TV-Tipp: "Die Toten vom Bodensee: Der Nachtalb"

Fernseher vor gelbem Hintergrund
© Getty Images/iStockphoto/vicnt
9. Oktober, ZDF, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Die Toten vom Bodensee: Der Nachtalb"
Der Zustand des Mannes ist mehr als bedenklich. Bislang hat er die Kopfschmerzen, unter denen er seit Wochen leidet, als "Männermigräne" abgetan und auf den typischen Föhn im Alpenvorraum zurückgeführt; aber jetzt wird er auch tagsüber von Visionen heimgesucht, die ihn bislang nur nachts gepiesackt haben. All’ das wäre schon unter normalen Umständen nicht ungefährlich, aber Micha Oberländer ist Kriminalhauptkommissar; und womöglich hat er einen Mord begangen. 

"Der Nachtalb" ist die siebzehnte Episode der ZDF-Krimireihe "Die Toten vom Bodensee". Die Drehbücher haben immer schon gern Bezug auf regionale Mythen und Legenden genommen, aber selten war die Umsetzung so gruselig wie diesmal: Wenn Oberländer (Matthias Koeberlin) am helllichten Tag überfallartig von dem schauerlichen Mahr attackiert wird, ist das auch dank der optischen und akustischen Effekte nichts für schwache Nerven. Höhepunkt in dieser Hinsicht ist ein Alptraum innerhalb eines Alptraums; die Szene sorgt für einen echten Gänsehautmoment. 

Das Drehbuch stammt von Jeanet Pfitzer, Frank Koopmann und Roland Heep, die auch schon die im letzten Jahr ausgestrahlten sehenswerten Episoden 14 und 15 ("Das zweite Gesicht", "Unter Wölfen") geschrieben haben. Diesmal hat sich das Trio eine Handlung ausgedacht, die ausgerechnet die Hauptfigur in eine erhebliche Bredouille bringt: Ein Fußgänger ist nachts auf einer Landstraße überfahren und anschließend in den Graben gezerrt worden.

Die Tat ist offensichtlich mit Vorsatz begangen worden, und die Indizien deuten auf Oberländer: An seinem VW-Bus finden sich Unfallspuren und Blut des Opfers. Ein Motiv hätte er auch: Am Abend zuvor ist es zwischen ihm und dem Fremden zu einem hitzigen Wortgefecht gekommen, weil der Mann Oberländers Freundin Miriam (Martina Ebm) angemacht hat. Der Wirt bestätigt, dass der Kommissar später trotz unübersehbarer Trunkenheit mit seinem Auto davongefahren ist. 

Geschichten über Polizisten unter Verdacht sind immer reizvoll, doch in diesem Fall kommt ein "Blackout" dazu: Der Abend ist wie aus Oberländers Gedächtnis getilgt. Hin und wieder tauchen unvermittelt Erinnerungsfetzen auf, aber ansonsten hat er einen kompletten Filmriss. Komlatschek (Hary Prinz) ist überzeugt, dass jemand dem Kollegen die Tat in die Schuhe schieben will, doch für den Hauptkommissar steht außer Frage, dass er die Verantwortung für den offenbar vorsätzlich begangenen Mord übernehmen wird. Als sich dann auch noch rausstellt, dass er seine Freundin bei einem seiner Aussetzer geschlagen hat, scheint der Fall klar, erst recht für Staatsanwältin Seidel (Jaschka Lämmert), hinter deren freundlicher Fassade sich eine kühle kalkulierende Karrierefrau verbirgt. In Wien, klärt die in der letzten Episode aus der österreichischen Hauptstadt nach Bregenz versetzte Inspektorin Hoffmann (Alina Fritsch) die Kollegen auf, hieß die dort für die Abteilung Interne Ermittlungen tätige Juristin bloß "die Eiskönigin": Viktoria Seidel scheint es als besondere Herausforderung zu betrachten, Polizisten hinter Gittern zu bringen. 

Schon das Drehbuch ist richtig gut, aber die Umsetzung ist fast noch besser. "Der Nachtalb" ist bereits der achte Film, den Regisseur Michael Schneider für "Die Toten vom Bodensee" gedreht hat. Es ist auch ihm zu verdanken, dass sich die Reihe von einem zwischenzeitlichen Tief erholt hat. Gerade die Bildgestaltung ist bemerkenswert. Dass Kameramann Lukas Gnaiger prächtige Kalenderaufnahmen vom Bodensee gemacht hat, versteht sich fast von selbst, aber diesmal sind die Schmuckbilder endlich wieder ein Kontrast zur düsteren Geschichte. Hier der See, die Landschaft und der Himmel, dort die Auftritte der bedrohlichen Titelfigur mit ihren grotesk verdrehten Gliedmaßen: Der Gegensatz verfehlt seine Wirkung nicht. 

Sehenswert sind auch die Mitwirkenden. Hary Prinz stand oft im Schatten von Matthias Koeberlin und der früheren Hauptdarstellerin Nora Waldstätten, ist jedoch für das Gleichgewicht innerhalb des Ensembles von großer Bedeutung, zumal Komlatscheks trockene Kommentare für erfrischenden Humor sorgen. Auch Alina Fritschs Rolle ist interessant, zumal Luisa Hoffmanns Vorgeschichte bislang bloß angedeutet wird; in dieser Hinsicht ist die Inspektorin ähnlich verschlossen wie Vorgängerin Hannah Zeiler, deren Unfalltod Oberländer anscheinend tiefer getroffen hat, als er sich selbst eingestehen will. Selbst findige Krimifans werden eine Weile brauchen, bis sie das Komplott durchschauen; die entsprechende Erklärung ist eine echte Überraschung.