TV-Tipp: "Tatort: Unter Brüdern"

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22. März, WDR, 23.45 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Unter Brüdern"

Schon der Vorspann signalisiert den nicht immer gelungenen Hybrid-Charakter dieses Films: Das gewohnte "Tatort"-Vorspiel wechselt mittendrin zum "Polizeiruf"-Intro des Deutschen Fernsehfunks, aber die beiden Titelmotive lassen sich zu keiner musikalischen Einheit kombinieren. "Unter Brüdern" war als Koproduktion von WDR und DFF schon allein deshalb einmalig, weil der ostdeutsche Sender am 3. Oktober 1990 und somit wenige Wochen vor der Ausstrahlung des Krimis seine Eigenständigkeit verloren hatte. Im Dezember übernahm die ARD die Sendefrequenzen; ein Jahr später war der DFF Geschichte.

Der fernsehhistorischen Bedeutung wird der Film allerdings nur bedingt gerecht. Andererseits entspricht der etwas unausgegorene Stil des Krimis der damaligen Wirklichkeit, in der es ja auch noch eine ganze Weile dauerte, bis die oktroyierte Einheit Wirklichkeit wurde. An den vier Hauptdarstellern liegt das allerdings nicht. Es ist zwar eher lästig als lustig, dass der Ostberliner Hauptkommissar Fuchs (Peter Borgelt) die beiden Reisen in den Westen nutzt, um sich bis an den Rand der Besinnungslosigkeit zu betrinken, aber ansonsten harmoniert das Quartett recht gut.

Der Krimi beginnt klassisch: Aus dem Duisburger Hafenbecken wird ein erschossener Mann gefischt. Eine Tätowierung lässt ihn als Fan des auch außerhalb der DDR als "Stasi-Club" berüchtigten BFC Dynamo erkennen, außerdem stammt die tödliche Kugel aus einer Stasi-Waffe. Zur gleichen Zeit suchen Fuchs und sein Mitarbeiter Grawe (Andreas Schmidt-Schaller) im Osten nach den Mitgliedern einer ehemaligen Stasi-Abteilung: Die "Gruppe Dürer" hatte in Museen und bei Privatleuten Kunstwerke requiriert und sollte mit dem Verkauf der Bilder in den Westen dabei helfen, den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Als die Identität des Toten geklärt ist, besuchen Fuchs und Grawe ihre Duisburger Kollegen Schimanski und Thanner (Götz George, Eberhard Feik); sie hoffen, über den Abnehmer der Gemälde Hinweise auf die "Gruppe Dürer" zu bekommen.

Das Drehbuch war eine Kooperation des "Polizeiruf"-erfahrenen Regisseurs Helmut Krätzig und von Veith von Fürstenberg, der mit "Unter Brüdern" sowie dem gleichfalls 1990 entstandenen ersten Leitmayr/Batic-"Tatort" seine glanzvolle Karriere als Bavaria-Produzent begann. Dem Film ist jedoch das Bemühen anzumerken, typische Elemente der beiden Reihen zu integrieren.

Ähnlich wie beim verunglückten Vorspann ist aus der Kombination der beiden Reihen kein harmonisch gewachsenes Miteinander entstanden, weil der Krimi mal wie ein "Tatort", mal wie ein "Polizeiruf" wirkt. Die Qualität der Bildgestaltung ist jedoch nicht zu vergleichen mit den gerade optisch herausragenden Duisburger "Tatort"-Episoden "Der Tausch" oder "Gebrochene Blüten".

Zum heterogenen Bild passt auch das mehrfach unmotiviert eingesetzte Klaus-Lage-Lied "Hand in Hand". Der eingängige Song klingt musikalisch wie ein Remake von "Faust auf Faust" aus Schimanskis Kinoausflug "Zahn um Zahn" und textlich wie ein Kinderreim ("Hand in Hand, Hand in Hand, vier Augen sehen mehr als zwei, ich halt’ dir den Rücken frei"). Immerhin passt die rockige Filmmusik von Paul Vincent Gunia gut zu dem Song (oder umgekehrt).

Dass "Unter Brüdern" der gelegentlichen Unausgegorenheit zum Trotz dennoch sehenswert ist, liegt nicht zuletzt am etwas unrealistischen Gegenbesuch der Duisburger Kommissare in Ostberlin: Schimanski und Thanner geben sich als millionenschwere Investoren aus, um die Stasi-Gruppe aus ihrem Versteck zu locken. Dafür muss "Schimi" natürlich seine Schmuddeljacke ablegen. Prompt kommt er sich im schicken Zweireiher wie verkleidet vor; die "Doppelrolle" hatte er schon ein Jahr zuvor in der Ostwest-Komödie "Schulz und Schulz" gespielt.

Zu den besten Szenen gehört der Besuch eines LPG-Abgeordneten, der sie beiden "Wessis" überreden will, aus seinem maroden Betrieb eine Touristenattraktion zu machen. Als Überzeugungshilfe hat er einige kulinarische Kostproben mitgebracht. Beim zweiten Auftritt lässt Dörflers, der seinem Namen zunächst alle Ehre zu machen schien, die Maske fallen: Er ist der skrupellose Leiter der "Gruppe Dürer".

Der damals sechzig Jahre alte Ulrich Thein ist ein weiterer Grund, "Unter Brüdern" anzuschauen. Wie er diese beiden komplett unterschiedlichen Facetten ein und derselben Rolle interpretiert, ist grandios; allein die klirrende Kälte, die Dörfler am Ende bei der Vernehmung durch Fuchs an den Tag legt, ist ein schauspielerisches Glanzstück. Der im Westen nie bekannt gewordene Thein gehörte zu den wichtigsten Fernsehregisseuren der DDR und hatte Hauptrollen in einigen DFF-Prestigeprojekten. Die Angebote, die er nach der Wiedervereinigung bekam, waren ihm allerdings zu seicht, "Unter Brüdern" war einer seiner letzten Filme; er starb 1995.

Gemessen an Theins beeindruckendem Spiel wirken viele andere Momente allerdings etwas trivial, wenn sich das Ostwest-Quartett gemeinsam im Sexclub amüsiert oder George den Kasper macht, weil Schimanski in die aus seiner Sicht lächerlichen Klamotten schlüpfen muss. In einer jener typischen Ehekrachszenen, die George und Feik immer wieder mit großer Freude gespielt haben, steigt Thanner (als Fahrer!) aus dem fahrenden Auto, weil sich der Kollege weigert, ihn in die Heimat zu begleiten.