Ihr, wir, ich

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Was "Der Turm" mit dem Fernsehduell zur amerikanischen Präsidentschaft gemein hat: Alles nur ein Anlass. Was die drohende Insolvenz der Nachrichtenagentur dapd bedeutet. Und was aus Dirk Bachs Platz im "Dschungelcamp" wird

Der Margot-Käßmann-Preis für größtmögliche Weltversöhnung geht heute an Robert Ide. Der resümiert im Tagesspiegel ganz vorn, was euch, uns, ihm nach Abspann des zweiteiligen Fernsehfilm "Der Turm" geschehen ist.

"Die Gedanken des Zuschauers aber, unsere, meine, fliegen zurück in die gemeinsam geteilte Vergangenheit, die sich in die deutsche Gegenwart (die zuweilen noch deutsch-deutsch ist) eingraviert hat; in die gelebten Leben. Gefühle fühlen sich zu Hause, wo Heimat ist, in mir, in dir."

Wie Ide den Gedankenflug gemessen hat, wird euch, uns, mir leider nicht erklärt. Auch nicht, woher er von der Erfolgserklärung weiß:

"'Der Turm' ist ein Erfolg nach innen – weil er genau ist und von der inneren Zensur verschlungene Sätze mit zerwühlten Gefühlen vollendet."

Äh, genau. Der PR, den bekannten Schauspieler, dem zugrundeliegenden Bestseller oder der Programmierung können sich die Zuschauerzahlen unmöglich verdanken. Das Komische an dem Text ist, dass Ides Wollen, im dem Fernsehfilm etwas Nationalgroßes zu sehen, den Gegenstand derart übersteigt, dass es ihm selbst sogar auffällt:

"'Der Turm' zeigt, was ernst gemeintes Fernsehen leisten kann, was man Zuschauern an Facettenreichtum ruhig zutrauen darf. Damit wächst die filmische Aufbereitung trotz ihres hastigen zweiten Teils über die literarische Vorlage hinaus."

Mal abgesehen davon, dass man nicht wissen will, wie lange "zäh" für Ide dauert, wenn der zweiten "Turm"-Teil hastig war: Besser kann man das Eingeständnis seines Schwurbelns nicht zum Ausdruck bringen als in der nebenher geäußerten Kritik.

Man kann von den im Text zitierten Filmen "Good bye, Lenin" und "Das Leben der anderen" halten, was man will – schwer zu bestreiten ist, dass sie, indem was sie machen, eine bestimmte Position in der massenmedialen DDR-Geschichtsschreibung auf einen Begriff bringen. "Der Turm" in diese Reihe zu stellen, ist wagemutig – von "Die Frau vor der Prager Botschaft" spricht heute kein Mensch mehr. Und folglich wäre die Bedeutung des Films vermutlich besser beschrieben, wenn man ihn als offiziellen Feiertagsfestfilm für den 3. Oktober 2012 betrachtete. Beim nächsten Mal kann diese Rolle, schlägt Ide quasi selbst vor, dann eine Entkernung von Eugen Ruges Bestsellerpreisträgerbuch "In Zeiten abnehmenden Lichts" übernehmen.

Interessant ist es an dieser von euch, uns, mir ergriffenen Eloge der Begriff von Journalismus, der dahintersteht. Der fragt sich nicht nach seinen Zweifeln ("hastig"), zu denen er als vierte Gewalt doch verpflichtet wäre, sondern haut freiwillig auf die Pauke der Begleit-PR. Der Vorteil: Man muss nicht mehr auf die jubelnde Pressemeldung der Produzenten und Sender warten. Der Nachteil: unseriös.

Der eigentliche Film ist bei solcher Nationalgefühlpolitik nämlich wurscht, es reicht, dass man die außerkünstlerischen Values ins Feld führt, wie etwa die Absurdität einer ungemein wichtigen Besetzungsauthentizität:

"Dass die Hauptdarstellerin Claudia Michelsen wie ihr Filmpartner Liefers selbst in Dresden aufgewachsen ist, macht es ihr, uns, mir einfacher, authentisch und ehrlich zu sein."

Ehrlicher, in der Tat. Denn an solchen Sätzen kann man den Sinn ablesen, den eine Produktion wie "Der Turm" hat: dass es richtig ist, wie es ist, ganz unabhängig davon, wie der Film war.

[+++] Das führt in nach Amerika, wo in krasserer Form das Fernsehduell zwischen Barack Obama und Mitt Romney für solche Effekte sorgt. Wenn man Jordan Mejias in der FAZ (Seite 35) glauben darf, geht quasi gar nicht mehr um den Diskurs, das Gesagte (höchstens als One-Liner), sondern nur mehr um das drumherum:

"Im totalen Wahlkampf darf es keine Pause mehr für eine vernünftige Debatte geben. Das Gespräch, zu dem die Kandidaten zusammengeführt werden, ist nur ein Vorwand, um daraus Material für neue Angriffe und Verteidigungsstrategien zu gewinnen, gleichzeitig, vorher und nachher. Weit wichtiger jedenfalls als das Ereignis ist seine Verwertung."

Nicolas Richter wirkt in der SZ (Seite 9) so gesehen fast rührend, wenn er immerhin mehr als die Hälfte seines Textes darauf verwendet, Inhalt wiederzugeben:

"Der öffentliche Sender PBS etwa werde kein Geld mehr bekommen, kündigt Romney an, obwohl der die Sesamstraße produziert. 'Ich liebe Big Bird', bekennt Romney, den dicken gelben Vogel, der Generationen von Menschen an ihre Kindheit erinnert, aber Big Bird sei eben zu teuer. 'Sorry', sagt Romney zu Moderator Jim Lehrer, der ebenfalls von PBS bezahlt wird."

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Die TAZ kontrastiert vier Punkte aus Romneys Reden mit früheren Äußerungen. Und bemerkenswert ist auch das Auswertungsgespräch, das der DLF gestern morgen mit dem SPD-Politiker Gernot Erler führte. Der spricht nämlich so schön zögerlich und distanziert (und fast ein wenig froh, dass das da ist und nicht hier), dass man ihm anmerkt, wie fremd ihm der Highstyle amerikanischer Politikinszenierung ist – obwohl er doch mit Politikinszenierung vertraut sein müsste.

[+++] Was sonst beschäftigt, ist die dapd-Pleite. Peter Blechschmidt erkennt in der SZ (Seite 35) darin ein Symptom für die gesamte Branche, wenn er am Ende desillusioniert schreibt:

"Die Besitzer von dapd haben, wenn sie nicht ganz andere Motive verfolgt haben, diesen Markt wohl falsch eingeschätzt. Letztlich dreht sich alles ums Geld. Was in gewisser Weise auch eine Antwort auf die Frage ist, ob sich mit Journalismus auf lange Sicht noch Einkünfte erzielen lassen, ohne die saubere Recherche und fundierte Meinungen nicht zu bekommen sind."

Für die Berliner (Seite 26) ist Ralf Mielke in die dapd-Redaktion gegangen, um von wenig tröstliche Geschichten zu hören:

"Etliche Redakteure – und das ist es, was die drohende Insolvenz zu einer Tragödie mit skandalösen Zügen macht – arbeiten erst seit kurzer Zeit für die Nachrichtenagentur, manche hatten am 1. Oktober ihren ersten Arbeitstag. Die dapd hatte sie teils aus Festanstellungen bei der Konkurrenz, dpa und sid zum Beispiel, abgeworben."

Was die Investitionspolitik tatsächlich dubios erscheinen lässt. Sonja Pohlmann liefert im Tagesspiegel einen Hinweis, der den plötzlichen Rückzug der Investoren erklären könnte:

"So sind Löw und Vorderwülbecke mit ihrer Firma Blue-O an der Modekette Adler beteiligt, die im ersten Halbjahr einen Nettoverlust von 7,1 Millionen Euro verzeichnen musste. Schon im 'Euro'-Interview hatte Löw gesagt, dass es für die Modemärkte schlechter als erwartet laufe. Hatten die Investoren schlichtweg keine Lust auf zwei kriselnde Geschäfte?"

Ob die Schuldzuweisungen ans ZDF, die etwa auch meedia.de meldet, die Chancen erhöhen, bis Ende November einen neuen Geldgeber zu finden, bleibt offen.


ALTPAPIERKORB

+++ Nach Dirk Bachs Tod beschäftigt nun die Frage, was aus dem Dschungelcamp wird. Originell ist der Hinweis auf Ersatz von Tagesspiegel-Leser uwemohrmann unter dem Text: "ich wüsste einen, GOTTSCHALK." +++ Ernsthaft, so weit man das auf Grundlage von Bild-Berichten sagen kann (wobei Springers heißes Blatt in Sachen Dschungelcamp der PR-Kanal von RTL ist), würden angeblich Ralph Morgenstern und Hape Kerkeling als Mann der Seite von Sonja Zietlow gehandelt. Der Name des Letzteren lässt nun doch wieder an den Informationen zweifeln (beziehungsweise das Ganze als das Spiel erscheinen, dass es natürlich auch ist), David Denk tut Kerkeling in der TAZ noch recht milde als "unrealistisch" ab. Und weiß auch, wieso das Nächstliegende, nämlich die Show abzusetzen, die so sehr von Bach in der Kombination mit Zietlow gelebt hat, nicht eintreten können wird: "Hinter den Kulissen ist aber wohl längst klar: The show must go on. Das ist weniger unmoralisch als vielmehr das Eingeständnis einer kreativen Notlage: RTL braucht das Schauhausen von C-Promis im australischen Busch, weil es verlässlich Quote bringt. Ohne das Dschungelcamp stünde RTL ein harter Winter bevor." Angeblich auch im Gespräch: Hella von Sinnen und Daniel Hartwich beziehungsweise Micky Beisenherz und Cindy aus Marzahn. +++ Über Unersetzbarkeit wird auch der Auftritt von Markus Lanz bei "Wetten, dass..?" handeln. Katharina Riehl geht in Zeitpunkt bedingt recht wohlwollenden SZ-Seite-4-Portrait des Moderators ("Es täuscht oft darüber hinweg, dass Lanz alles andere als ein Leichtgewicht ist, auch wenn er viele Jahre bei RTL die gruselige Boulevardsendung 'Explosiv' moderierte. In seinem ZDF-Talk kann er zuweilen ziemlich hartnäckig nachfragen und Menschen auch aus der Tarnung locken") gar so weit, Lanz für möglicherweise unersetzbar zu halten: "Er weiß, dass es ihm glücken muss, die Sendung als quotenstarke Marke für das ZDF zu erhalten. Lanz würde dann der nächste Unersetzbare." +++ Immerhin ist auch der altersstrenge Dieter-Thomas Heck nicht ganz so streng, wie dwdl.de aus einem GQ-Interview exzerpiert: "Die Moderatoren sind heute gleichförmig. Ich bin entsetzt, wie wenig Einfallsreichtum vorhanden ist', sagte Heck in einem Interview mit dem Männermagazin 'GQ'. 'Wenn ich zwei Ausnahmen nennen müsste, dann wären das Markus Lanz und Jörg Pilawa.'" +++

+++ Über das Internet auf Kuba informiert Knut Henkel in der TAZ. +++ Die Berliner über das Ranking der Twitter-Prominenten. +++ In der FAZ gibt es eine kleine Meldung, dass auch bei Haaretz entlassen werden soll, zuletzt war erst die Übernahme und Neuausrichtung der israelischen Tageszeitung Maariv vermeldet worden. +++ David Denk ist für die TAZ aus Anlass der 100. Sendung "Durch die Nacht mit..." durch die Nacht gezogen mit "Durch die Nacht mit..."-Machern. +++

+++ Nicolas Weisensel hat in der TAZ dubioser Werbung in der SZ nachgeforscht. +++ Thomas Tuma hält im Spiegel-Blog in fast bewunderswerter Weise die Mitte zwischen Kritik und Sinn der Interview-Autorisierung: "Lasst das kleinliche Gejammer, liebe Kollegen! Belästigt eure Kunden nicht mit euren Job-Malaisen! Kommt in der Jetztzeit an, in der jeder veröffentlichte Halbsatz eben auch börsenrelevant oder juristisch riskant werden kann! Und wenn ihr etwas partout nicht in Anführungsstrichen schreiben dürft, dann lasst sie eben weg!" +++ Joachim Huber diskutiert Details aus der neuen GEZ-Gebührenordnung im Tagesspiegel. +++ Christian Humborg fragt sich auf Carta, ob der Bundestagspräsident Markus Beckedahl verklagen wird, weil sich Netzpolitik entschieden hat, weil dort ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zum Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung veröffentlicht wurde, dessen Veröffentlichung aus urheberrechtlichen Gründen untersagt worden war. +++ Und Juliane Wiedemer beklagt, dass der 1. Ostdeutsche Journalistentag Ausschluss betreibe. Unklar ist nur in welcher Richtung - mit Blick aufs Programm würde man eher auf geographisch als politisch schließen. +++

Neues Altpapier gibt's Montag wieder.

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