Comedy und Schmuck

Comedy und Schmuck

Journalismus, wie wir ihn kannten, hat's schwer: Algorithmen und Kasino-Kapitalisten machen wenig Freude. Von solchen Sorgen kann die BBC im Sturm des Jimmy-Savile-Skandals nur träumen

Wenn Medienseiten tatsächlich – und mehr noch als die anderen Ressorts – nur für die anderen Journalisten da sind, dann ist das heut nicht unbedingt der Tag, an dem man gerne reinschaut.

Und damit meinen wir noch nicht mal den Horror, als den Nicole Sagener im Tagesspiegel einen Sat.1-Film mit dem reizenden Titel "Online – meine Tochter in Gefahr" beschreibt:

"Die Kamera setzt das zerstörerische Treiben des Täters in von dumpfer Musik unterlegten Szenen um, schiebt sich an den rücklings im Dämmerlicht Gezeigten heran, der immer wieder Antidepressiva einwirft."

Online, hat das am Ende was mit diesem Internet zu tun? Mit dem Internet und dem, was dahintersteckt, hat Stephan Nollers Riesentext in der FAZ (Seite 28) zu tun. Noller ist

"Internet-Unternehmer und vertritt als Vorsitzender des Policy Committee die Interessen der Europäischen Internetwirtschaft beim Branchen-Dachverband IAB Europe in Brüssel"

und fordert eine Algorithmen-Ethik. Medienkritisch bemerkenswert ist, dass für den Einstieg als Beispiel die gescheiterte Pro7Sat.1-Übernahme durch Springer taugt; hätte man nicht unbedingt gedacht, dass so ein Fakt mal was illlustrieren kann. Noller geht es um Pluralität, und die sieht er gefährdet durch die Personalisierung der Internetsuche. Dafür gibt es, noch mal, ein eher skurriles Beispiel – die wenig geliebten Pop-ups (die etwa beim Aufrufen der Seite faz.net uppoppen).

"Buchbar waren diese Pop-ups übrigens auch bei den Online-Angeboten zahlreicher deutscher Zeitungen, oft ohne das Wissen und gegen den Willen der Redaktionen. Sowohl Redakteure wie Online-Verantwortliche merkten das oft nicht einmal, da sie aus dem Prozess ausgeschlossen wurden: Die Systeme wurden einfach so eingestellt, dass Mitarbeiter der Zeitungshäuser an ihren IP-Adressen erkannt und von der Werbeauslieferung ausgenommen wurden. Angeblich wurden von einigen besonders kritischen Personen sogar die privaten IP-Adressen ermittelt, um auch dort für eine heile Welt zu sorgen."

Das Skurrile an dem Beispiel ist, dass den Redakteuren (man müsste die bei der FAZ mal fragen) eine solche Macht unterstellt wird (wenn die davon wüssten, sähe die Welt ganz anders aus). Wir dachten ja immer, dass in dieser krassen Marktwirtschaft da irgendein ein Geschäftsführer bescheiden würde, die Pop-ups finanzieren eure Arbeitsplätze und dass dann Ruhe wär im Karton (Printwerbung würde natürlicherweise doch auch kein Redakteur mögen, zumal die ihm den Platz wegnimmt).

Nollers Text – dass kein falscher Eindruck entsteht – ist in seinem Blick nach vorn durchaus interessant. Und auf das Springer-Beispiel vom Anfang kommt er am Ende zurück, wenn es um die Kanäle geht, die in Zukunft Informationen liefern werden:

"Wenn die Wettbewerbshüter heute darüber bestimmen können, ob zwei Medienunternehmen fusionieren dürfen: Können sie in Zukunft auch darüber bestimmen, wenn die beiden Unternehmen den gleichen Algorithmus zur Auslieferung ihrer Nachrichten im Internet nutzen?"

Wie man die digitalen Möglichkeiten für seine Zwecke nutzt, lässt sich an der neuen Geschäftsidee von Kim Schmitz-Dotcom ablesen, über die Sebastian Dörfler auf der FAZ-Medienseite informiert. Das geschlossene Megaupload ging so:

"Mehr als 180 Millionen registrierte Benutzer luden Files in die Rechnerwolke des Unternehmens, die dann von anderen Nutzern heruntergeladen werden konnten."

Und das geplante Mega so:

"Wobei es im Grunde zwei Änderungen gegenüber Megaupload gibt: Der neue Dienst soll alle geladenen Daten verschlüsseln und über eine dezentralere Serverstruktur verbreiten, so dass das Unternehmen selbst keinerlei Überblick über die getauschten Inhalte hat."

So geht es immer weiter. Diese Technik wird, schreibt Noller, immer mehr können:

"Allein aus dem Kaufverhalten von Konsumenten lassen sich verlässliche Indikatoren ableiten, um werdende Mütter an der Supermarktkasse zu erkennen und ihnen dann spezielle Angebote zu machen. Alles spricht dafür, dass derartige Verfahren in alle Lebensbereiche vordringen werden."

Sind sie schon, könnte der aufmerksame FAZ-Leser aufmerken. In der Rubrik Netzwirtschaft gibt der Unternehmer Jason Goldberg Einblick in das Datenwissen, von dem die Werbung für sein Designportal Fab.com ("das nächste Amazon/Ikea") ausgeht:

"Fab hat dabei nach Aussage von Goldberg Zusammenhänge entdeckt, die nicht unbedingt auf der Hand liegen. 'Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass Frauen, die bestimmte Comedy-Sendungen per ,Gefällt mir‘ markieren, eher dazu geneigt sind, Schmuck in der Preislage zwischen 50 und 100 Dollar zu kaufen.'"

Die Soziologie hätte an diesem Befund vermutlich etwas zu knabbern.

Wenig tröstlich für den Journalisten, der bei Noller schon lesen müsste, dass diese Algorithmen bereits Sport- und Finanzmarktberichterstattung übernehmen, muss sich Stephanie Rudolfs FAZ-Kritik (eine Medienseite ohne Werbung schafft Platz für sieben Texte) eines Arte-Films von Philippe Borrel lesen ("Welt ohne Menschen", 20.15 Uhr):

"'Human Enhancement' lautet das Stichwort: die Optimierung des Menschen durch den 'Einbau' von Technik. Ist die Maschine noch Werkzeug, die unseren Alltag erleichtert, oder schon Teil unserer Identität? Um das herauszufinden, widmet sich Borrel bionischen Prothesen, künstlicher Intelligenz und Molekularbiologie."

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Wer sagt, dass sei Zukunftsmusik, kommt wiederum an Paul Ingendaays Feuilletonaufmacher (Seite 25) nicht vorbei. Da geht es nämlich ausführlich und konkret um die Entlassungen bei "El Pais" – 149 Journalisten sollen Anfang November ihre Arbeit verlieren, und dass bis dahin noch etwas anderes verhandelt wird, ist angesichts der Gegner ("Kasino-Kapitalisten") eher unwahrscheinlich.

Die Erschütterung der Selbstwahrnehmung ist bei Ingendaay in einer Szene zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat treffend beschrieben:

"Bei der halbstündigen Begegnung fallen die üblichen Durchhalteformeln. 'So gut können wir nicht mehr leben', sagt Juan Luis Cebrián, von dem es heißt, er habe sich 2011 inklusive Bonuszahlungen dreizehn Millionen Euro Jahressalär gegönnt. Und natürlich fragen sich alle, die weniger verdienen als er: Wer ist 'wir'?"

Wer "wir" ist zu fragen, fiel bislang ins Ressort von marginalisierten Gruppen. Wenn dieser Kasino-Kapitalimus so weitermacht, wird Heiner Müller mit seinem legendären Diktum "Für alle reicht's nicht" nur noch rechter gehabt haben werden.

Im KSTA hat Martin Dahms ebenfalls über die Vorgänge bei Spaniens stolzester Tageszeitung geschrieben. Das Stichwort lautet: "Börsenspielsucht"

"'Eines Tages, in jedem x-beliebigen Unternehmen, werden die Gehälter der Arbeiter gekürzt, um die Börsenspielsucht ihrer Besitzer zu befriedigen', schrieb Enric González, einer der besten Autoren der Madrider Tageszeitung 'El País', vor dreieinhalb Jahren in einer Kolumne. Doch der Text erschien nie. Die Herausgeber fühlten sich angesprochen und zogen es vor, ihr Zensurrecht auszuüben. Am Freitag schrieb González einen neuen Text, dieses Mal nicht für 'El País', sondern für das Netzmagazin 'Jot Down'. Und dieses Mal nannte González einen Namen: Juan Luis Cebrián, Geschäftsführer des Verlagshauses Prisa, dem Herausgeber von 'El País'."

Ingendaay reflektiert ebenfalls darüber, dass die Kritik an der Geschäftsführung vom Prisa-Konzern (an den ja auch der "amerikanische Investor" Nicolas Berggruen Geld verdient hat) vor allem oder ausschließlich im Internet zu finden ist:

"Eine ironische Pointe des Dramas ist, dass vor allem das Internet, das als Bedrohung des Papierimperiums früherer Jahre gilt, die laufenden Ereignisse bei 'El País' furcht- und schonungslos analysiert. Internetforen und junge Netzzeitungen wie 'vozpópuli' scheinen die Einzigen zu sein, die den Gedanken an eine kritische Öffentlichkeit noch nicht auf den Müll geworfen haben. Wer etwas über die Massenentlassungen bei 'El País' lesen will, entdeckt im Printjournalismus nämlich kaum eine Spur."

Wohin das noch führt.


ALTPAPIERKORB

+++ Debatten, die hier in Printmedien wie der FAZ nicht geführt werden – Marcel Weiss schreibt via Carta über Jürgen Jürg Altweggs gestrigen Google-Diss in der FAZ (siehe Altpapier) und leitet aus dem drohenden Leistungsschutzrecht Fragen ab, die heute durchaus schon diskutiert werden können: "Warum gibt es in den Qualitätsmedien wie der FAZ keine Debatte über die Folgen des Standpunkts, Google solle zum Zahlen gezwungen werden? Soll nicht das Feuilleton der Platz sein, an dem die Intelligenz des Landes ihre Positionen herausarbeitet und intellektuell jede Konsequenz zu Ende denkt? ‘Was würde denn passieren, wenn unsere Forderung 'A' umgesetzt wird? Spielen wir das einmal durch.'" +++

+++ Die BBC hat andere Probleme. "John Simpson, der altgediente Auslandsreporter, spricht von der größten BBC-Krise seit fünfzig Jahren", schreibt Gina Thomas (auf dieser riesengroßen FAZ-Medienseite) als letzten Satz. Es geht um Jimmy Savile, den letztes Jahr verstorbenen BBC-Moderator ("Top of the Pops"), "der innerhalb von 40 Jahren womöglich bis zu 200 Frauen und Mädchen belästigt oder missbraucht habe, darunter viele Minderjährige", wie Christian Zaschke in der SZ berichtet. "Die beiden großen Fragen innerhalb der BBC sind nun: Erstens, wie kann es sein, dass jahrzehntelang niemand im Sender Saviles Taten bemerkt hat? Zweitens, warum wurde der Bericht im vergangenen Jahr nicht gesendet?" "Der Bericht" meint Recherchen der Sendung "Newsnight", deren Chef Peter Rippon zurückgetreten ist. George Entwistle, damals Leiter der Programmredaktion, seit kurzem BBC-Chef, muss sich heute vor einem Ausschuss verantworten. +++ FR und Tagesspiegel berichten ebenfalls. +++ Noch weit vom Skandal entfernt: Unabhängige Produzenten fordern von den Öffentlich-Rechtlichen einen Kodex für die Filmproduktion (SZ, FAZ, Seite 29). +++

+++ In der TAZ schreibt Heide Oestreich über die, wenn man es neutral mag, Neuausrichtung oder Weiterentwicklung des feministischen Blogs Maedchenmannschaft.net. Und ist wenig begeistert von Adressierung und Kommunikation: "Die Mannschaft spricht nicht mit der Presse. Stattdessen kommt eine Pressemitteilung, die schon weiß, dass hier von den Medien 'offenbar eine sensationstaugliche Konfliktsituation' generiert werden soll, dem man sich verweigert: 'Wir möchten unsere Zeit nicht für einen massenmedial ausgetragenen Streit verwenden.' Die Kommentarfunktion unter dem Text ist abgeschaltet. Es lebe die Avantgarde." +++ In der NZZ schlägt Rainer Stadler angesichts von Nacktbildern vor: "In den Kommentarspalten äussern Konsumenten manchmal Kritik an dieser Praxis. Doch das trägt ihnen gleich den Vorwurf des prüden Spielverderbers ein. Wer will das schon sein. Hier nützt Kritik nichts mehr. Man kann nur still den Kopf schütteln." +++

+++ Ebenfalls in der NZZ: Ein großer Text über die Erfolge und neue Wege der Erkenntnisvermittlung der amerikanischen Investigativer-Journalismus-Stiftung Pro Publica. +++ In der SZ (Seite 31) portraitiert Cornelius Pollmer den Fernsehmoderator Jan Böhmermann: "Oft zerschneidet er Gesprächsfäden und hantiert mit schmutzigem Besteck in offenen Wunden seiner Gäste. Das ist eine neue Farbe im Fernsehen, eine ziemlich grelle, ein anstrengender Kontrast. Als Zuschauer, sagt Böhmermann, finde er 'diese Unangreifbarkeit und diese Unnahbarkeit von sogenannten TV-Personalities nicht zeitgemäß. Ich will als Zuschauer keinen Fernsehmoderator haben, der mir allen Ernstes erzählt, dass er weiß, wie"s funktioniert.' Es sei selbst in seiner Sendung entlarvend, 'wenn Du so richtig gestandene Fernsehfuzzis da sitzen hast, die dir ohne mit der Wimper zu zucken die Unwahrheit ins Gesicht lügen. Für die es das Schlimmste ist, das Gesicht zu verlieren. Und ich finde es sehr reizvoll, nicht nur trotzdem, sondern deswegen zu bestehen, und gerade weil man das zulässt.'" +++ Der Tagesspiegel meldet den Rückgang der Zuschauerzahlen bei der Tagesschau. +++ Das Handelsblatt die Zunahme von Online-Werbung. +++

+++ Und Stefan Niggemeier hat sich die Mühe gemacht, eine Gema-Umfrage genau zu lesen. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder gegen 9 Uhr.

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