen Dritten das genaue Gegenteil: Der frühere Kurdirektor Marek hat erst die Karriere, dann seine Familie und schließlich jede Würde verloren, nachdem kinderpornografische Bilder bei ihm entdeckt worden sind.

Brandt suhlt sich geradezu in dieser völlig verkrachten Existenz; man spürt förmlich, wie viel Freude ihm die Rolle bereitet haben muss. Natürlich sind weder der lebensmüde Marek noch der geplagte Polizist komische Figuren, und der Film macht sich zu keinem Zeitpunkt über sie lustig. Trotzdem steht Brandts fast schon satirisch überspitzte Verkörperung für die gelungene Gratwanderung nicht nur der Geschichte, sondern auch von Mädels Inszenierung: "Sörensen hat Angst" ist ein Drama, doch innerhalb dieses Rahmen sind witzige Momente durchaus möglich. Dafür sorgen zum Beispiel einige von lakonischem Humor geprägte skurrile Szenen sowie die trockenen Dialoge. 

Im Anschluss (21.45 Uhr) zeigt ARD-Tochtersender One die Fortsetzung, "Sörensen fängt Feuer" (2023). Mädel hat vor und hinter der Kamera weitgehend mit dem gleichen Team gearbeitet, das Drehbuch stammt erneut von Stricker, der Titel-Antiheld leidet nach wie vor unter Angststörungen. Die Geschichte ist allerdings eine gänzlich andere: Der Beinahe-Zusammenstoß mit einer jungen Frau führt den Provinzkommissar auf die Spur einer rätselhaften Mordserie. Die Handlung hätte sich durchaus als ganz normaler Krimi erzählen lassen, und tatsächlich lässt sich der Film auch so betrachten, aber schon allein die Gestaltung unterscheidet Mädels zweite Regiearbeit ganz erheblich vom Rest des Genres.

Die Schlüsselszene kurz vor Schluss hat er wie ein Theaterstück inszeniert: Auf einer finsteren Bühne wandert eine Person von einer Lichtinsel zu nächsten und damit von Opfer zu Opfer, um die Hintergründe der Mordserie zu erläutern. Der Fall entpuppt sich zwar als reichlich konstruiert, zumal es einige verblüffende Wendungen gibt, ist aber in sich schlüssig. Natürlich ist die Suche nach des Rätsels Lösung der Motor der Ereignisse, aber zwischenzeitlich gerät das Ziel immer wieder aus dem Blick, weil Sörensen und seine Kollegin ihre Befindlichkeiten sortieren müssen. Verdeutlichte im ersten Film noch vor allem die Kameraarbeit, wie es um den Kommissar steht, so deuten diesmal die Erscheinungen seines kindlichen Alter Egos an, wo die Ursachen für die Probleme der Hauptfigur liegen. Mitunter wird es auf der Metaebene auch mal gruselig.