TV-Tipp: "Bonn – Alte Freunde, neue Feinde"

Fernseher vor gelbem Hintergrund
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29. Dezember, WDR, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Bonn – Alte Freunde, neue Feinde"
Die Dämonen der nationalsozialistischen Vergangenheit tauchen in dieser Serie aus den 1950er Jahren immer wieder auf. In jeder Behörde und in jeder Familie sind sie präsent. Die sechsteilige Serie "Bonn – Alte Freunde, neue Feinde" (Erstausstrahlung war zu Beginn des Jahres im "Ersten") verknüpft Zeitgeschichte mit einem Familiendrama.

Im kollektiven BRD-Gedächtnis sind die Fünfzigerjahre vor allem durch das Wirtschaftswunder geprägt. Der rasante Aufschwung hatte zur Folge, dass die Demokratie leichtes Spiel hatte. Die Dämonen der Vergangenheit waren allerdings nach wie vor präsent, in jeder Behörde und in jeder Familie; und davon handelt die im Jahr 1954 angesiedelte sechsteilige Serie "Bonn – Alte Freunde, neue Feinde" (Erstausstrahlung war zu Beginn des Jahres im "Ersten").

Geschickt verknüpfen Claudia Garde und ihr Drehbuchteam (Martin Rehbock, Peter Furrer, Idee: Gerrit Hermans) die Zeitgeschichte mit einem Familiendrama: Nach einem Au-pair-Jahr in England kehrt die zwanzigjährige Toni Schmidt (Mercedes Müller) in die Bundeshauptstadt zurück. Mit der klassischen Frauenrolle als Hausfrau und Mutter kann sie sich nicht mehr identifizieren. Ihr Vater (Juergen Maurer) vermittelt ihr eine Stelle als Fremdsprachensekretärin bei einem Freund.

Tonis neuer Chef, Reinhard Gehlen (Martin Wuttke), leitet den Auslandsgeheimdienst. Damit wird sie für einen Mann interessant, der so etwas wie der Gegenspieler Gehlens ist: Otto John (Sebastian Blomberg), einst Widerstandskämpfer und nun Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), will das Land entnazifizieren, aber die Kriegsverbrecher und Massenmörder haben mächtige Verbündete in den höchsten Stellen. John gewinnt Toni als Informantin, was in letzter Konsequenz bedeutet, dass sie sich gegen ihren Vater auflehnen muss.

Mitunter räumt Garde der familiären Ebene allerdings zu viel Platz ein; als Vorbild diente mutmaßlich die ganz ähnlich konzipierte DDR-Serie "Weissensee". Ungleich spannender ist die personelle Konstellation, denn Toni ist zwischen drei Vaterfiguren hin und her gerissen: Juergen Maurer versieht Gerd Schmidt mit der für ihn typischen düsteren Aura, zumal der Mann eine Schuld auf sich geladen hat, die seiner Frau (Katharina Marie Schubert) das weitere Zusammenleben unmöglich macht. Martin Wuttke gestattet dem sinistren Gehlen eine väterliche Freundlichkeit, die dem Strippenzieher sogar eine gewisse Sympathie beschert. Sebastian Blomberg ist der tragische Held der Geschichte: Er kann seine Mission unmöglich erfüllen, weil "Hitlers willige Vollstrecker" für den Kalten Krieg benötigt werden. 

Tonis "Väter" sind vielschichtige Persönlichkeiten, aber ihre Rollen sind klar verteilt: John ist in der Wahl seiner Mittel zwar nicht wählerisch, doch er verkörpert das Gute, Gehlen ist selbstredend der Antagonist. Bauunternehmer Schmidt schließlich ist geprägt von der alten Ideologie, repräsentiert jedoch vor allem den ökonomischen Aufschwung. Er will Deutschland wieder "groß machen" und steht für jene Teile der Gesellschaft, die anders als John kein Interesse an einer Wiedervereinigung von BRD und DDR, sondern einen europäischen Wirtschaftsraum im Sinn haben. Oder, wie es Wolfgang Berns (Max Riemelt), die fünfte zentrale Figur, formuliert: "Niemand will Frieden, damit lässt sich kein Geld verdienen." John setzt seinen engsten Vertrauten als "Romeo" auf Toni an. Der Agent soll garantieren, dass die von Gehlen mittlerweile zur persönlichen Korrespondentin ernannte junge Frau das BfV zuverlässig mit Informationen versorgt.

Der Präsident hat keine Ahnung, dass Berns auf eigene Rechnung unterwegs ist; bis zum Schluss bleibt offen, auf welcher Seite er wirklich steht. Mit Tonis Hilfe kommt er einer vermeintlichen bewaffneten Untergrundverschwörung auf die Spur, die der Serie dank der aufgeflogenen Aktion der "Reichsbürger" eine bizarre Aktualität verleiht. Sämtliche Spuren führen zur "Quelle des Bösen", wie John die Organisation Gehlen nennt. 

Film zeigt die Fallstricke bei der Aufarbeitung der Vergangenheit

Ausstattung und Kostüm sind wie bei allen TV-Produktionen dieser Art von großer Sorgfalt, die zeitgeschichtlichen Hintergründe detailliert recherchiert. Schon allein als Schlaglicht auf ein selten erzähltes Kapitel der bundesdeutschen Historie ist "Bonn" ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit, selbst wenn nicht alle Szenen als Beitrag zur Wahrheitsfindung durchgehen. Außerdem klingen gerade angesichts der sonstigen Akribie diverse sprachliche Modernismen völlig deplatziert.

 Abgesehen von dieser Kritik ist Garde die richtige Regisseurin für diesen facettenreichen historischen Stoff, der zudem Agentenkrimi und Romanze ist. Zu ihren jüngsten Werken gehörten unter anderem der Sat.1-Thriller "Das Nebelhaus" (2017) und die vorzüglich gespielte Romanze "Verliebt in Valerie" (ARD 2019). Zuletzt hat sie "Ottilie von Faber-Castell" (ARD 2019) gedreht, ein aufwändig gestaltetes Porträt der Bleistiftfabrikantin; der Titelzusatz "Eine mutige Frau" könnte auch auf Toni gemünzt sein. Der WDR zeigt mit kurzer Unterbrechung durch die Nachrichten um 21.50 Uhr alle Folgen am Stück.