TV-Tipp: "Das Geheimnis des Totenwaldes"

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TV-Tipp: "Das Geheimnis des Totenwaldes"
2. Dezember, ARD, 20.15 Uhr
Das dänische Fernsehen hat’s mit Serien wie "Der Adler" oder "Die Brücke" vorgemacht: Mindestens so fesselnd wie die Aufklärung eines Verbrechens, die sich über viele Folgen hinzieht, sind die persönlichen Perspektiven der verschiedenen Beteiligten.

Es hat eine Weile gedauert, bis sich auch im deutschen Fernsehen die Erkenntnis durchsetzte, dass ein Krimi nicht zwangsläufig frei nach Sepp Herberger neunzig Minuten dauern muss. Das dänische Fernsehen hat’s mit Serien wie "Der Adler" oder "Die Brücke" vorgemacht: Mindestens so fesselnd wie die Aufklärung eines Verbrechens, die sich über viele Folgen hinzieht, sind die persönlichen Perspektiven der verschiedenen Beteiligten. Immer vorausgesetzt, dass die Figuren das nötige Potenzial mitbringen, kann ein Mehrteiler wie "Das Geheimnis des Totenwaldes" seine Charaktere gründlich ausloten. Natürlich steht die Aufklärung des Verbrechens im Vordergrund, aber die handelnden Personen sind in dieser Geschichte von Grimme-Preisträger Stefan Kolditz ("An die Grenze") weit mehr als bloß Ermittler, Betroffene oder Verdächtige.

Der Dreiteiler beginnt mit einem Prolog in der Gegenwart. Der pensionierte Hamburger LKA-Chef Thomas Bethge (Matthias Brandt) hat einen Albtraum, der ihn offenbar regelmäßig heimsucht. Eine Frau flieht durch einen Wald, dreht sich um, schreit – und Bethge erwacht mit dem Selbstvorwurf "Ich hätte sie finden müssen." Die Frau ist seine 1989 spurlos verschwundene Schwester Barbara (Silke Bodenbender), und nun erzählen Kolditz und Regisseur Sven Bohse, was damals passiert ist. Hauptfigur der langen Rückblende ist die junge Kriminalkommissarin Anne Bach (Karoline Schuch), die einst Studentin bei Bethge war und nun in der niedersächsischen Provinz arbeitet. Ihr erster Fall ist die Ermordung eines Liebespaars. Clever spielen Buch und Regie mit den Zeitebenen: Eine Parallelmontage zeigt sowohl den Mord wie auch den Fund der verwesten Leichen. Tatsächlich finden diese beiden Ereignisse jedoch gleichzeitig statt: Es handelt sich um einen doppelten Doppelmord.

Natürlich sollten sich Bach und ihr Kollege Jan Gerke (August Wittgenstein) eigentlich auf diesen Fall konzentrieren, aber ungefähr zur gleichen Zeit verschwindet auch Barbara. Bethge ist überzeugt, dass ihr etwas zugestoßen ist, und bittet die niedersächsischen Kollegen, der Sache nachzugehen; Bach hält ihn regelmäßig auf dem Laufenden. Ihr Chef (Karsten Antonio Mielke) ist allerdings wenig begeistert von der Zusatzaufgabe, zumal er das Gefühl hat, der LKA-Chef mische sich in seine Kompetenzen ein. Er ist ohnehin überzeugt, dass Barbara das Opfer ihres Ehemanns Robert (Nicholas Ofczarek) geworden ist, selbst wenn es keinerlei Indizien dafür gibt. Im Fall der Pärchenmorde kommt die Polizei auch nicht weiter. Die Ermittlungen konzentrieren sich auf einen im Wald lebenden Künstler und enden mit dessen Suizid.

Der zweite Teil (5. Dezember) spielt vier Jahre später. Für die Staatsanwaltschaft sind die Fälle längst Vergangenheit; bloß Bach lassen sie keine Ruhe. Ihre Hartnäckigkeit hat schließlich zur Folge, dass ein bereits befragter Gärtner nochmals ins Visier der Ermittler gerät: Jürgen Becker ist einschlägig vorbestraft und entpuppt sich in der Tat als höchst verdächtig. Hanno Koffler spielt in diesem zweiten Teil gewissermaßen die Episodenhauptrolle und verkörpert den Mann als schillernde Figur, die überraschende Abgründe offenbart. Unter anderem stellen die Polizisten verblüfft fest, dass Becker in seinem Garten ein komplettes Auto vergraben hat. Letztlich führt auch dieser Handlungsstrang jedoch in exakt die gleiche Sackgasse wie die Verdächtigung des Künstlers.

Kolditz, dessen Filmografie unter anderem Fernsehereignisse wie "Unsere Mütter, unsere Väter" oder "Nackt unter Wölfen" enthält, hat sich an den authentischen Erlebnissen des Hamburger Kriminalisten Wolfgang Sielaff orientiert. Ein besonderer Reiz der Geschichte liegt in der Machtlosigkeit dieses mächtigen Mannes: In Niedersachsen ist er bloß ein Angehöriger. Ironischerweise ergeht es seiner Vertrauten kaum besser: Anne Bach ist ihren Kollegen weit überlegen, wird als Frau aber nicht ernst genommen. Gerade Teil eins ist auch ein Sittengemälde der alten Bundesrepublik. Kostümbild, Ausstattung und Musikauswahl sorgen ohnehin dafür, dass Bohse, der sich mit seinen beiden "Ku’damm"-Trilogien im ZDF quasi als Experte für zeitgeschichtliche Stoffe etabliert hat, das Zeitgefühl jener Jahre sehr authentisch zum Leben erweckt. Dass sich Bildgestaltung und Musik in Produktionen dieser Größenordnung auf höchstem Niveau bewegen, versteht sich im Grunde von selbst; Kameramann Michael Schreitel sind zum Teil betörend schöne Bilder vom düsteren "Totenwald" gelungen, und Komponist Travis Stewart sorgt in vielen Szenen für einen Klangteppich, auf dem das Grauen perfekt gedeiht. Endgültig zu einem "Event" wird der Dreiteiler durch die ausgezeichnete Besetzung selbst kleiner Nebenrollen.

Der dritte Teil (9. Dezember) spielt 25 Jahre nach dem Auftakt, Bethge ist längst pensioniert, aber die Sache lässt ihm keine Ruhe, weshalb er den Fall mit Unterstützung durch Anne Bach, mittlerweile Kriminalpsychologin, sowie einen alten Kollegen (Andreas Lust) neu aufrollt. Waren die ersten beiden Filme Krimidramen mit Thriller-Anteilen, so ist der dritte ein grauenvolles Puzzlespiel. Die Ermittlungsfehler, auf die das Trio sei seinen Recherchen stößt, spotten jeder Beschreibung. Hätte sich ein Autor eine derartige Verkettung von Pannen und Unfähigkeit ausgedacht, wäre sein Drehbuch vermutlich als völlig unglaubwürdig zurückgewiesen worden; die Wirklichkeit, versichert NDR-Redakteur Christian Granderath, sei noch viel grotesker gewesen.  Zur unbedingt preiswürdigen Arbeit von Buch, Regie und Kamera gesellt sich nun auch das herausragend gute Maskenbild (Jeanette Latzelsberger, Gregor Eckstein): Die Protagonisten sind perfekt gealtert. Im Anschluss schildert die Dokumentation "Eiskalte Spur" die wahren Hintergründe des Falls.