TV-Tipp: "Du sollst hören"

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19. September, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Du sollst hören"
Mila, Tochter gehörloser Eltern, könnte medizinisch geholfen werden. Doch die Eltern lehnen eine Operation ab. Wie weit dürfen andere über das Leben eines Menschen bestimmen? Der Film beleuchtet diese Frage.

Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied, sagt der Volksmund. Mit anderen Worten: Niemand darf zu seinem Glück gezwungen werden, auch nicht vom Staat. Der soll zwar eingreifen, wenn das Gemeinwohl gefährdet ist, doch für sein individuelles Wohl ist jeder selbst verantwortlich.

Eine Ausnahme bilden selbstverständlich die Kinder, und darum geht es in dem intensiven Drama "Du sollst hören". Es ist kein Zufall, dass der Titel wie ein Gebot klingt: Die auf diese Weise angesprochene Titelfigur ist die zweijährige Tochter gehörloser Eltern. Bei einer Routineuntersuchung stellt sich raus, dass dem Kind geholfen werden könnte, denn sein Gehörnerv ist ganz normal ausgebildet.

Mit Hilfe eines Implantats und entsprechender Förderung, versichert Theo Rothschild (Kai Wiesinger), Chefarzt der Kölner HNO-Klinik, werde Mila ein Leben führen können wie alle anderen gesunden Menschen auch. Zu seiner großen Verblüffung lehnen die Eltern den Eingriff jedoch ab: Aus Sicht von Conny und Simon Ebert (Anne Zander, Benjamin Piwko) ist Mila weder krank noch behindert; von den Risiken, die jede Operation unvermeidlich mit sich bringt, ganz zu schweigen. Nun soll ein Gericht entscheiden, ob die rigorose Haltung der Eltern das Kindeswohl gefährdet.

Schon allein diese Frage ist äußerst fesselnd. Wie in vielen vergleichbaren Filmen gesellt sich noch eine zusätzliche Ebene zum eigentlichen Thema. Dieser Handlungsteil wirkt oftmals aufgepfropft und rückt eine Person ins Zentrum, die nur mittelbar betroffen ist. Hier ist es die Richterin, die über den Fall zu entscheiden hat. Eine weitere Parallele zu anderen Dramen ist die emotionale Fragilität der Figur.

Zum Glück ist Katrin Bühlig eine erfahrene Autorin, deshalb wirkt dieser Handlungsstrang nicht wie der durchschaubare Versuch einer weiteren Emotionalisierung. Dass das Drehbuch lange offen lässt, welches Päckchen die Frau zu tragen hat, sorgt ebenfalls für Spannung: Jolanda Helbig (Claudia Michelsen) hat ein Geheimnis, das sie nicht mal ihrem Mann Jonas (Jan Krauter) erzählt hat. Als sie es endlich offenbart, ist der deutlich jüngere Gatte schockiert; nicht wegen des Traumas, unter dem seine Frau seit vielen Jahren leidet, sondern weil sie sich ihm nie anvertraut hat.

Durch den Prozess werden die Erinnerungen geweckt, aber ausgerechnet die Konfrontation mit dem lange zurückliegenden Leid hat zur Folge, dass die Richterin schließlich anders entscheidet, als es der vermeintlich gesunde Menschenverstand nahelegt. Ihr Schlusswort ist ein Plädoyer für eine tolerantere Gesellschaft und gipfelt in der Frage, wodurch sich ein glückliches Leben auszeichne und wer definiere, was normal sei. Vor allem Milas Mutter wehrt sich vehement gegen die Einmischung der Behörden: Ihre Tochter sei nicht krank, sondern nur taub, und stumm sei die Familie ebenfalls nicht, schließlich könne sie sich mit der Gebärdensprache verständigen.

An der Haltung von Redaktion, Buch und Regie (Petra K. Wagner) kann kein Zweifel bestehen, aber der Film klammert die gravierenden Nachteile einer Taubheit keineswegs aus; und das nicht nur in den Hinweisen der Staatsanwältin, die akustische Erlebnisse wie Meeresrauschen und Vogelzwitschern aufzählt, von Musik, Kino und Theater ganz zu schweigen.

Ausgerechnet eine entsprechende Schlüsselszene bricht jedoch mittendrin ab, als hätten die Verantwortlichen gefürchtet, sie könne die Botschaft konterkarieren: An einer roten Ampel legt der Vordermann versehentlich den Rückwärtsgang ein und fährt gegen das Auto der Eberts, meldet der Polizei jedoch einen Auffahrunfall. Der Beamte lässt Simon, der sich zwar artikulieren kann, aber nur schwer zu verstehen ist, nicht zu Wort kommen.

Später wird nachgereicht, dass die Situation erst durch Connys zu Hilfe gerufene Schwester Jette (Laura Lippmann) geklärt werden konnte. Sie ist nicht taub, beherrscht aber die Gebärdensprache und bietet an, Mila zu sich zu nehmen, damit das Kind zweisprachig aufwachsen kann; dieser vermeintliche Verrat führt fast zum Zerwürfnis zwischen den beiden Frauen. Auch optisch lässt "Du sollst hören" keinerlei Zweifel daran, dass die Eberts die Guten sind: Wagner und Kameramann Peter Polsak haben die gemütliche Wohnung in warme, freundliche Farben getaucht.

Vorbildlich ist dagegen der Umgang mit der Akustik: Immer wieder übernimmt der Film die Wahrnehmung der Familie; Geräusche und Gespräche sind dann nur noch gedämpft zu hören. Für den tauben Teil des Publikums sind die Dialoge untertitelt worden, und das zudem zweifarbig, wenn zwei Leute miteinander sprechen. Auch die jeweilige Musik wird beschrieben. Die Gebärdensprache ist selbstverständlich ebenfalls übersetzt worden.

Besonders bemerkenswert ist die Leistung der tatsächlich gehörlosen zweiten Hauptdarstellerin, Anne Zander: Andere können die Stimme erheben, aber wenn Conny "schreit", ist das dank Mimik und Gestik ungleich eindrucksvoller. Das ZDF hat der Schauspielerin die morgige Ausgabe der Reportagereihe "37 Grad" (22.15 Uhr) gewidmet. Bühlig ist 2014 für ihren Dokumentarfilm "Restrisiko" (über Menschen im Maßregelvollzug) mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden; zuletzt hat sie unter anderem das Drehbuch zu "Weil du mir gehörst" (2020) geschrieben, ein Drama mit Felix Klare als entsorgter Vater und Julia Koschitz als Mutter, die ihr Kind manipuliert.