Der Katzencontent des Medienjournalismus

Der Katzencontent des Medienjournalismus

Keine Medienstrategie bei Axel Springer in Sachen Philipp-Rösler-Knuddeln. Ganz viele Medienstrategien bei Axel Springer in Sachen sexy Content-Modell-Aufschwung. Eine Doktorarbeit über die Medialisierung von Politikern. Und eine Handvoll Vorschläge für die WDR-Intendanz, jenseits der vorhandenen Kandidaten.

Das Medienthema, das vermutlich jeden Publikumspreis als wichtigstes des vorgestrigen und auch noch gestrigen Tages gewänne, ist ein Foto. Man kann sowas ja heute ganz gut einschätzen; wer ein Tumblr (gestern schon verlinkt), noch eines (als Reaktion darauf), eine lustige Bildblog-Aktion und ein Storify bekommt, hat gewonnen.

Das Foto zeigt immer noch die Umarmung von Kai "Liftboy" Diekmann und Philipp "Schön hier oben" Rösler, aka Bild-Chefredakteur und Vizekanzler. Sie haben sich natürlich nicht nur umarmt, als sie ein Unternehmen in San Francisco besuchten, sondern wurden dabei auch noch dummer- oder halt auch nützlicherweise fotografiert. Wie bebildert man die gegenseitige Durchdringung der politischen und der medialen Sphäre? So halt.

Was sich an Deutung der Geschichte jenseits der Cat-Content-Ebene anbietet, hat die gestern hier ebenfalls schon zitierte Laura Himmelreich für stern.de aufgeschrieben: dass und wann und wie Rösler Bild-Thema war ("Mr. Cool"), ist auch heute noch interessant. Dazu kamen dann gestern noch ein paar andere, heute auch zum Teil gedruckt: Jonas Rest für die Frankfurter Rundschau, Sonja Pohlmann für den Tagesspiegel, Daniel Erk für Zeit Online mit einem etwas weiteren Dreh (und in der Überschrift mit dem Zeit-üblichen "c" in "Diekmann", mittlerweile aber korrigiert); und Thorsten Denkler bei sueddeutsche.de, der Ulf Poschardts Fragen zu Philipp Rösler aus der Welt nur leicht umformulieren musste, um sie von der politischen in die mediale Sphäre zu heben:

"Was heißt so eine Umarmung, wie viel Nähe sollte der Chefredakteur eines mächtigen Mediums wie der Bild zu einem Vizekanzler zeigen dürfen, wie viel Privatheit kann vor Kameras ausgelebt werden? Und: Wer berät Kai Diekmann in Medienfragen, wer coacht im Umgang mit der Öffentlichkeit, wer ist sein Stilratgeber?"

Man kann darüber nochmal nachdenken. Wenn, dann gibt es womöglich einen Öffentlichkeitscoach, der nicht bis ganz zum Ende gedacht hat. Einerseits: Wann schien Diekmann je so menschlich wie in diesen Tagen, da er ungegelt und bärtig auftritt? Und wann je so groß wie auf diesem Foto, da er, ohne die Kleidungscodes der Macht zu nutzen, seinen Daumen über einen devoten Wirtschaftsminister heben oder senken zu können scheint, als wäre er Mark Zuckerberg persönlich? Andererseits: Kumpanei von Journalisten mit "der Macht" kommt so unumstritten gut dann ja auch nicht an, wie Himmelreich, Denkler, Pohlmann und auch Michael Hanfeld (FAZ) beweisen, der beim Axel-Springer-Verlag nachgefragt hat, wer da eigentlich nun welchen Clown gefrühstückt hat:

"Hinter dem Bild, heißt es bei Springer, stecke keine Medienstrategie, es handele sich vielmehr um eine 'nette Geste', die aber missglückt sei, weil es sich darstelle als Kumpanei zwischen Politiker und Journalist."

Die natürlich absolut ausgeschlossen werden kann usw.

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+++ Wie steht es insgesamt so um die Medialisierung der Politik, also "die Anpassung der politischen Akteure an die Regeln der Massenmedien"? Man muss die Dissertation des "heute-journal"-Mitarbeiters Daniel Pontzen lesen, dann weiß man kommunikationswissenschaftlich Bescheid. Es geht um die besagte Politikmedialisierung darin, wobei die Arbeit im Titel – daran erkennt man, dass sie kein Thesenjournalismus ist – ein Fragezeichen hat: "Politiker in der Medialisierungsspirale?" Marietta Slomka weist im online verfügbaren Vorwort auch extra noch auf das Fragezeichen hin:

"Die Personalisierung hatte schon bei Adenauer einen hohen Grad erreicht, den Nachrichtenwert 'Konflikt' bedient wohl kaum jemand so zielgenau wie Strauss. Und dass Telegenität und rhetorische Raffinesse oft wichtige Bausteine einer politischen Karriere sind, darauf konnte man auch schon bei Willy Brandt oder Helmut Schmidt kommen. Nimmt Medialisierung also tatsächlich zu?",

schreibt sie. Antworten dann in der Dissertation, bei Bedarf. Interessant und ein Dauerbrenner ist aber auch: Wie steht es um die Medialisierung der Massenmedien, um eine Anpassung der medialen Akteure an die Regeln des Digitalen? Die Frage stellt sich heute recht konkret: Wie weit trägt der ganze Journalismusquatsch noch, wenn man auch ohne die ganzen bescheuerten old-school-Regeln geil Asche machen könnte? Claudia Fromme, Katharina Riehl und Claudia Tieschky werfen für die Süddeutsche im Medienseitenaufmacher am Rand auch diese Frage auf, wenn es um die Online-Bezahlstrategiesachen für Bild geht, die dieser Tage vorgestellt werden sollen:

"Als erste Boulevardzeitung traut sich 'Bild' hinter die Paywall. Doch es geht um mehr als nur ein Abomodell. Es geht um die radikale Anwendung der Gesetze des Web. Welche Rolle der Journalismus dabei spielt? Unklar",

um mal die Unterzeile zu zitieren. Und aus dem Text:

"Aus Bild, wenn man es richtig deutet, soll eine multimediale Unterhaltungswelt werden – aus Nachrichten, Fußball, Filmen, Meinungen, Produkten und Kontakten. Eine Welt, die man eigentlich für nichts mehr verlassen muss. (...) Fragt sich nur, welche Rolle der Journalismus in dieser Welt eigentlich noch spielt. 'Eine dramatisch andere', sagt einer bei Springer. Das gedruckte Wort auf eine digitale Abspielfläche zu verlagern, sei nicht das Ziel. Boulevard sei schon immer mehr Bild und Ton als Text gewesen, sagt ein anderer."

Dazu – wenn schon Axel-Springer-Themen, dann kommen sie ja in der Regel richtig dick, sind ja keine Anfänger – gibt es ein Interview mit Vorstandschef Mathias Döpfner bei Gründerszene:

"Ich erwarte einen großen Aufschwung der Content-Modelle. Die wurden in den letzten 15 Jahren vernachlässigt. Im Silicon Valley gab es kaum etwas, das so unsexy wie Content war."

Aufschwingende sexy Content-Modelle – und wer weiß, für was so ein unterwürfiger Wirtschaftsminister noch gut sein kann.


ALTPAPIERKORB

+++ Die Funkkorrespondenz schreibt über die WDR-Intendantenwahl und schlägt zu den vorhandenen im Nachhinein noch ein paar Kandidaten vor: "Der Bedeutungsverlust des Westdeutschen Rundfunks findet jetzt offenbar seine Fortsetzung bei der für den 29. Mai anstehenden Intendantenwahl zur Piel-Nachfolge." Dafür gibt es bekanntlich drei Kandidaten: "Tagesthemen"-Moderator Tom Buhrow, Radio-Bremen-Intendant Jan Metzger und Stefan Kürten von der europäischen Rundfunkunion EBU. "Es hätte für die Wahl des neuen Intendanten der größten ARD-Landes- rundfunkanstalt sicher Kandidaten gegeben, die als kommunikative Führungsfiguren eher in Frage gekommen wären. Aus dem Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks etwa Gottfried Langenstein (Arte/ZDF), Christoph Hauser (SWR), Stefan Abarbanell (RBB), Andreas Cichowicz (NDR) oder eben Peter Frey (ZDF), Claudia Nothelle (RBB) und Bettina Reitz (BR), die ja auch immer wieder genannt wurden. Und jenseits des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ließen sich allein aus dem 'Spiegel'-Umfeld drei Kandidaten nennen, als da wären Stefan Aust, Matthias Müller von Blumencron und Jakob Augstein. Mit der von ihr getroffenen Auswahl hat die Findungskommission dem WDR jedenfalls nicht unbedingt einen Gefallen getan. Das wirkt alles eher wie ‘verloren im Übergang’, ohne wirklich eine Perspektive zu bieten für einen programmlichen und strategischen Neuanfang" +++

+++ Die FAZ über die Gewalttaten in England und Schweden und die Medien: "Die Journalisten, die es gut meinen, wollen eine Gesellschaft wachrütteln, die den Schwelbrand in ihren Vororten nicht wahrhaben will. ... Zugleich kann die Berichterstattung aber wie ein Brandbeschleuniger wirken, wenn sie zu laut wird und populistisch" +++

+++ Bei DuMont Schauberg gibt es eine neue Führungsstruktur: Christian DuMont Schütte wechselt vom Vorstand in den Aufsichtsrat, Christoph Bauer kommt zum Oktober in den Vorstand und übernimmt Anfang 2014 dessen Vorsitz, die Berliner Zeitung berichtet in eigener Sache, dazu etwa Meedia +++

+++ Fußballwochenende: Was medial auf uns zukommt: newsroom +++ SPD wird 150 – und die Privatsender fühlen sich von einem SPD-Vertrag mit dem ZDF benachteiligt (taz, Meedia) +++ Die taz schreibt über die neue Capital +++ Die SZ über "Die Klugscheisser" mit Bruno Jonas, Monika Gruber und Rick Kavanian (ARD, donnerstags, 22.45 Uhr) +++ Die FAZ über den Stuttgarter "Tatort" +++ Gestorben ist der Publizist Henning Rischbieter (FAZ) +++ Die Erstveröffentlichung dieses Altpapiers um 2:28 Uhr war eigentlich ein Versehen, aber jetzt ist es halt so. Ergänzt wurde es um 8:46 Uhr +++

Das Altpapier gibt es wieder am Montag.

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