Schlimmer als Wahlkampf

Schlimmer als Wahlkampf

Markus Söder schrieb Briefe an den ZDF-Intendanten, Tom Hanks macht sich über "Wetten, dass..?" lustig, und Casting – kein klassisches Samstagabendprogramm – wird uns noch peinlich sein

Es geht weiter in der sog. CSU-Medienaffäre (siehe Altpapier): Markus Söder habe, seinerzeit in seiner Funktion als CSU-Generalsekretär, "mehrfach schriftlich beim damaligen ZDF-Intendanten Markus Schächter" interveniert, berichtete Spiegel Online am Wochenende. Hervorgehoben wird besonders ein Brief:

"Söder beschwerte sich nach CSU-Angaben am 11. April 2006 schriftlich bei Schächter darüber, dass in der Berichterstattung über den Rücktritt des damaligen SPD-Vorsitzenden Matthias Platzeck die CSU nicht berücksichtigt worden sei. Mit einer 'gewissen Enttäuschung' habe er die Berichterstattung verfolgt. Söder kritisierte demnach, dass nicht einmal Zitate, die die CSU über das Landesstudio abgesetzt hätten, Eingang in die verschiedenen Sendungen gefunden hätten. Dies sei 'verwunderlich', da die CSU auch Regierungspartei sei: 'Ich bitte um Klärung.'"

Die SZ, die zuletzt über Anrufe im Namen Söders beim Bayerischen Rundfunk berichtet hatte (siehe Altpapier), kommentiert heute auf ihrer Meinungsseite, das sei "ebenso fair wie unverschämt" gewesen, denn:

"Söder hielt sich an den Dienstweg, woraus man ihm kaum einen Vorwurf machen kann. Andererseits diente die Sekundenzählerei ja nur einem Zweck: Der Mann teilte so mit, wie genau seine Partei das ZDF beobachtet. Und wer entscheidet in öffentlich-rechtlichen Sendern noch mal über Karrieren und Etats? Eben."

Während, etwa in der FAZ (S. 4), noch ein Söder-Sprecher zitiert wird, die Briefe an Schächter seien ein "üblicher Vorgang" gewesen, was einerseits wie eine Verteidigung aussieht, was andererseits aber auch als Bestätigung der Angemessenheit der Kritik lesbar ist, kommt die Angelegenheit nun also an jenen Punkt, an dem sie schon immer wieder mal war; zuletzt, als eine Gruppe von anonymen ZDF-Mitarbeitern sich im Januar bei Carta zu Wort meldete, um die Politiknähe von Journalisten zu kritisieren (woran Carta erinnert): Will man etwas ändern daran, dass Politiker sich in Berichterstattung einmischen, helfe – so schreiben Carta und Sebastian Esser in seinem Blog – nur, das Innenleben öffentlich zu machen. Wolfgang Michal/Carta:

"So lange es keine Empörung von Mitarbeitern gibt, die öffentlich bekennen: 'Ja, ich wurde von XY unter Druck gesetzt' (das kann auch der eigene Chef gewesen sein), so lange wird in den Anstalten alles beim Alten bleiben – es sei denn, unzufriedene Bürger nehmen die Sache selbst in die Hand: durch Abschalten, Gebührenboykott oder phantasievolle Aktionen gegen Filz und herrschende Programmpolitik."

Und Esser hat – er hat das Posting veröffentlicht, bevor die Söder-Anrufe beim ZDF publik gemacht wurden – einen ganz konkreten Vorschlag:

"Es würde eine halbe Stunde dauern, Sender-Blogs einzurichten, in denen die öffentlich-rechtlichen Redaktionen Anrufe, SMS oder E-Mails aus der Politik dokumentieren. Besonders bei den politischen Talkshows wäre das sehr interessant. ARD, ZDF, worauf wartet Ihr?"

####LINKS####

+++ Nächstes Thema: Da nimmt man sich kurz vor, "Wetten, dass..?" im Altpapierkorb zu vergraben, und dann sagt Tom Hanks über die Show, aufgenommen und verbreitet vom RBB-Radio 88,8,

"noch nie zuvor habe er sich gewünscht, dass etwas schneller vorbei gehe als der US-Wahlkampf".

Klassisches Aufregerzitat, schön hämisch. Am Sonntag landete es via / Agentur / in / diversen / Medien – überall in indirekter Rede, was dafür spricht, dass es im Wortlaut nicht bekannt ist. In der RBB-Hörfunkmediathek befindet sich das entsprechende File jedenfalls bislang nicht, was schon deshalb bedauerlich ist, weil der Satz eigentlich ja ziemlich holpert. Gemeint ist wohl: Hanks hat sich, während er auf der "Wetten, dass..?"-Couch saß, gewünscht, dass die Sendung bald vorbei sei. Mag man so originell gar nicht finden, aber entscheidend ist hier nicht nur, was Hanks sagt, sondern wer er ist – eine ernst genommene Größe im Unterhaltungsfernsehbereich; mit Constantin Seibt (Tagesanzeiger-Blog) könnte man sagen: eine Macht.

"Um die Qualität eines Interviews zu messen, genügt eine einfache Faustregel. Wie viel hat jemand zu sagen? a) im Machtsinn; b) an Inhalt. Die Relevanz ist das Produkt von beidem. Also: Relevanz = Macht × Inhalt."

Falls "Wetten, dass..?" von der kommenden Sendung an also deutlich weniger als vier Stunden dauert ("falls" im Sinn von "falls"), dürfte Hanks seinen Teil dazu beigetragen haben. Dazu ein weiteres (schriftlich nur indirekt vorliegendes) Zitate von Hanks: "Wenn in den USA einer eine Fernsehshow über vier Stunden laufen ließe, würde der Verantwortliche am nächsten Tag gefeuert." (Vergleiche hierzu auch das laut Bild eigene Bild-Zitat: "Wenn in Amerika eine Show drei Stunden läuft, werden die Verantwortlichen gefeuert.")

+++ Der Fernsehkulturrelativist freilich lässt sich von solcherlei Programmeinschätzungen nicht kirre machen, sondern weiß dank Thomas Gottschalk, dass in den USA zwar keine Fernsehshow über vier Stunden läuft, sieht man vielleicht mal von der Präsidentschaftswahl und der Academy-Award-Verleihung ab. Dass aber die Samstagabend-Kultur auch eine andere ist. Gottschalk, der neue Kolumnist der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, den Altpapier-Kollege Christian Bartels verdientermaßen als heißen Kandidaten für einen Journalismus-Bambi ausgemacht hat, schreibt diesmal in einer Antwort auf eine Leserfrage über das US-Fernsehen:

"Was Serien betrifft, spielen die in einer ganz eigenen Liga. (...) In der Unterhaltung fällt den Amerikanern derzeit, außer Castingformaten, allerdings auch nicht viel ein. Die große Samstagabendshow hat es hier nie gegeben."

+++ Casting. In diesen Tagen kann man den Eindruck gewinnen, dass Casting-Fernsehen seinen Machern auch irgendwann nochmal um die Ohren gehauen wird. Es schade nicht,

"sich mal zu überlegen, wie wir uns in zehn, zwanzig Jahren darüber schämen werden, was alte Männer heute so mit 14-jährigen Mädchen im Fernsehen anstellen",

schreibt Harald Staun in der "Die lieben Kollegen"-Rubrik der FAS und verweist auf eine österreichische "Informationsplattform für jugendliche Opfer der Castingshowindustrie mit dem etwas absurden Namen 'Castingshow Gewerkschaft'". Die ehemalige Altpapier-Autorin Katrin Schuster wundert sich derweil im vergangene Woche erschienenen Freitag (der auch zu meinen Auftraggebern gehört), dass Bernd Gäblers (auch an dieser Stelle nur kurz erwähnte) Studie "Hohle Idole – was Bohlen, Klum und Katzenberger so erfolgreich macht" so wenig beachtet werde – die Seite der Studie zählt mittlerweile elf Links inkl. Schusters Text.

"Die undurchsichtigen Regeln der Castingshows und deren Anpassungsdruck erinnerten an einen 'Staat der absolutistischen Willkür', schreibt er. Ach, wenn es nur das wäre! Denn nimmt man die permanente Überwachung, die fehlende Gewaltenteilung (die Legislative von GNTM ist die Judikative ist die Exekutive ist Heidi Klum), das Spitzeltum, die Demontage der bürgerlichen Freiheiten, die quasi-militaristischen Übungen und die Verunortung (auf den Malediven oder in der 'Modelvilla') hinzu, dann wären damit die Merkmale eines totalitären Regimes verblüffend exakt benannt."


ALTPAPIERKORB

+++ Über Vorschläge der Grünen zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks berichtet die SZ (S. 37): Vorgeschlagen wird demnach für Aufsichts- und Kontrollgremien unter anderem "eine Frauenquote von 50 Prozent". "Zudem sollen Programmentscheidungen und Personalbesetzung 'glasklar' frei von politischer Farbenlehre getroffen werden, heißt es" +++

+++ Bei der Zeit werde personell umgebaut, berichtete die SZ am Samstag; Meedia und etwa Zeit-Schwesterblatt Tagesspiegel folgten: Sabine Rückert steige in die Chefredaktion auf, Iris Radisch übernehme mit Adam Soboczynski das Feuilleton, das Hauptstadtbüro werde nun auch von Tina Hildebrandt (in Doppelspitze mit Marc Brost) geleitet. Laut Tagesspiegel ist damit eine Frauenquote von 30 Prozent erreicht +++

+++ Zu "Wetten, dass..?" gibt es zahlreiche Kritiken – alles andere wäre bei der zweiten Lanz-Sendung, die jene war, in der die Fehler der ersten korrigiert werden konnten, die also ein realistisches Bild vom "Wetten, dass..?" der Zukunft abzugeben versprach, auch seltsam. Man kann sie immerhin in einem Satz zusammenfassen: Die Meinungen über "Wetten, dass..?" gehen wie immer auseinander, die über Moderator Markus Lanz aber weniger: Er ist heute: Kellner statt Koch (Tagesspiegel), "Streber" (SpOn), kein Entertainer (Welt Online), Besitzer von Moderationskarten (FR online) und "Boulevardschranze" (Süddeutsche, S. 37) +++ Außerdem gibt es die Quoten und Berichte über Cindy aus Marzahn, die als Assistentin von Atze Schröder ersetzt wurde – die einen sagen, wegen Bandscheibenvorfall, die anderen, weil RTL, wo Marzahn am Samstagabend ausgestrahlt wurde, was dagegen gehabt habe; was sich ja bei genauerer Betrachtung nicht ausschließt; siehe etwa die "Wetten, dass..?"-Fachorgane BamS und Spiegel Online +++

+++ Der Spiegel meldet die ARD-Marktanteile für 2012 +++ Die SZ die Trennung der SPD-Zeitung Vorwärts von Chefredakteur Uwe Knüpfer +++

+++ Claus Kleber vom "heute journal" sprach in der Berliner Zeitung über den US-Wahlkampf +++ Im Spiegel-Interview und Bademantel: Matthew Weiner ("Mad Men") +++ Ebenfalls im Spiegel: Markus Brauck über Fernsehkonsum in der digitalen Gegenwart, die sich normaler anfühlt als damals, als sie noch Zukunft war: "Erstens mag ich mein Leben nicht mehr mit den Anfangszeiten irgendwelcher Sendungen synchronisieren. Zweitens ist das normale Fernsehen nur noch eine Option unter vielen" +++

+++ Und das Fernsehen, das normale: "Deckname Luna" (20.15 Uhr, ZDF) wird besprochen von taz, Tagesspiegel, SZ (mit Schwerpunkt auf Hauptdarstellerin Anna-Maria Mühe) und FAZ, die etwa schreibt: "'Deckname Luna' führt mitten hinein in die Zeit des Kalten Krieges, es geht um den Wettlauf der Systeme, der Film lässt sich aber auch, durchaus zum Wohl des Fernsehzuschauers, als Wettlauf der Sender und Produzenten auffassen. Der Aufwand, die Intelligenz des Drehbuchs von Christian Jeltsch und Monika Peetz sowie die Liebe zum Detail suchen den Vergleich mit dem anderen großen Zweiteiler der letzten Wochen, dem 'Turm'. Bis an die Zähne ist auch 'Deckname Luna' mit erstklassigen Schauspielern bewaffnet, wer hier einen Gefängniswärter gibt, den hat man andernorts schon in einer Hauptrolle gesehen" +++

Das Altpapier stapelt sich am Dienstag wieder.

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