Wie sollen wir mit dem Rechtsruck umgehen?

Ein blaues Herz und der Schriftzug AfD sind mit Kreide auf eine Strafle
Martin Schutt/dpa (M)
Die Hintergründe des Wahlerfolgs der AfD in Thüringen beleuchtet Alexander Maßmann in seiner Kolumne evangelisch kontrovers.
Kolumne evangelisch kontrovers
Wie sollen wir mit dem Rechtsruck umgehen?
Der Erfolg der AfD bei der Landratswahl im thüringischen Sonneberg steckt uns in den Knochen. Wir sollten nicht einfach reflexhaft reagieren, meint Ethik-Kolumnist Alexander Maßmann.

Im Landkreis Sonneberg hat die AfD erstmals ein Landratsamt gewonnen, und teilweise zeigt sich in Thüringen ein gefestigter Rechtsextremismus. Enttäuschung und Sorge machen sich breit. Andererseits ist Sonneberg der kleinste Landkreis der östlichen Bundesländer, mit eher niedriger Wahlbeteiligung. Hier fängt die AfD gewissermaßen klein an.

Um ihre antidemokratischen Überzeugungen als normal zu etablieren, will sie ihre Wurzeln in der Kommunalpolitik vertiefen. So könnte sie ihre Umfragewerte von 18 bis 20 Prozent festigen und auch in den kommenden Landtagswahlen gut abschneiden. In Sonneberg waren etwa für die Hälfte der AfD-Wähler  Protest und Frust maßgeblich. Und weshalb ließen sich 40 Prozent der Wahlberechtigen nicht mobilisieren?

Eine wesentliche Aufgabe für die demokratischen Parteien besteht nun darin, dass sie "Vertrauen wieder aufbauen und rechtspopulistische Einstellungen in der Bevölkerung abbauen" – so wird zum Beispiel ein Kommunikationswissenschaftler zitiert. Das Problem ist aber: Die öffentliche Debatte geht in die andere Richtung. Man erklärt den Bürgerinnen und Bürgern in Thüringen, dass sie eine rechtsextreme Partei gewählt haben – kapieren die das denn gar nicht?

Die üblichen Reflexe

Im Spiegel entrüstet sich der Kolumnist Nikolaus Blome gar, dass die Menschen im Osten Deutschlands keine "Dankbarkeit"  zeigen: Wie können sie den "westdeutschen Einsatz und die gesamtdeutschen Erfolge" nur so kaltschnäuzig ignorieren und uns, die wir den Aufbau Ost finanziert haben, undankbar einen Korb geben? Dass in Ostdeutschland sowohl viele rechtsradikale Wähler als auch Politiker (weite Teile der AfD einschließlich dem Neu-Thüringer Bernd Höcke) aus dem Westen stammen, wird verschwiegen.

Umfrage

Wie sollten wir auf den politischen Rechtstrend reagieren?

Auswahlmöglichkeiten

Man verfällt in eingespielte Reflexe und merkt es nicht einmal. Die Menschen in Ostdeutschland werden als geistig-moralisch minderbemittelt dargestellt. Der relative Wohlstand, den die fünf Bundesländer erreicht haben, verdankt sich dem "westdeutschen Einsatz", "meinem Geld". Das Verhältnis von West und Ost wird auf das von Geber und Empfänger reduziert. Eigene Erfolge des Ostens aber gibt es eigentlich gar nicht.

Die Wende – Deutschlands friedliche, demokratische Revolution? Kulturelle Errungenschaften, gegen den Widerstand der Diktatur und auch nach der Diktatur? Das schiere Durchhalten eines brutalen wirtschaftlichen Kahlschlags und der anschließende Aufbau? Nein, Fehlanzeige – der Osten war und ist praktisch ein hoffnungsloser Fall. Der ehemalige Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU) erklärte einmal, weshalb er seine Mitbürger:innen abgeschrieben hat: "Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind."

Vertrackte Situation

Die Empörung ("Wie können die nur?") wird genau null Verbesserung bewirken. Wer sollte von dieser Entrüstung irgendetwas lernen? Im Gegenteil: Es ist absehbar, dass sich die gegenseitige Ablehnung nur verhärtet. Die AfD ist der lachende Dritte.

Die Situation ist vertrackt und verfahren. Denn es ist ja nur verständlich, jetzt in den sozialen Medien zu posten, wie abscheulich die AfD ist. Wer sich empört, liegt ja nicht falsch: Wie kann man nur? Wir wedeln mit den Armen, aber: So generieren wir nur mehr Aufmerksamkeit für die AfD. Wir folgen den besten Absichten und verteidigen die Demokratie – und doch gewinnt damit die Krise nur an Fahrt, signalisieren wir damit doch zugleich: Die Ossis sind zu blöd zum Wählen.

Eine evangelische Perspektive

Solche vertrackten Situationen sollten für Christinnen und Christen eigentlich nichts Neues sein. Das hat mit dem zu tun, was die theologische Zunft als das "Gesetz" bezeichnet: Die großen, ehrbaren Traditionen, die Weisungen der Bibel, die Gebote der Moral (etwa Dankbarkeit) und der Vernunft - kurz: die großen Leuchtfeuer, die uns praktische Orientierung geben. Über all das heißt es: "Das Gesetz ist heilig, gerecht und gut." (Römer 7).

Und doch scheint das im Augenblick die Konflikte nur anzuheizen und die Menschen gegeneinander zu isolieren. Die besten Intentionen pflastern den Weg in die Krise. Eine tiefe Ironie liegt in den Grundlagen unseres praktischen Handelns – das ist ein großes Thema in den Briefen des Apostels Paulus. Wir wissen keinen Weg aus dieser Zwickmühle heraus.

Lassen wir doch das Fingerzeigen erst mal sein. Ein erster Schritt liegt in den unspektakulären, unscheinbaren Worten: Geduld, Hoffnung, Nächstenliebe. Ja, dass rechtsextreme Parteien Zulauf haben, bleibt ein Skandal, an den ich mich nicht gewöhnen kann. Aber holen wir mal Luft und treten wir einen Schritt zurück. Vielleicht gewinnen wir dann auch die Ruhe und die Motivation, um zu verstehen, was los ist.

Die Hegemonie des Westens

Einen wesentlichen Beitrag zum Verstehen hat Dirk Oschmann in seinem Bestseller "Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung" geleistet. In Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Medien und Militär sind Menschen aus dem Osten drastisch unterrepräsentiert. In der Kunst werden Schaffende aus dem Osten diskreditiert.

In all diesen Bereichen haben Westdeutsche von der Wende profitiert, den Osten praktisch übernommen. Zudem verdient man im Osten weniger. Eine scheinbare Rechtfertigung dafür bietet dann das Bild des Ostens, das der Westen in Umlauf bringt: insgesamt ein Scheitern, kaum zu retten. Und dann sprechen die auch noch so komisch! Zu Oschmanns vielen Belegen für diese Haltung kamen zuletzt etwa noch die Entgleisungen von Mathias Döpfner hinzu.

Hören wir zu?

Wohlgemerkt: Die Diskriminierung der Menschen in Ostdeutschland rechtfertigt für Oschmann nicht die Wahl rechtsextremer Parteien. Teilweise überzieht Oschmann: Wie er vereinzelt die westliche Hegemonie mit der DDR-Diktatur  gleichsetzt, ist indiskutabel. Dennoch: Wenn ich die Kritiken anschaue, gewinne ich den Eindruck, es wird verschiedentlich ein Vorwand gesucht, um eine ernsthafte Auseinandersetzung zu vermeiden.

Teilweise werden Oschmanns Thesen tendenziös  wiedergegeben, teilweise werden Einwände  vorgebracht, die wenig mit seinem eigentlichen Anliegen zu tun haben. Teilweise wird er mit Häme  überschüttet (endend mit der Feststellung: "Das wissen wir doch alles schon längst"). Ach ja, und die typischen Käufer seines Buches leben im Osten.

Ausblick

Jetzt, wo wir mit Nachdruck über den politischen Rechtstrend sprechen, zeigt sich, dass wir eine wichtige Lektion nicht gelernt haben. Natürlich, den Rechtstrend hätte auch eine aufgeschlossene Debatte über die Diskriminierung der Ostdeutschen nicht verhindert. Doch leider klingt durch die Reaktionen auf einen Wahlerfolg der AfD hindurch: Zumindest in einem Teil Deutschlands machen wir in den wesentlichen Fragen eigentlich alles richtig.

Dabei liegt die praktische Bedeutung von Oschmanns Beobachtungen auf der Hand: "Wenn wir aus der Teilung des Landes nicht herausfinden" – aus den Stereotypen und dem Kastenwesen –, "wird auch das Vertrauen in die Demokratie weiter schwinden und die Gesamtgesellschaft einen Schaden nehmen, der sie längerfristig an den Rand ihres Zusammenhalts führen dürfte." Ob es uns vielleicht doch geschenkt sein könnte, an dieser Stelle aufmerksamer zuzuhören? Das wäre ein guter Anfang des Handelns in Geduld, Hoffnung und Nächstenliebe.