"Spaten an die Sonne und dann machen wir das!"

"Spaten an die Sonne und dann machen wir das!"
Liedermacher Tim Linde über Vorbilder, Optimismus und Kirche
Er wollte seiner Tochter etwas mit auf den Weg geben. Deshalb spielte er ihr in der Kirche zu ihrer Taufe ein selbstgeschriebenes Lied. Das bekam ein Produzent in die Hände, war begeistert - und es wurde zum Charterfolg. Tim Linde hatte eigentlich beruflich genug zu tun mit seinem Beratungsunternehmen und seinen Filmproduktionen. Trotzdem nahm er nun nebenbei ein Album auf und absolvierte eine Vielzahl von Auftritten, vom kleinen Clubgig bis zum Vorprogramm von Sarah Connor. Und der Erfolg gab ihm recht...

Dein Song "Wasser unterm Kiel" – eigentlich ein Tauflied für deine Tochter" - war völlig überraschend ein Riesenerfolg. Hat sich das Leben dadurch verändert?  

Tim Linde: Ja, sonst säßen wir ja nicht hier. Der Kern meines Lebens ist gleich geblieben: Ich hab' die gleiche Frau, die gleichen Kinder, gehe dem gleichen Beruf nach wie immer - aber natürlich bin ich ein Stück weit öffentlicher geworden. Ich würde mich sonst bestimmt nicht jetzt über meine Musik unterhalten.

Du bist eines der offiziellen "Vorbilder" der Initiative "Optimisten für Deutschland". Siehst du dich auch selbst als ein Vorbild?

Linde: Nein, ich kann mich nicht selbst als Vorbild sehen. Ich bemühe mich, so zu leben, dass ich keinem schade - und dass Andere sagen: "Mensch, so ist das nicht schlecht!" Und wenn ich Anlass zur Imitation biete, dann freut mich das, meinen Kindern gegenüber natürlich ganz besonders. Aber mich selbst als Vorbild zu sehen, das empfinde ich als absurd.

Hast du selbst denn Vorbilder?

Linde: Nein, aus dem gleichen Grund: Jeder Mensch macht Fehler. Deswegen kann ich nicht sagen, dass es einen Menschen gibt, den ich ganz und gar mit allem, was er tut als Vortbild haben könnte. Dafür ist der Mensch an sich aus zu krummem Holz geschnitzt. Ich kenne aber viele Menschen, die in dem, was sie tun, aus meiner Sicht vorbildhaft agieren. Da versuche ich, mir ein Beispiel dran zu nehmen.

"Ich kann mich nicht konträr zum Guten verhalten und denken, dass am Ende alles gut wird"

Nochmal zu den Optimisten: Du sagst von dir, dass du ein "menschgewordener Optimist" bist. Welche Bereiche deines Lebens umfasst das - und wo brauchst du den Optimismus besonders?

Linde: Optimismus ist für mich zunächst mal die Zuversicht, dass alles gut wird. Natürlich, ohne dabei naiv zu sein. Das ist ein schmaler Grat. Man kann ja nicht völlig unbegründet sagen: "Alles wird am Ende sowieso immer gut." Aber wenn ich mir darüber im Klaren bin, wo meine Stärken liegen und was dazu führen kann, dass am Ende alles gut wird - und wenn ich mich darauf besinne und das auch nutze - dann habe ich allen Anlass zur Zuversicht! Aber ich kann mich nicht konträr zum Guten verhalten und denken, dass am Ende alles gut wird. Ich muss schon meinen Beitrag dazu leisten.

Das ist ja eine zutiefst christliche Sichtweise.

Linde: Ja, vor allem eine zutiefst menschliche. Es ist das, was Menschen ausmacht.

Nach dem Tauflied "Wasser unterm Kiel" bist du auch zu so etwas wie einem christlichen "role-model" geworden. Was ist das für ein Gefühl?

Linde: Ich bekomme Zuschriften quer durch die Konfessionen. Ich glaube, was für Viele durchaus wichtig ist, ist ein wertegetriebender Ansatz. Wenn ich mir anschaue, um was es in meinen Texten geht und die Deklaration der Menschenrechte und die Art und Weise, wie wir gerne leben würden, daneben lege, dann gibt es da eine sehr große Schnittmenge. Ich bin sicher auch kein religiöses Vorbild, genauso wenig wie ich generell eines bin. Aber wenn das, wofür ich stehe, Zuspruch findet, dann freut mich das.

Würdest du dann auch gar nicht explizit sagen, dass es um Glaubensthemen in deinen Texten geht, sonder eher um allgemeine Probleme des menschlichen Zusammenlebens?

Linde: Was ich beabsichtige mit meinen Texten, meiner Musik, das ist, Türen zu öffnen, zu verbinden. So, wie ich bei "Wasser unterm Kiel" meinem Kind sage: "Sei nicht blauäugig, aber mach' die Türen auf, sonst verschließt du dir dein eigenes Leben. Aber folge dabei bitte einigen Grundsätzen, die ich dir gerne mit auf den Weg geben würde." Wenn das dann Menschen hören - und das im Einklang steht mit ihrer politischen und religiösen Überzeugung - was gibt es dagegen zu sagen?

Würdest du deine Musik als "christlich" bezeichnen? Macht eine solche Kategorisierung überhaupt Sinn?

Linde: Also, ich verwahre mich davor, Musik generell in Schubladen zu stecken. Ich halte es da wie mit dem Wein: Es gibt Wein, der schmeckt mir - und es gibt welchen, der schmeckt mir nicht. Und ich finde es wahnsinnig hinderlich, seinen Geschmack danach auszurichten, in welcher Schublade die Musik ist, die man gerade hört. Zum Beispiel hat Sarah Kaiser, die wahrscheinlich für christliche Musik schlechthin steht, wunderschöne Sachen gemacht. AC/DC haben aber auch tolle Musik gemacht. Mir gefällt beides - nicht komplett, aber in Teilen. Und deswegen höre ich auch beides.

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Ist Musik ein gutes Mittel, um Menschen mit Inhalten zu erreichen?

Linde: Wenn ich Inhalte vermitteln will, dann ist es, glaube ich, ganz wichtig, authentisch zu sein. Ich muss in dem, was ich tue, glaubwürdig sein. Wieviele moralinsaure Botschaften bekommen wir tagtäglich serviert von Menschen, denen wir noch nichtmal über die Ferien unsere Pflanzen anvertrauen würden. Und es nützt nicht unbedingt etwas, strategische Überlegungen anzustellen. "Wasser unterm Kiel" habe ich für meine Tochter geschrieben, nicht als Hit. Aber es hat ganz viele Leute erreicht, per Zufall letztendlich.

Du warst als Filmproduzent vor einigen Jahren kreuz und quer in der Nordkirche unterwegs und hast einen Film für und über die Kirche gemacht. Was hast du da gesehen: Was hat dich beeindruckt, was könnte besser laufen?

Linde: Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass, wenn Kirche funktionieren soll, sie an der Basis erfolgreich sein muss. Der Kirche ist nicht damit gedient, dass Amts- und Würdenträger medial präsent sind und mit andächtigem Gesicht große Botschaften von sich geben. Das kann von mir aus flankierend passieren, aber: Spirituelles Bedürfnis von Menschen zu befriedigen, heißt: Ich muss präsent sein, ich muss als Kirche da sein, wo ich gebraucht werde. Da muss Kirche glaubwürdig und verlässlich ein Zuhause bieten. Wo das gelingt, funktioniert Kirche - wo das nicht gelingt, funktioniert Kirche auch nicht!

"Ich muss als Kirche da sein, wo ich gebraucht werde"

Braucht es da manchmal vielleicht besondere Ideen? Oder muss einfach vor Ort hingehört werden?

Linde: Es darf zumindest nicht in Beliebigkeit ausarten. Es ist schon die Frage, wofür Kirche eigentlich steht: Was bekomme ich, wenn ich mich an die Kirche wende? Warum soll ich mich überhaupt an die Kirche wenden? Spirituelle Angebote gibt es in Hülle und Fülle. Und Orientierung wird so stark gebraucht wie selten zuvor. Die Frage ist jetzt nur: Wie trifft sich das?

Einer, der genau das erkannt hatte, war ja Martin Luther. Im nächsten Jahr feiern wir 500 Jahre Reformation. Welche Gründe, dieses Jubiläum zu feiern, sind dir wichtig? Und wie würdest du es gerne begehen?

Linde: Eine Sache, die Luther ja nachgesagt wird, ist der Satz, dass man, wenn morgen die Welt unterginge, heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen solle. Das schlägt prima den Bogen zu Optimismus und Zuversicht: Spaten an die Sonne und dann machen wir das! Die Nachrichten sind düster genug. Und feiern würde ich am liebsten mit einem Auftritt auf dem Reformationsjubiläums-Kirchentag. Dann lassen wir es krachen...!

Würdest du eigentlich gerne nur noch Musik machen, hauptberuflich sozusagen?

Linde: Vor zwanzig Jahren hätte ich da sofort "Ja" gesagt. Viele der Stücke auf dem Album sind auch im Laufe der Jahre bereits entstanden. Heute würde ich aber eher sagen: Es ist sehr schön, Musik in der Form machen zu dürfen - es ist aber auch sehr schön, das nicht machen zu müssen. Ich bin nicht mehr in der Lebensphase, in der man existenzielle Abenteuerlust verspürt. Ich trage Verantwortung für meine Familie.

Wie geht es weiter mit der Musik - was sind die Pläne für die nahe Zukunft?

Linde: Wir arbeiten gerade an neuen Stücken - es gab ja auch schon ein paar Veröffentlichungen über das letzte Album hinaus und vor kurzem ist die neue Single "Nichts kann bleiben" erschienen. Und es wird auch wieder Konzerte geben in diesem Jahr. Aber zur nahen Zukunft:  Aktuell gibt es eine große Aktion von ZDF und ORF: Mit etwas Unterstützung des Publikums könnte ich es mit "Wasser unterm Kiel" zu einem Auftritt in der Sendung "Willkommen bei Carmen Nebel" am 30.04.2016 schaffen. Ich stehe nämlich noch bis 21. April als einer von 10 Finalisten des Wettbewerbs "Newcomer des Jahres" zur Wahl. Unter www.unser-ticket-fuer-tim.de steht, wie man für mich abstimmen kann. Ich würde mich sehr freuen!