Lutz Marmor spricht nicht mit mir

Lutz Marmor spricht nicht mit mir

Echoräume der Sonntagsrede: Das System, dem der NDR-Intendant vorsteht, versucht sich in einem Beitrag ins Verhältnis zu einer öffentlichen Diskussion zu setzen, schaut der Kritik dabei aber nie in die Augen. Und kommt so unfreiwillig nur ins Gespräch mit der Realität außerhalb seines Redens: mit Maischbergers Quotenbonus und Singelnsteins Unabhängigkeit. Um den MDR geht's auch noch.

Wenn man in diesen Tagen nach Argumenten suchte, warum es den Branchendienst Funkkorrespondenz weiterhin geben sollte, dann wäre der Lutz-Marmor-Schlaps in der aktuellen Ausgabe ein gutes Beispiel. Er ereignet sich nämlich stur und unscheinbarst in einer Reihe zum Thema "Strukturwandel der Medienpolitik" – und spricht dann doch mit dem, was in der Eile von Aktualität auf den Medienseiten der Zeitungen gerade durchgewunken wird.

Wobei das Sprechen des Lutz-Marmor-Beitrags eine Sache für sich ist – wenn nicht eine Show! Man spürt in jedem Absatz die Setzkasteneleganz von Referentenentwürfen, insofern so ein NDR-Intendant nicht frei von der Leber weg plaudern kann. Man kann von einem NDR-Intendanten einfach nicht verlangen: "Lutz Marmor, sprich mit mir!", weil die Macht, der Apparat, das System, das Lutz Marmor heißt, Angst haben müsste, dass jede Bewegung, die nach spezifischer Individualität, Eigensinn oder auch nur Selbstbewusstsein aussehen könnte, die ganze Macht, den Apparat, das System zusammenbrechen lassen würde.

Also reagiert so ein Lutz-Marmor-Schlaps nur gedämpft und vermittelt auf Diskurse und Kritik, die das Universum, dem Lutz Marmor vorsteht, umkreisen. Das klingt dann etwa so:

"Die Qualitätsmedien – seien sie öffentlich-rechtlich oder privat organisiert – sind angesichts der Konkurrenz globaler Unternehmen wie Google/YouTube, Facebook, Apple oder der Telekom Verbündete, keine Gegner. Es ist ein Irrglaube, zu meinen, die wirtschaftliche Situation privater Unternehmen könne dadurch verbessert werden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk geschwächt werde."

Der Text guckt den Verlagen, die gegen die Tagesschau-App wettern, nicht in die Augen, will ihnen aber trotzdem etwas mitteilen. Das gleiche gilt für den Vorwurf, die Öffentlich-Rechtlichen machten das Privatfernsehen nach:

"In deutschen Medien wird immer wieder die Diskussion geführt, ob sich die öffentlich-rechtlichen Sender zu sehr an den privaten orientieren. Diese Tendenz sehen die Zuschauerinnen und Zuschauer eindeutig nicht. Sie unterscheiden sehr genau die Profile und Kompetenzen der Sender."

Überzeugt diese Argumentation? Die maulenden "Medien" werden gegen – we, the people – die herzerwärmten "Zuschauerinnen und Zuschauer" ausgespielt, wobei man sich fragt, was die Basis für diese Behauptung ist: Schreiben die Zuschauerinnen und Zuschauer dem NDR-Intendanten Mails oder erzählen sie ihm beim Einkaufen auf dem Wochenmarkt, wie gut sie die ARD von RTL unterscheiden können?

Immerhin führt solcher Behauptungszauber zur scheinbaren Errettung aus dem Dilemma, in dem man als real existierender NDR-Intendant heutzutage steckt, auf die Spur des Sprechens dieses Beitrags: Der Lutz-Marmor-Text will es allen recht machen und trotzdem er selbst bleiben. Das führt dann geradewegs in die Trostlosigkeit, mit der ein solch stolzes Gut wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk verwaltet wird: Es ist einfach unvorstellbar, dass Lutz Marmor der Name einer Überzeugung sein könnte, die für ihre Idee, ihre Sache munter und lustvoll streitend zu Felde ziehen könnte, statt aus dem Verschlag der eigenen Defensive verdruckste Grußkärtchen in Richtung der jeweiligen Beschwerdeführer zu schicken.

Und deshalb spricht der Lutz-Marmor-Text eben eher unfreiwillig mit seiner Zeit. Denn da steht vollmundig:

"Anders als ein privates Unternehmen verdient der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Geld nicht am Markt, sondern erhält Beiträge von den Bürgerinnen und Bürgern. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist auch nicht im Besitz von einigen wenigen oder vielen Anteilseignern, sondern gehört allen."

Aber gleichzeitig liest man leider, dass sich vielleicht nicht der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk, aber doch das Gehalt der Vorzeigenase Sandra Maischberger am Markt bemisst (siehe Altpapier von gestern).

"Der WDR musste einräumen, dass es zwischen 2003 und 2012 in Frau Maischbergers 'Moderationsvertrag' eine 'quotenabhängige Honorierung' gab. Die Aufdeckung dieses Sachverhalts hat eine Vorgeschichte, die mit ihrer Sendung vom 15. Januar zu tun hat."

Schreibt Frank Lübberding in der FAZ, in der er die Vorgeschichte umgehend erzählt. Es geht um einen Auftritt von Gold-Kati Witt zu einem Thema ("Diät und Schlankenheitswahn"), dem diese als Werbefigur eines Schlankmacherproduzenten kommerziell verbunden ist.

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Hans Hoff fällt es nicht schwer, in der SZ die Lutz-Marmor-Sonntagsrede zu tunneln:

"Im WDR wird man nicht müde zu betonen, dass es in erster Linie um die Qualität im Programm gehe und erst in zweiter Linie um die Quote. Dem widerspricht indes eine gerade bekannt gewordene Passage aus Sandra Maischbergers Vertrag."

Relativ leicht auszuspielen ist in den Tagen der Platzeck-Sprecher-RBB-Anruf-Affäre (siehe siehe) auch Marmors Insistieren auf der vorgeblichen Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Runfunks:

"Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist kein Staatsfernsehen und darf es nie werden. Die Kontrolle obliegt unabhängigen Gremien, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen zusammensetzen. Damit nicht der gegenteilige Anschein entsteht, dürfen beispielsweise den Aufsichtsgremien des NDR Politikerinnen und Politiker nur dann angehören, wenn sie kein Regierungsamt innehaben."

Sind Politiker ohne Regierungsamt weniger angstbesetzt beziehungsweise nicht um Einfluss im Sinne ihrer Partei bemüht? Und was ist mit den Abhängigkeitsverhältnissen und oder auch nur -befürchtungen auf Seiten des Apparats, wie sie ein Beitrag des NDR-Medienmagazins Zapp verdienstvollerweise am Beispiel von RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein herausarbeitet? Singelnstein versucht das Gegenteil von dem zu sagen, was er gemacht hat, und muss deshalb drucksen. Der Wahrheit eine Sackgasse. Selten war das Bewegtbild so wertvoll.

Wobei das Allertraurigste an der Geschichte ist, dass man in dem Zapp-Beitrag die Stelle sieht, die entfernt worden ist – und wenn das bisschen leicht-feste Bockigkeit bei Platze ("Da sag ich heut' nüscht mehr zu, reicht") genügt, um von "Überfall" zu sprechen oder eben zum Telefonhörer zu greifen und beim RBB anzurufen, dann würde man gern wissen, ob in der Teeküche des Regierungssprechers eigentlich noch alle Tassen im Schrank stehen: Das ist doch fast sympathisch, wie Platzeck da auftritt.

Streitkultur – what have you done to deserve this?


ALTPAPIERKORB

+++ Und nochmal Marmor: "Es gibt manchmal die Vorstellung, die Menschen würden mehr Informations- und Kulturprogramme sehen, wenn wir mehr davon senden würden. Vor der Einführung des Privatfernsehens war das vielleicht der Fall. Adolf Grimme, der erste Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR), des Vorgängers des heutigen NDR, beschrieb in den 1950er Jahren die Programmphilosophie folgendermaßen: 'Wir senden das, was die Leute sehen wollen sollen.' Es liegt auf der Hand, dass wir heute niemandem mehr vorschreiben können, was er 'sehen wollen soll'." Warum liegt das auf der Hand? Und wieso muss "sollen" falsch verstanden werden als so ein pädagogisch-gouvernantenhaftes Standesdünkeln (zumal: das "Dschungelcamp" zu dissen, so weit reicht Marmors Sendungsbewusstsein dann doch noch) und könnte nicht richtig aufgefasst werden als emphatischer Begriff von der eigenen Arbeit? Das hätte den Vorteil, dass man sich nicht mit Zynismus und Verachtung wappnen müsste gegen etwa die Schmonzetten, die man dem Publikum vorsetzt und selbst nie gucken würde. +++ Wie so was geht, Emphase, macht Frank Schirrmacher in der FAZ am Beispiel des – endlich! – neuesten Nico-Hofmann-Krachers vor: "Man schaue diesen Film. Man kritisiere ihn (oder den Rezensenten), man tadele, seine Ausführung, die (großartigen und völlig unverbrauchten) Schauspieler, aber man schaue ihn wenigstens an." Selbst wenn man Schirrmacher nichts glaubte, seine – im übrigen – originelle Variation eines redundanten Lobs ("Und ausgerechnet ein ZDF-Film soll da eine letzte Chance sein, die Uhr anzuhalten und zumindest eine Stunde dazuzugewinnen? Ja, das ist so. Die Reaktionen derjenigen, die ihn bisher gesehen haben, sprechen dafür...Er leitet, das haben Vorabkritiken mit Recht hervorgehoben, eine neue Phase der filmisch-historischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus ein") will zumindest was. Irgendwie kann/soll man bei der FAZ da auch mitmachen bei dem Nico-Hofmann-Großprojekt. +++ Michael Hanfeld hat auf der FAZ-Medienseite (Seite 39) flankierend noch mal mit Regisseur Kadelbach gesprochen ("Irgendwann haben alle am Set den Geist des Films eingesaugt, und dann stimmt es"). Es wäre jedenfalls nicht der erste Film, der irgendetwas in der Welt verändern könnte. +++

+++ Und noch ein Dämpfer fürs öffentlich-rechtliche Rückendurchdrücken: Steffen Kottkamp ist im Zuge der Korruptionsaffäre als Programmgeschäftsführer des Ki.ka entlassen wurden, will sich aber nicht – etwas doppeltgemoppelt, isn't it? - als "Bauernopfer instrumentalisieren" lassen. Kottkamp droht, auszupacken, wie Meedia.de durchaus vorfreudig schreibt ("droht eine Schlammschlacht"). +++ Die Unschuldsvermutung gilt für Kottkamps – beim NDR aktuell beurlaubten – Vorgänger Frank Beckmann, wie Joachim Huber in seinem Text im TSP feststellt: "NDR-Sprecher Martin Gartzke sagte dem Tagesspiegel zu möglichen Konsequenzen: 'Über die Fortsetzung des derzeitigen Vertrages von Herrn Beckmann – er läuft bis 31. Oktober 2013 – ist noch nicht entschieden. Beide Seiten – der NDR und Herr Beckmann – sind sich einig, dass es keinen Zeitdruck gibt. Für Herrn Beckmann gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.'". +++ Huber schreibt auch über die Wahl des neuen DW-Intendanten, der doch eigentlich Peter Limbourg werden soll – obwohl TSP-Chefredakteur Casdorff auch im Gespräch war (der manchmal in Limbourgs Sender rumsitzt): "Ein ernsthafter Kandidat war Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff, der jedoch vor der Wahl erklärte, nicht zur Verfügung zu stehen." Was natürlich, nicht nur bei dem Kommentator von "verwunderterleser" die spannende Frage aufwirft: "Einen 207.000-Euro-Job mit bester Alterssicherung in der guten alten Heimat bei einer gemütlichen Welle schlägt man doch nicht einfach so aus. Welche Beweggründe hatte Herr Casdorff für seinen Rückzieher?" +++

+++ "Die 'RTL-News' zwischen 20.12 und 20.32 Uhr interessierten 2,51 Millionen Zuschauer, die 'Sat.1 Nachrichten' ab 20.15 Uhr 2,07 Millionen (6,4 Millionen) - der Sat.1-Zuschauer erfuhr jedoch nicht mehr nicht mehr während der Live-Übertragung mit Berichterstatter Peter Limbourg, wer der neue Papst wurde." Steht in der dpa-Meldung, etwa im KSTA, über Limbourgs aktuelle Arbeitsbedingungen und den Papst als Medienereignis. +++ Johannes Schneider macht sich wiederum im TSP eigene Gedanken zum Medienhype Papstwahl: "Denn schließlich ist es auch in multimedialen Zeiten nicht primäre Aufgabe einer Zeitung, Kuriositäten aus dem Internet abzuschreiben. Nein, sie soll be- und auswerten – und darf darum an dieser Stelle auf ein übergeordnetes Kuriosum hinweisen. Die uralten vatikanischen Riten taugen, das wurde am Mittwoch deutlich, zum ultimativen Medienereignis 2.0!" +++ Die TAZ meldet, dass die "Times" (und Bild.de) einer französischen Ente ("Agence Transe Press") über eine angebliche Club-WM in Katar aufgesessen ist. Passiert dem deutschen Boulevard nicht zum ersten Mal: Bei der total hotten, aber leider erfundenen Geschichte über Ronaldinhos Freundin vor ein paar Jahren mischte noch Cathrin Gilbert mit (damals bei Springers heißem Blatt), die am Mittwoch bei Sky im CL-Studio saß, weil sie ab 11. April eine Fußballseite in der Wochenzeitung Die Zeit machen soll. +++ Apropos Zeit: Für unsere beliebte Reihe "Inquisition heute: Das neue Politbüro" empfiehlt sich Mariam Lau, die für die Ostausgabe der Wochenzeitung nicht verstehen kann, warum "nur" der "junge Politikjournalist" Tom Strohschneider ND-Chefredakteur werden konnte (wäre ein junger Fleischmeister geeigneter gewesen?): "Vielleicht hat es etwas mit Loyalität zu tun. Ähnlich wie bei Katja Kipping hat es auch bei Tom Strohschneider nie einen kompletten Bruch mit dem Autoritarismus der DDR gegeben – als verriete man damit auch immer Freunde und Verwandte. Explizit will er im Neuen Deutschland so etwas wie 'Heimat-pflege' betreiben, die Sprache des Ostens retten; 'Kaufhalle' statt 'Supermarkt'. Hier sollen 'diejenigen eine Stimme bekommen, die sonst keine mehr haben'." Man versteht nicht so richtig, warum man die DDR nicht verkraftet haben soll, nur weil man seine eigene Biografie nicht bei den Vorstellungen von Mariam Lau zum Waschen und Bügeln abgeben will? Aber vielleicht hat das ja auch mit dieser merkwürdigen Konkurrenzsituation zu tun, dass die Zeit eine Ostausgabe macht, die einen ähnlich identitären Kern wie das ND beschwören muss, dabei aber ja nicht mit "Kommunismus" oder so ner Scheiße von früher in Verbindung gebracht werden will - Thomas Brussig versucht sich an dieser distanzierenden Identifikationsbewegung in seinem Text über die Super-Illu (deren Chef wird auch portraitiert), Wilfried Scharnagl erklärt derweil sicherheitshalber noch mal, dass das ND verschwinden müsste, damit endlich freiheitliche Demokratie sein kann. Zum Glück kriegen diese Texte nur die Zeit-Leser in Sachsen vorgesetzt. [Ich habe mit Strohschneider in dessen Zeit beim Freitag zusammengearbeitet, MD] +++

+++ Rosemarie Fendel ist gestorben, und so schön und kenntnisreich wie Dieter Bartetzko in der FAZ (Seite 39) wird wohl niemand anders über solch altbundesrepublikanische Figuren eines spezifischen Unterhaltungsfachs schreiben können: "Dass diese überschlanke Sphinx mit den schwarzen Rätselaugen, Pudellocken und goldrubin flirrenden Roben dieselbe war, die 1964 als patente, aber von Erotik gänzlich freie Redaktionssekretärin 'Fräulein Fuchs', genannt Füchslein, mit der Serie 'Nachtkurier' einen Stammplatz beim deutschen Fernsehpublikum erobert hatte, dass die personifizierte Wiener Dekadenz aus 'Trotta' dieselbe war, die als allzeit verständnisvolle, leicht distanzierte Gattin des 'Kommissars' Zuschauerrekorde erzielte, entging sogar gewieften Kritikern: Der 'Spiegel' sprach von einem 'Ensemble unbekannter Schauspieler', als er Schaafs Film widerwillig lobte." +++ In der SZ (Seite 12) ruft Christine Dössel nach ("Die Würdige"), im Tagesspiegel Nikolaus von Festenberg ("Die Vielseitige"), in der Berliner Torsten Wahl ("Hart und verletztlich"). +++ Wenn man sich noch einmal die erste Folge des "Kommissar" (ab 1:34) mit Fendel als Gattin anschaut, kann man ahnen, wie gebremst und schwierig ein Schauspielerinnenleben in dieser Zeit verlaufen musste, nur weil es weiblich war. +++

Der Altpapierkorb füllt sich Montag wieder.

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