Doch zwar nicht gleich

Doch zwar nicht gleich

Einiges los heute: 17.-Juni-Erinnerung, NSA-Skandal. "Die verschlossene Auster" beim Jahrestreffen des Netzwerk Recherche geht an Innenminister Friedrich, der sich nicht per Hubschrauber abholt. Die Bezahlung von Freien ist nichts, was Klein Erna verstehen könnte, sagt der Zeit-Geschäftsführer. Wallraff baut Enkel auf. Liefers verteidigt Syrien-Reise

Als Zeitzeuge taugt der hier als ErklärBehauptungsmaschine nicht so geschätzte Bild-Kolumnist Ernst Elitz leider auch nicht. Die Berliner hat Elitz in ihrer Samstagsausgabe viel Platz eingeräumt, um über den 17. Juni 1953 aus Sicht des RIAS zu schreiben. In dem Radiosender nahm der Aufstieg Elitzens seinerzeit seinen Lauf, wobei seinerzeit schon die sechziger Jahre meint – die Geschichte, die Elitz jetzt also erzählt, kennt er nicht aus eigener Anschauung. Woher er sie erfahren hat, erfährt man als Leser nicht, was etwas irritierend ist. Andererseits ließe sich die Elitz'sche Funktion besser nicht beschreiben: Er hängt halt so in der Luft zwischen der Ahnung von Subjektivität oder auch einer Idee von Prominenz und der redaktionellen Notwendigkeit, die Seiten vollzukriegen.

"Doch für die am Sound Nat King Coles und der Weavers geschulten amerikanischen Ohren klang das Opernschmalz, das der Redakteur herausgefischt hatte, zwar nicht gleich wie die Internationale, aber immerhin wie gedämpfte Trauermusik."

In diesem Gestus dichtet sich Elitz durch die Umstände. Fairerweise muss man anmerken, dass frivoles Pathos als Grundstimmung der 17.-Juni-1953-Berichterstattung nicht Elitzens Erfindung ist – es lässt sich offenbar nicht vermeiden, wenn heute an die großen Erfolge von einst erinnert werden soll, mit denen man praktischerweise kaum was zu tun hatte. Dabei – wenn man der Lesart Paul Gratziks aus Annekathrin Hendels grimmepreisgekröntem Dokumentarfilm "Vaterlandsverräter" folgen will, dass siegreiche Mächte sich an den von ihnen Besiegten infizieren – kann es schon nachdenklich machen, dass der jüngste Berliner Straßenname praxisferner klingt als jedes DDR-Bürokratieungetüm ("Straße der Waffenbrüderschaft"): "Platz des Volksaufstandes von 1953". Man kann nur hoffen, dass es sich um Symbolpolitik handelt, dort also keine Hausnummern betroffen sind.

Zum Einfluss des RIAS auf das Ereignis, nachdem nun Plätze heißen, hat WorldWideWagner vom RadioEins-Medienmagazin den damaligen Chefredakteur Egon Bahr befragt. Lustigerweise vor einer Willy-Brandt-Büste (im Garten der LV Rheinland-Pfalz, was sich uns als Zusammenhang noch nicht recht erschlossen hat), weshalb man in der Video-Version anfangs Brandt-Büste mit Bahr-Stirn sieht, das ändert sich dann aber.

Ab Minute 5.10 erzählt Bahr von den Weisungen seines Kollegen Kontrolloffiziers, bei 6.10 lächelt er kurz verschmitzt über seinen Trick, die Hinweise, die er nicht ventilieren durfte, doch ventiliert zu haben. Dieses Lächeln ist hübsch.

Jochen Staadt bespricht in der FAZ von heute eine ARD-Dokumentation ("Griff nach der Freiheit", 23.45 Uhr), in der sich unter anderem noch nicht mit dem Wechsel des bundesdeutschen Feiertags vom 17. Juni auf den 3. Oktober abgefunden wurde.

"Der Historiker Arnulf Baring empört sich darüber in der ARD-Dokumentation zu Recht."

Schreibt Staadt über den ewiggestrigen Historiker, wo doch der 17. Juni als pain in the ass der Systemkonkurrenz seine Schuldigkeit getan hatte ab 1990. Im Tagesspiegel schreibt Bernhard Schulz über "Griff nach der Freiheit":

"Die Bilder der Menschen aber, die auf die Plätze strömen, in Görlitz oder Halle, wütend, aber auch über ihr eigenes Tun begeistert, erwartungsvoll, durchweg umsichtig – diese Bilder machen den Film zu einer Lehrstunde und einem Erlebnis."

Die Berliner (Seite 25) hat außerdem noch eine Dokumentation bei RTL gesehen, die schon gestern lief.

Der große Vorteil des 17. Juni ist, und das steigert seine Attraktivität für die massenmediale Erinnerung, dass die Kuh vom Eis, die Schlacht gewonnen ist. Das lässt sich von Prism aka dem NSA-Skandal und allem, was damit zu tun hat, nicht sagen. Frank Schirrmacher schreibt in der FAS über die "Verschmelzung" von ziviler und militärischer Welt:

"Digitale Börsen-, Kommunikations- und Geheimdienstsysteme wollen nicht wissen, was war oder was ist, sondern was sein wird. Sie wollen Risiken einpreisen und minimieren: vom Aktienkurs über die Kreditwürdigkeit, die Gesundheitsprognose bis hin zur Frage, ob man im Begriff ist, ein Verbrechen zu begehen. 'Wir wissen, was sie morgen tun werden.' Der Satz stammt eben nicht von der NSA, sondern vom Chef der 'Fair Isaac Corporation', jener Firma, die einst das Kredit-Scoring erfand und es nun ans digitale Zeitalter 'angepasst' hat."

Wäre es frivol, jetzt schon zu fragen, wie wir uns dereinst an den NSA-Skandal erinnern werden? Slate-Kolumnist Fred Kaplan schreibt heute auf der ersten Feuilletonseite einen von Matthias Fienbork übersetzten Text, in dem Unterschiede gemacht werden (auf die im Kern Schirrmacher schon hingewiesen hatte):

"Zunächst einmal sollte festgehalten werden, dass die NSA nicht die Stasi ist. Ihre Mitarbeiter hören keine Telefongespräche ab und lesen keine E-Mails. Ebenso wenig obliegt es ihnen, Kritiker der amerikanischen Regierung aufzuspüren (während der Daseinszweck der Stasi einzig darin bestand, Oppositionelle zu jagen)."

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Das mit dem späteren Erinnern wird vermutlich deshalb schon schwierig, weil aus den Texten gerade die Annahme spricht, dass das nicht aufhört, der NSA-Skandal also eigentlich die Arbeit ist, die NSA und BND und "wie sie alle heißen" die nächsten Jahre machen werden. Weiterungen also, wie hier im Bericht der Welt.

Zur – gesellschaftlichen – Lage eines Whistleblowers wie Edward Snowden ist das DLF-Interview von Brigitte Baetz mit Guido Strack aus der samstäglichen "Markt und Medien"-Sendung aufschlussreich. Der einstige EU-Beamte Strack, der ein Whistleblower-Netzwerk gegründet hat, bedauert darin seinen eigenen Fehler, nicht stärker auf den Schutz durch Öffentlichkeit gesetzt zu haben.

[+++] Netzwerk ist eine Weltklasse-Überleitung. Top Topic auf den Medienseiten ist nämlich die Jahrestagung des bekanntesten deutschen Mediennetzwerks, des Netzwerks Recherche. Der Bambi für die "Beste Berichterstattung vom Jahrestreffen des Netzwerk Recherchd" müsste, wenn Burda ein Einsehen hätte und diese Kategorie endlich einführen würde, an Cornelius Pollmer gehen für seinen SZ-Text (Seite 31) "Sportfreunde Journalisten".

Ohne Scheiß: So macht Lesen Spaß. Pollmer bietet nämlich eine schöne Musikfestival-Analogie auf, die er bewundernswert lange durchhält, ohne sie zu Tode zu reiten:

"Medientage sind im Grunde wie Pop-Festivals: Wer etwas wirklich Neues hören will, der geht zu den unbekannten Künstlern auf den kleinen Bühnen. Und wer das nicht möchte, der lässt sich von großen Namen zur Center-Stage locken."

Heißt es da. Und einen Absatz darauf eben noch:

"'Hier rockt jetzt gleich Cordt Schnibben', versprach Organisator Kuno Haberbusch, und dann spielte der Mann vom Spiegel tatsächlich ein gewaltiges Set, 140 Powerpoint-Folien in 60 Minuten."

Für die TAZ war Daniel Bouhs am Start, der etwa über den so genanten Negativ-Preis "Die verschlossene Auster" an Innenminister Friedrich informiert.

"Gekommen, um sich seinen Preis abzuholen, ist der CSU-Politiker nicht. Sein Vorgänger Otto Schily war dafür einst extra per Hubschrauber eingeflogen. Der Auftritt ist unter Journalisten legendär."

Die – müsste doch dann auch "Negativ-" heißen – Laudatio von Ex-Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo war gekürzt in der FAS von gestern abgedruckt und ist hier in voller Länge online:

"Dann revanchierte sich sein Ministerium mit einer Rechnung über 14.952 Euro für Arbeitsaufwand und Fotokopien – obwohl doch zugesichert war, dass die Gebühren keinen Abschreckungseffekt haben würden."

Heißt es darin über Friedrichs Move gegenüber der WAZ-Recherche von Niklas Schenck und Daniel Drepper (die bekanntlich dagegen klagen wollen) zu den politischen Zielvorgaben bei Olympia.

Ulrike Simon informiert in ihrem Bericht in der Berliner vor allem über die Öffentlichmachung von Offshore-Leaks-Dokumenten durch das amerikanische ICIJ, die durchaus kritisch gesehen wird.


Altpapierkorb

+++ "Ein Streitgespräch zwischen Tuma und Bruhns bei der Jahrestagung von Netzwerk Recherche an diesem Wochenende wurde abgesagt. Man will jetzt lieber intern reden. Die Pro-Quote-Story soll keine Spiegel-Story mehr sein." Schrieb Katharina Riehl in der SZ vom Samstag in ihrem Portrait von Annette Bruhns, der Pro-Quote-Vereinsvorsitzenden und Spiegel-Redakteurin. Da dort auch über das Hajo-Friedrichs-Interview mit den Merksätzen des Nicht-Gemeinmachens die Rede geht, hier der Link zu dem Gespräch, bei dem neben einer gewissen Lässigkeit Friedrichs' vor allem die schiere Länge auffällt, die ein Spiegel-Interview vor 18 Jahren noch haben konnte. (Das Henyckes-Gespräch aus dem aktuellen Spiegel hätte man sich gerade wegen seiner behaupteten Exklusivität länger gewünscht). +++ So lang kann es heute nur noch das Internet: Carta stellt Otfried Jarrens "Rede zum Dies academicus 2013 anlässlich der 180. Stiftungsfeier der Universität Zürich" online, die recht grundsätzlich auf Medien schaut (wie es Constantin Seibt in seinem vorletzten Deadline-Post getan hat), nämlich darauf, wie sie uns Neuigkeiten und Weltzugang organisieren und normieren. "So wie in unserem Alltag alles in einem gewissen Trott, besser: in sicheren und geregelten Bahnen, verläuft, so ist auch das Leben von Unternehmen und von politischen Organisationen nach gewissen Regeln strukturiert. Wir streben nach Routinen. Routinen schaffen soziale Stabilität. Daran wirken die Medien mit." +++

+++ Um die konkreten Arbeitsbedingungen geht's im Silke-Burmester-Interview mit Zeit-Geschäftsführer Rainer Esser in der TAZ vom Samstag. Nämlich um die Frage, warum es ein so krasses Gefälle zwischen festangestellten und freien Mitarbeitern in Sachen Honorierung gibt. Zuschütten mit einer einleuchtenden Erklärung kann Esser dieses Gap nicht. Es bleibt nur die gehobene Leberwursthaftigkeit der Selber-Zurückweisung: "'Für einen Onlinetext zahlen Sie bei 8.000 Zeichen 120 Euro. Das ist Bangladesch...' – 'Was in Bangladesch passiert, ist so kritisch und menschenverachtend, dass es in diesem Zusammenhang zynisch und unpassend ist. Sie werden kaum einen Verlag finden, der sein Redaktionsbudget so stark ausgebaut hat wie wir.'" Die letzte Antwort Essers auf die Frage, warum der Reichtum der Zeit nicht bis zu den Freien strahlt, ist auch sehr schön: "'Vermutlich wissen Sie es noch nicht, aber unsere Branche ist sehr unter Druck. Jedes Jahr kommt anders. Die Anzeigenerlöse sind sehr volatil. Einfach zu sagen, hier sind ein paar Millionen mehr, so stellt sich Klein Erna die Verantwortung eines Zeitungsgeschäftsführers vor. Aber, ich gebe zu, Sie haben ein sehr wichtiges Thema angesprochen, das mich auch bewegt.' – 'Dann dankt Klein Erna dem Onkel für das Gespräch.'" +++ Hier sucht man Gerechtigkeit ebenfalls vergebens: In der SZ schreibt Bernd Dörries mit respektvoller Ironie über Günter Wallraff und seine Enkel – eine RTL-Reporterin hat als Hotelzimmermädchen recherchiert. "Das liegt zum einen daran, dass Wallraff, der bei manchen Menschen zwar schon als Afrikaner durchging, mit seinen 70 Jahren nur noch schlecht in ein Zimmermädchen zu verwandeln ist, das auch in die Ecken kommt. Der andere Grund ist die Sorge darum, was nach ihm kommt. 'Ich möchte, dass meine Methode Schule macht. Im Ausland habe ich schon etliche Nachfolger gefunden. Im Inland wünsche ich mir mehr', sagt Wallraff in einer kleinen Gartenlaube in Köln...Sie filmt versteckt eine Branche, in der die Zimmer viele Hundert Euro kosten und die von Frauen gereinigt werden, die zumeist aus Osteuropa kommen." +++ Passend dazu: Tarifvertragskündigungen. "Für alle reicht's nicht" (Heiner Müller). +++

+++ Jan Josef Liefers erklärt seine Syrien-Reise im Spiegel (S. 80) +++ Markus Ehrenberg schreibt zur Diskussion im Tagesspiegel: "Man muss die 'Bild'-Zeitung nicht mögen. Liefers zynische Methoden bei dem Syrien-Trip vorwerfen? Das lenkt vom eigentlichen Problem ab." +++ Und Tagesschaum-Moderator Friedrich Küppersbusch rät im TAZ-Interview salomonischst: "Anwesenheit als Kompetenzprothese. Umgekehrt bekäme die Kanzlerin Ärger, wenn sie nicht das offiziöse 'machte sich vor Ort ein Bild von der Flutkatastrophe'-Foto machen ließe. Dabei macht sie uns ein Bild, nicht sich....Liefers möge etwas mehr Gnade finden und etwas weniger ernst genommen werden - jedenfalls von Journalisten, die hinter 'informierten Kreisen' ihre Saufkumpels an der Hotelbar verstecken." +++

+++ Bei Wetten, dass..? soll sich was ändern, das Grundproblem Markus Lanz bleibt (Meedia.de). +++ Das Grundproblem des Fernsehens beschreibt Hermann Rotermund auf Carta: "Niemand im Medien-Universum der Jüngeren und Gebildeteren begeistert sich für fernsehzentrierte Zusatzangebote. Der Grund: das Fernsehen selbst – als Medium – interessiert nicht mehr." +++ Die Welt lobt Günther Jauch für die beste Jauch-Sendung, die bezeichnenderweise kein Politiktalk war: "Denn erst kürzlich hielt die Wochenzeitung 'Die Zeit' dem ARD-Programmdirektor Volker Herres vor, die ARD wolle wie die Privaten sein. Als Beleg führte das Blatt die Verpflichtung des RTL-Markenzeichens Jauch an. Herres wehrte das in dem Interview kurz und bündig ab. 'Günther Jauch macht bei uns mit einer politischen Talkshow doch etwas ganz anderes als bei den Privaten.' Doch an diesem Sonntag machte Jauch es wie bei RTL – und die Freude daran war bei ihm deutlich zu spüren." +++ Zum abgeschalteten griechischen Sender ERT schreibt Eva Völpel in der TAZ: "Batzoglou wirft der Regierung vor, Belegschaft und Sender mit Fehlinformationen gezielt zu verunglimpfen. 'ERT ist kein Sanierungsfall' oder verschwende Geld, so Batzoglou. 'ERT hatte im Juni 2.656 Angestellte. Seit 2010 sind bereits rund 1.500 Stellen abgebaut worden, ERT arbeitet personell schon im roten Bereich.'" +++

+++ Constantin Seibt widmet sich in seinem jüngsten Deadline-Blogeintrag über den Journalismus und das Schreiben der "Magie": "Die paar wirklich zählbaren Sachen entstehen fast immer in der Übermüdung, im blinden Flug, fast ohne Zutun – keine Ahnung, wie man das zustande brachte." +++

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