Friedhelm Wixforth, Reiner Hammelrath

Friedhelm Wixforth, Reiner Hammelrath

Die Nachfolge von Monika Piel soll schnell geregelt werden, ohne dass man wüsste, wie es dazu kommen konnte. Beim Sexismus-Aufschrei sieht man dagegen klarer – auch Brüderles Rolle. Dieses Bewusstsein fehlt, gesamtgesellschaftlich, in Sachen Rassismus, Denis Scheck entblödet sich aber nicht, dem auf die Sprünge zu helfen. Und: Deutschland ist Weltmeister.

Dass bald wieder Karneval ist, erscheint trotz ihres legendären Auftritts beim noch viel legendäreren Jürgen-Rüttgers-Village-People-Cover-Live-Event ("Wir sindsogernehier in Nooordrheinn-Westfaln") als geringster Grund, sich zu fragen, welche Nachricht der Rücktritt Monika Piels von der WDR-Intendanz eigentlich ist.

Auch am vierten Tag nach dem für wenig Aufhebens gut gewählten Termin am Freitagnachmittag, an dem Piel ihre Entscheidung kurz und, wie der TAZ zu entnehmen war, wohl auch nicht ausgefeilt formuliert verschickte (was für eine relativ abrupte Entscheidung spräche), weiß man nichts Genaues. Der KSTA hat erfahren, dass Piel bei der gestrigen Sitzung des WDR-Rundfunkrats zu dem Grund ihres vorzeitigen Rücktritts nichts weiter gesagt hat.

"'Wir waren alle der Meinung, dass es aufgrund ihrer großen Leistungen für den WDR möglich sein muss, private Gründe privat sein zu lassen, zu respektieren und nicht zu hinterfragen', sagte Hieronymi."

Zitiert der KSTA die Vorsitzende des WDR-Rundfunkrats. Nicht-Rundfunkratsmitglieder würden vielleicht sogar noch einen Schritt weitergehen und der Meinung zuneigen, dass Respekt vor der Privatsphäre nicht an Verdienste für den WDR gekoppelt sein müsste. Will man als Kaffeesatzleser des Biz-Gossips das Private nur als vorgeschoben verstehen (eben weil es nichterklärpflichtigen Schutz bietet), könnte man in dieser Aussage vermutlich Indizien für das Gegenteil von privat finden.

Belastbar ist aber nur, dass schnell nachbesetzt werden soll. Berliner (Seite 25) und FAZ (Seite 31) machen aus dem Stellengesuch eine kleine Meldung rechts oben. Das Procedere scheint klar: öffentliche Ausschreibung und Findungskommission. Liest man den KSTA-Text bis zum Ende, teilt sich mit, dass man deshalb keinen anstaltsfremden Menschen auf dem Chefsitz erwarten muss, auch wenn "öffentlich" so klingen mag:

"Es ist nicht das erste Mal, dass der Intendantenposten des WDR öffentlich ausgeschrieben wird. Nach Angaben der WDR-Pressestelle war auch Fritz Pleitgen 1995 auf diese Weise ins Amt gekommen."

Der KSTA ist überhaupt gut informiert und ebenso drauf, er listet mal eben in voller Schönheit die Namen der Intendantenfinder auf, so dass man noch einmal traurig werden muss, dass Gerhard Friedl nicht mehr lebt, der damit bestimmt einen aufschlussreichen Film im Stile seines Klassikers "Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?" hätte machen können:

"Der Findungskommission gehören neben Hieronymi die Mitglieder des Vorstands des WDR-Rundfunkrats, Friedhelm Wixforth, Karsten Rudolph, Reiner Hammelrath, Petra Kammerevert, Horst Schröder, Heinrich Kemper, Thomas Sternberg und Martin Hülskamp, sowie das Rundfunkratsmitglied Werner Lohmann und der Verwaltungsratsvorsitzende Ludwig Jörder an."

Was der Piel-Rückzug über WDR/ARD sagt, ist also noch nicht recht zu ermessen. Wie sehr diese riesigen Apparate eine Chefin brauchen, um sich im Flur ihrer Normierungen auszuleben, müsste vielleicht mal ein Systemtheoretiker erforschen. Für die Nachfolge werden heute gehandelt: Eva-Maria Michel und Verena Kulenkampff (FAZ), "WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn und BR-Fernsehdirektorin Bettina Reitz" (TSP) und der KSTA erwähnt neben Michel und dem Demokratieabgeber auch noch:

"Gute Chance hätte sicher auch der jetzige NDR-Intendant Lutz Marmor, doch der Kölner ist als ARD-Intendant vermutlich zu eingebunden, um über eine Rückkehr nachzudenken."

Womit das Problem des leeren Stuhls dann an den NDR weitergereicht würde, während man sich als Laie fragt, ob es ernsthaft ein Ziel sein könnte, wenn man denn schon NDR-Intendant ist, dann WDR-Intendant zu werden?

Das Handelsblatt würde, und das nicht völlig zu Unrecht, dem öffentlich-rechtlichen System bestimmt alles zutrauen, nur macht dieser Groll in der Berichterstattung einen unfeinen Zug um den Mund.

So merkt man dem – im Netz – autorlosen natürlich von Hans-Peter Siebenhaar verfassten [spät dann doch noch das Kürzel entdeckt, MD] HB-Text den Eifer an, aus Piels Rückzug Krawall in der immer gleichen Sache zu machen. Das heißt es in der Unterzeile des gestrigen Textes:

"Das Aufsichtsgremium der größten ARD-Anstalt trifft sich am heutigen Montag, um die Führungskrise zu beenden."

Im Text heißt es dann:

"Der Rundfunkrat macht sich nun eilig auf die Suche nach einem Nachfolger für Piel, um die Führungskrise zu verhindern."

Es gilt das alte Andi-Möller-Diktum: Beenden oder verhindern, Hauptsache Führungskrise. Man wird sehen, wie's es weitergeht.

[+++] Gar nicht aufhören will die Sexismus-Geschichte (Altpapier von gestern, zum Beispiel). Man muss nur heute einmal aufmerksam lesen, was aus den Texten von Ines Kappert (TAZ), Kia Vahland (SZ, Seite 11) oder Julia Voss (FAZ, 25) für eine freudige Befreitheit (aka #Aufschrei) spricht, über etwas reden und damit rechnen zu können, verstanden zu werden, was sich lange schwer artikulieren ließ, weil es immer so leicht abzuwerten war. Silke Burmester bringt das in der TAZ vielleicht am direktesten auf den Punkt:

"Seit ich denken kann, frage ich mich, warum die, warum nicht wir? Warum bestimmen sie über uns? Warum sollen sie mehr wert sein? Als Kind war das die Frage, warum ein Junge die Brause aus der Flasche trinken darf, ich aber nicht. Als Jugendliche die, wie sie dazu kommen, unsere Schwangerschaften regeln zu wollen? Heute, warum sie die gleiche Arbeit besser bezahlt bekommen, die Männer? Es ist zu spät, um jung und wütend zu sein. Ich muss mich damit abfinden, mittelalt und immer noch wütend zu sein. Aber: Es war noch nie so gut wie heute!"

####LINKS####

Es ist, als habe eine das Fenster aufgemacht, würde Stefan Heym womöglich sagen. Und das Thema ist so groß, dass es "Ja, abers" zulässt. Deniz Yücel argumentiert in der TAZ Richtung der Verlogenheit des "Stern", also quasi auf oder nahe der Claudius-Seidl-Linie:

"Diese Geringschätzung der FDP ist auch die Kulisse des Stern-Brüderle-Skandals. Das beginnt beim Umstand, dass da eine Jungjournalistin zum Dreikönigstreffen der FDP geschickt wird – in den meisten Parlamentsredaktionen ist die Berichterstattung über die FDP ein Anfängerjob –, und setzt sich bei jenem Tresengespräch fort, wo das Schwesterle vom Stern einen Politiker rotznäsig fragt, wie ein alter Sack wie er zum Hoffnungsträger seiner Partei avancieren könne."

Und das ist alles richtig, zumal man Yücels Invektive nicht als reaktionären Versuch, die Debatte aufzuhalten verstehen kann (was eher bei dem leicht buchhalterischen Beitrag von Rainer Stadler in der NZZ und vor allem in dem letztlich sinnlosen Rollenspiel Ralf Höckers auf vocer.org möglich wäre), nein, das gehört alles dazu. Emanzipationsprozesse dauern ja länger als ein Abend an der Hotelbar, und sie brauchen verschlungene Wege (Burmester: "Internet", Voss: "Quote"), um ans Ziel zu finden, und deshalb konnte das ganze wohl auch nur mit dem Lothar Matthäus der deutschen Politik funktionieren.

Das ist die eigentliche Pointe der ganzen Geschichte: Dass Rainer Brüderles Lebensleistung einmal darin bestanden haben wird, die Emanzipation der Frau unfreiwillig, aber gehörig nach vorne gebracht zu haben.

[+++] Eignet sich Denis Scheck zum Rainer Brüderle des Rassismus-Diskurses? Wohl kaum, wäre unsere Vermutung, dafür ist die Zeit eben noch nicht reif, wenngleich Scheck alles dafür getan hat: Dem Zensur-P.C.-Gezeter gegen die überarbeitete Neuausgabe des Kinderbuchs "Die kleine Hexe" hat der Radiomann als Fernsehnase nun die größte Dämlichkeit beigegeben. In seiner ARD-Sendung "Druckfrisch" vom Sonntag, die SZ berichtet, hat er sprachlich nicht nur den üblichen, tapferen und gleichzeitig so donquixotesken Kampf gegen die angebliche "politische Korrektheit" geführt, sondern tat das als angemalter Schwarzer mit weißen Handschuhen im Stile der Minstrel Shows.

Wie vernagelt kann man sein, über etwas witzig, satirisch oder ironisch handeln zu wollen, dass man selbst nicht ansatzweise begriffen hat? Scheck ist, wenn schon nicht der Rainer Brüderle, dann wenigstens die Wibke Bruhns des Rassismus-Diskurses – denn das Schöne an solchen Momenten ist ja, dass man den Respekt verliert vor jemandem, der sich prätentiös Literaturkritiker nennt, es aber offenbar in seiner langen Karriere nicht geschafft hat, je ein Buch zu lesen, das so etwas wie Denken oder Reflektion motiviert haben könnte, kurz: die plötzliche Erkenntnis, dass der Mann im Fernsehen da tatsächlich kaum mehr kann, als Bücher wegzuschmeißen.


ALTPAPIERKORB

+++ Was wird jetzt aus der FR? Zwei ungewöhnliche Gesprächspartner geben interessant Auskunft. Die TAZ hat sich mit Betriebsrat Marcel Bathis unterhalten, der nicht viel weiß außer, dass mit FAZ und einem ausländischen Investor verhandelt wird. +++ Die SZ spricht mit SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks über das Engagement der DDVG, wobei Hendricks beteuert, unterm Strich nur Miese gemacht zu haben. +++ Involviert ist die DDVG auch bei der WAZ: Andreas Rossmann schreibt in der FAZ eine kleine Geschichte der Verflechtungen (WAZ, WR, WP, RNZ) und Kürzungen seit 1973 im Ruhrgebiet (Seite 25), Frau Hendricks geht es, laut SZ-Gespräch bei den Kürzungsplänen der WAZ (WR!) wie dem FR-Betriebsrat: ist nicht eingeweiht. +++

+++ Toller Datenjournalismus, der etwa von sueddeutsche.de und Welt dankend aufgenommen wird: Deutschland landet auf Platz 1 der Länder mit den meisten gesperrten Youtube-Videos. OpenDataCity hat ein Ranking der weltweit meist gesehenen 1000 Clips entwickelt, von denen über 600 in Deutschland nicht zu sehen sind. Abgeschlagener Zweiter in der Liste: Südsudan, dahinter Vatikanstadt. Das ist mal Gesellschaft. +++ Die Gema reicht derweil eine weitere Klage ein im Streit mit Google/Youtube, meldet die FAZ (S. 31). +++

+++ In den Fernsehbesprechungen: "Dallas" kommt wieder, weckt Erinnerungen, aber wenig Begeisterung. Johanna Adórjan schreibt in der FAZ (Seite 31): "Aber 'Dallas' heute – das ist ein ganz kleines bisschen so, als würde die 'Lindenstraße' immer noch laufen." +++ Joachim Huber macht sich im Tagesspiegel verdient mit profundester Kennerschaft und hat auch die Programmierung des Revivals im Blick: "Die Neuauflage läuft bei RTL. Das zeigt zweierlei: Der Privatsender RTL bekennt sich zum Durchschnittsalter seines Publikums mit 51 Jahren. Erstens. Zweitens: Wie tief muss das Erste geschlafen haben, als es zur Auktion für die deutsche Sendelizenz von 'Dallas 2012' gekommen war?" +++ Und Klaudia Wick meint in der Berliner/FR: "Die Serie ist ihr eigenes Lookalike." +++ Außerdem Fernsehen: "Roche & Böhmermann" machen nicht weiter oder "gehen wieder getrennte Wege", wie die Welt schreibt. Zu den Gerüchten um Differenzen siehe auch: DWDL.de. +++ Und: Auf Meedia.de redet "Zeitungsforscher Röper" über Veränderungen im Journalismus. +++

Altpapierkorb füllt sich morgen wieder gegen 9 Uhr.

weitere Blogs

Lesbisches Paar
Was hat der 01. Mai mit queerer Theologie zu tun? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Queerness immer schon Teil der Arbeiter*innenbewegung war. Und weil die Lesbian Visibility Week erst gestern zu Ende gegangen ist, nimmt der Beitrag ein Beispiel aus der lesbischen Geschichte auf.
Illustration blauer Stuhl
Dieses Jahr blieben beim Pessach-Seder viele Stühle leer.
Coole neue Gottesdienstformen finden viel Aufmerksamkeit – oder geschieht das nur um der Aufmerksamkeit willen?