(K)ein Platz für AfD-Mitglieder im Ehrenamt?

AfD T-Shirt Träger sitzt in Stuhlreihe
Sebastian Christoph Gollnow/dpa / evangelisch.de (M)
Sollte man AfD Mitglieder aus kirchlichen Ehrenämtern ausschließen, fragt Kolumnist Alexander Massmann in evangelisch-Kontovers.
Kolumne: Evangelisch Kontrovers
(K)ein Platz für AfD-Mitglieder im Ehrenamt?
Angesichts der Massenproteste gegen die AfD fragt sich unser Ethik-Kolumnist, ob sich die Einschätzung der Partei ändern müsste. Er meint: ja – und beschäftigt sich noch einmal mit der Frage: kirchliche Ehrenämter für AfD-Mitglieder?

Noch acht Wochen nach einem aufwühlenden Medienbericht protestieren selbst in zahlreichen Kleinstädten noch viele Hunderte von Bürger:innen gegen die AfD und gegen Rechtsextremismus. Auslöser war die Reportage über das AfD-Treffen zur Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund. Anfangs sind innerhalb eines einzigen Monats sogar über drei Millionen Menschen gegen die AfD auf die Straße gegangen. Andererseits erfährt die Partei nach wie vor hohe Zustimmungswerte.

Vor dem Bericht hatte ich an dieser Stelle bereits diskutiert, wie die Kirchen mit AfD-Mitgliedern in ihren Reihen umgehen sollen. Inzwischen haben Deutschlands katholische Bischöfe die Wahl der AfD für unvereinbar mit dem christlichen Glauben erklärt. Meiner Meinung nach stellt sich angesichts der letzten Entwicklungen die Frage neu: Sollen die evangelischen Kirchen AfDlern das Ehrenamt verweigern?

Die schiere Menge derer, die jetzt protestieren, bedeutet aber noch nicht, dass jegliche Maßnahmen gegen die AfD gerechtfertigt sind. Zweifellos müssen Christinnen und Christen deutliche politische Meinungsunterschiede in der Kirche aushalten. Doch tragen nun die Enthüllungen und die Massenproteste gegen die AfD etwas Neues zur Frage bei, ob man AfD-lern das Ehrenamt verweigern soll?

Das Verhältnis der AfD zu den Kirchen

Zunächst betont die AfD oft das "christliche Erbe". Doch der Grund ist, dass das für sie kulturell zum Deutschsein gehört. Die Mehrheit der AfD-Abgeordneten bezeichnet sich dagegen als nicht-religiös, und viele hegen anti-religiöse Überzeugungen. Ebenso schneidet die AfD unter evangelischen und katholischen Christen merklich schlechter ab als bei den Konfessionslosen. Wenn die AfD einen christlichen Ton anschlägt, geht es ihr viel mehr um kulturelle Christentümelei (z.B. in Architektur und Brauchtum) als um Glaube, religiöse Praxis oder Theologie. Das gilt vermutlich nicht für die Vorstandsmitglieder des Verbands "Christen in der AfD", doch ihr Einfluss in der Partei schwindet. Dennoch mag es unter den knapp 30.000 AfD-Mitgliedern einige geben, die in einer evangelischen Kirche ein Ehrenamt bekleiden.

Weshalb die AfD abzulehnen ist 

Die katholischen Bischöfe haben erklärt, dass das Christsein die Unterstützung der AfD ausschließt. "Jeder Mensch besitzt eine unantastbare und unverfügbare Würde. Sie gründet in der Gottebenbildlichkeit aller Menschen und ist die Basis der Menschenrechte." Aufgrund der Menschenwürde müssen wir die deutsche Gesellschaft als eine "Gemeinschaft der Gleichberechtigten" verstehen. Die AfD zielt dagegen auf Ausgrenzung. Für sie gebe die Abstammung an, wer in Deutschland dazugehört. Die Vorsitzende des Rates der EKD, Kirsten Fehrs, hat sich dieser Erklärung angeschlossen: "Völkisch-nationale Gesinnungen sowie menschenverachtende Haltungen und Äußerungen" nennt sie "mit den Grundsätzen des christlichen Glaubens in keiner Weise vereinbar".

Die Bischöfin und die Bischöfe haben Recht. Leider drücken sie sich ein bisschen farblos aus. Immerhin schreiben die Bischöfe direkt: "Leisten wir alle Widerstand, wenn Menschenwürde und Menschenrechte in Gefahr geraten!" Aber klarer und griffiger fände ich es, außerdem auch die gute alte Sprache des Glaubens zu aktivieren: Die AfD zu unterstützen, ist Sünde.

Kirchenmitgliedschaft und Ehrenamt

Die katholischen Bischöfe meinen zwar, die AfD sei für Christen "nicht wählbar". Doch das bedeutet noch nicht, dass die AfD-Mitgliedschaft mit dem Ehrenamt in der katholischen Kirche unverträglich ist. Hier unterscheidet die katholische Kirche sehr präzise. Denn sie kennt ja außerdem das Instrument der Exkommunikation. Wenn die AfD-Mitgliedschaft vom Ehrenamt ausschließt, weshalb dann nicht auch (zeitweilig) aus der praktizierten Gemeinschaft der katholischen Kirche? Deshalb muss die katholische Kirche hier differenzieren, um nicht übers Ziel hinauszuschießen. So sagen die Bischöfe, der Rechtsextremismus dominiere zwar in der AfD, doch es gebe dort auch einen rechtspopulistischen Rand, der nicht unbedingt extremistisch ist. Mit einem Ausschluss der Mitglieder vom Ehrenamt würde man auch die vermeintlich gemäßigte Minderheit treffen, der dann auch noch ein weiterreichenderer Ausschluss dohen könnte.

Die evangelische Kirche verbindet eigentlich die allgemeine Möglichkeit, ein kirchliches Amt zu bekleiden, direkt mit der Kirchenmitgliedschaft. Denn evangelische Amtsinhaber müssen sich nicht durch eine heilige Lebensführung (Zölibat etc.) vom kirchlichen "Fußvolk" abheben. Der Ausschluss aus der Gemeinschaft aber wäre die "nuclear option", für die es außerordentlich starke Gründe bräuchte, stärkere Gründe als in der katholischen Kirche. Typisch evangelisch ist nämlich, dass die Rechtfertigung aus Glauben das einzige entscheidende Merkmal aller Christinnen und Christen ist. Maßgeblich ist allein Gottes Gnade ohne menschliche Werke. Also: Wie steht es mit einem Ausschluss von AfD-Mitgliedern, einerseits aus der evangelischen Kirche, andererseits aus dem Ehrenamt?

Keine pauschale Exkommunikation

Dietrich Bonhoeffer hatte 1933 argumentiert, dass eine Kirche, die Judenchristen von kirchlichen Ämtern ausschließt, keine Kirche mehr ist. Genau das taten Vertreter der nationalsozialistischen Kirchenpartei, und so konnte Bonhoeffer mit ihnen nicht mehr in einer Kirche sein. AfDler kann man aber nicht mit Nazis gleichsetzen – auch wenn Christen mit der AfD nichts zu schaffen haben sollten. Bonhoeffer selbst betonte noch in einem Aufsatz von 1936, dass eine Kirche sich sehr hüten muss, vorschnell Menschen auszugrenzen. Entscheidend für die wahre Kirche muss laut Bonhoeffer stets der positive Hinweis auf Gott selbst sein und nicht darauf, was Menschen tun oder wer sie sind. Menschliches Handeln zum Kriterium des Christseins zu erheben, könne aber bedeuten, menschliche Leistungen und Eigenschaften an die Stelle von Gottes freier Gnade zu stellen. 

Das bedeutet aber auch: Da in der evangelischen Kirche stärkere theologische Gründe gegen den Ausschluss aus der Gemeinschaft sprechen als in der katholischen, ist es der evangelischen Kirche zugleich möglich, beim Ehrenamt auf größere Klarheit zu pochen und im Grenzfall striktere Maßstäbe anzulegen, ohne gleich Mitglieder auszuschließen. Hier können wir klarer zwischen der Mitgliedschaft und der Möglichkeit des Ehrenamtes differenzieren.

Vertreibungen

Gelernt haben wir in diesem Jahr, dass die AfD Menschen den deutschen Pass wegnehmen möchte, die sie nicht für ausreichend "assimiliert" hält. Das war der Auslöser für die Proteste. In den hier maßgeblichen Gesichtspunkten hat auch ein Gericht die Aussagen der Journalisten über das Treffen zum Thema Passentzug aufrechterhalten. Die AfD-Pläne zum Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft sind brandgefährlich. Das Potsdamer Treffen mit der Wannseekonferenz zu vergleichen, ist zwar übertrieben. Ein anderer Nazi-Vergleich ist aber nicht ganz von der Hand zu weisen: In den Nürnberger "Rassegesetzen" von 1935 entzogen die Nazis jüdischen Bürgerinnen und Bürgern pauschal die deutsche Staatsbürgerschaft. Entscheidend ist: In der Demokratie bestimmt das Volk, wer die Regierungsgewalt innehat; im autoritären Staat bestimmt dagegen die Regierung, wer zum Volk gehört.

Umfrage

Soll die evangelische Kirche AfD-Mitglieder von Ehrenämtern ausschließen?

Auswahlmöglichkeiten

Mit Beginn der Massenproteste gegen die AfD frisst die Partei natürlich Kreide und meint scheinheilig, es sei keineswegs ihre Position, deutschen Bürgerinnen und Bürgern die Staatsangehörigkeit zu entziehen. Für diese Position argumentierte jedoch Martin Sellner auf dem Treffen, und das nicht zum ersten Mal. Dass die AfD etwas so Explosives nicht einfach ins Parteiprogramm schreibt, ist natürlich klar. Doch noch an demselben Tag, als von einem vertraulichen Treffen von AfDlern und anderen Rechtsextremisten zum Thema Deportationen berichtet wurde, rief AfD-Chefin Alice Weidel auf "X" dazu auf, die "Hürden zum Entzug der Staatsbürgerschaft [zu] senken". Sie wolle "Kriminellen, Gefährdern, Terroristen"  die Staatsbürgerschaft wegnehmen. Das widerspricht dem Grundgesetz und ist auch in seiner Vagheit sehr bedrohlich. Kein Wunder, dass Weidels persönlicher Referent am Potsdamer Treffen teilgenommen hat, gemeinsam mit dem Co-Fraktionschef der AfD Sachsen-Anhalt.

Dass zum Beispiel auch Björn Höcke radikale Positionen zum Thema Vertreibung vertritt, ist altbekannt. Andere ranghohe AfD-Politiker legen sogar noch einen drauf und bekräftigten jetzt erst recht Pläne zu Ausweisungen. Es ist die Rede von "Millionen" von Menschen, die das Land verlassen sollten. Dagegen beträgt die Zahl derer, die sich rechtlich nicht oder mutmaßlich nicht in Deutschland aufhalten dürfen, im Augenblick etwa 360.000. Und à propos Grundgesetz: Ein gewisser AfD-Politiker lehnt das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit rundweg ab. Er schreibt in seinem neuen Buch: Die Politik müsse nicht der Auslegung der Verfassung folgen, sondern umgekehrt. Die AfD konnte es sich nicht verkneifen, ihn zu ihrem Spitzenkandidaten zur Europawahl 2024 zu machen.

Zwischenfazit

Dass alle, die der AfD angehören, Rechtsextremisten seien und Vertreibungen gutheißen würden, kann man genau genommen nicht belegen, solange so etwas nicht im Parteiprogramm steht. Aber der Verfassungsschutz hat einige Landesverbände und die AfD-Jugendorganisation für extremistisch erklärt, und andere Teile der AfD beobachtet er. Dafür, dass die Deportationspläne breitere Zustimmung in der Partei erfahren, gibt es deutliche Belege. Angesichts von millionenstarken Demonstrationen können AfD-Mitglieder der Frage jetzt nicht mehr ausweichen. Doch moderate AfDler, die diejenigen klar kritisieren würden, die sich jetzt noch lautstark für Vertreibungen einsetzen, gibt es nicht. Also: Wer jetzt noch AfD-Mitglied ist, unterstützt die Vertreibungspläne oder nimmt stillschweigend in Kauf, dass zumindest einflussreiche Kreise in der Partei diese Pläne unterstützen.

Die theologische Relevanz von Deportationen

Zwar kann man AfDler nicht pauschal als Nazis bezeichnen. Doch die AfD steht bestimmten Nazi-Verbrechen näher, als ich dachte. Bei einer willkürlichen Entrechtung von deutschen Staatsangehörigen schrillen die Alarmglocken. Der Schutz vor rechtlicher Willkür, der mit der deutschen Staatsbürgerschaft zugesichert wird, ist eine wesentliche politische Entsprechung zu der Tatsache, dass Gott dem Menschen Recht und Würde zuspricht. In völkisch-nationalistischer Willkür den deutschen Pass Menschen wegzunehmen, die ihn bereits haben, ist ein Widerspruch dagegen, dass Gott den Menschen in Jesus Christus bejaht.

Zugespitzt gesagt: Was wäre, wenn Jesus heute in Deutschland lebte? Ein Jude aus dem Nahen Osten ohne festen Wohnsitz, der mit seiner "Bande" teils sehr provokant auftritt! Die AfD würde ihm am liebsten den deutschen Pass wegnehmen und ihn vertreiben. Wie Björn Höcke sagt: mit "wohltemperierter Grausamkeit"! Dann wäre Jesus einer dieser Tausenden von Staatenlosen – wird er in irgendeinem Flüchtlingslager an den EU-Außengrenzen festsitzen und versauern?

Ausschluss vom Ehrenamt

Wer Mitglied der AfD ist, der unterstützt eine einflussreiche Partei, in der führende Kreise Vertreibungspläne schmieden, die schon jetzt vielen Deutschen Angst um ihre persönliche Zukunft machen. Von so jemandem kann sich die evangelische Kirche nicht repräsentieren lassen. Ich bin also dafür, die Möglichkeit des kirchlichen Ehrenamts von der Kirchenmitgliedschaft abzukoppeln, weil die Pläne der AfD sehr schwer wiegen. Keine Toleranz der Intoleranz. Deshalb sollten evangelische Kirchen die rechtliche Möglichkeit schaffen, AfD-Mitglieder von kirchlichen Ehrenämtern auszuschließen.