Nicht nicht verbieten

Nicht nicht verbieten

Springer läuft: Kaffeesatzlesen in den Meldungen über den Zeitplan bei der Tagesschau-App-Klage-Entscheidung. Und die offene Frage, ob der Herbst des Rupert Murdoch ein goldener wird

Schwer beeindruckt von den Angaben über diesem Handelsblatt-Artikel:

"19.07.2012, 22:44 Uhr, aktualisiert heute, 04:06 Uhr"

Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll – dass da um 22.44 Uhr noch etwas arbeitet oder um 4.06 Uhr schon wieder. Oder lautet die Antwort: immer noch. Am spannendsten ist aber die Frage, was da eigentlich arbeitet. Schon eine Maschine oder noch ein Mensch?

Zweiteres scheint wahrscheinlich zu sein. Bei dem Text über Googles Zweitquartalsbilanz handelt es es sich vermutlich um einen Agenturbeitrag (Quelle: nicht gefunden) – der so ähnlich auch bei der FTD steht. Redaktionelle Arbeit begrenzt sich also auf Überschrift. Die geht bei der FTD so:

"Werbemarkt beschert Google Milliarden"

Im Handelsblatt aber so:

"Google saugt Milliarden aus Werbemarkt"

Äh, so kann man das natürlich auch sehen. Wird dieses Beispiel Schule machen in der Bilanzberichterstattung ("VW saugt..")? Man darf gespannt sein.

[+++] Das beliebte Spiel Finde-feine-Unterschiede verspricht dem medialen Heavyuser heute vormittag einige Beschäftigung. In Sachen "Tagesschau-App" vs. "die Verlage" spricht das zuständige Gericht. Vorweg das Sachliche: Richter Dieter Kehl wird namentlich und überall mit dem schönen Satz zitiert:

"Ein Gericht kann keine generellen Aussagen zur Medienpolitik machen. Das geht uns nichts an. Wir werden die Tagesschau-App nicht verbieten oder nicht nicht verbieten."

Also erging die Aufforderung an beide Parteien, sich bis Ende August außergerichtlich zu einigen. Andernfalls würde das Gericht am 27. September ein Urteil fällen, an dessen Sinn es selbst nicht glaubt. Der Countdown läuft also. Und bei den Feinheiten in den Darstellungen, mit denen sich die Verlage für die Zeit bis Ende August sich und ihre Leser warmmachen, ist es etwa ganz aufschlussreich, nach der Auskunft über die eigene Verwicklung zu suchen.

Für die FAZ macht Jan Hauser im Medienblog die Sache souverän, in dem er schon im zweiten Satz durch Klammereinschub nichts verschweigt.

"Der Streit um die Expansion der öffentlich-rechtlichen Sender im Internet ist noch lange nicht vorbei. Das Landgericht Köln rät den Verlagen und Sendern weiter zu einer gütlichen Einigung, mit dem die Klage von acht Zeitungsverlagen (darunter der Verlag dieser Zeitung) gegen die 'Tagesschau'-App, einer Anwendung für Smartphones und Tabletcomputer, enden könnte. "

Für die SZ (Seite 31) löst Hans Hoff die knifflige Situation ebenfalls im zweiten Satz durch nüchternen Einschub:

"Das Gericht wies in einer Verhandlung am Donnerstag darauf hin, dass ein Urteil möglicherweise beide Parteien, also sowohl die acht klagenden Verlage, zu denen der Süddeutsche Verlag gehört, als auch die beklagte ARD, unzufrieden hinterlassen könnte."

Bei DuMonts Berlin-Frankfurter steht der Text kraft seiner Wichtigkeit als einziger aus dem Zeitungsprogramm des Tages schon online. Nach der Auskunft über die Beteiligung des Verlags an der Klage muss man allerdings etwas suchen. Erst im vierten Absatz bei der Rekapitualition der Ereignisse schreibt Ulrike Simon:

"Im Juni vorigen Jahres reichten acht große Zeitungsverlage, darunter der Eigentümer dieser Zeitung, Klage gegen die 'Tagesschau'-App ein."

Kann man schon machen, den Leser interessiert naturgemäß erstmal das Relevante an der Meldung, wobei man sich bei solchen Gegenständen fragt, wie relevant das alles für den Leser ist, und die Berichterstattung über etwas, gegen das die berichterstattende Zeitung klagt, es immer schwerer hat, unbefangen und irrelevant zu wirken.

Die TAZ ist fein raus, weil sie nicht mitklagt. Pascal Beucker kann also befreit aufspielen und über die Kläger schreiben:

"Sie betrachten die gebührenfinanzierte Anwendung als unzulässige Konkurrenz zu ihrem Onlineangebot, da es zu presseähnlich und nicht sendungsbezogen sei. Allerdings widersprach das Gericht ihrer Auffassung, alles, was die Verleger anböten, müsse den öffentlich-rechtlichen Sendern verboten sein."

Das ist ein Aspekt der Richterrede, der im FAZ-Blog zum Beispiel etwas kurz kommt. Dort wird der Hinweis an die Sender eher gefeatured, den Beucker so zusammenfasst:

"Allerdings lägen auch die Intendanten falsch, wenn sie meinten, 'Texte können wir schreiben, so viel wir wollen, wenn irgendwo eine Verlinkung auf audiovisuelle Beiträge da ist', sagte Richter Kehl. Eindeutigere Sendungsbezüge in der 'Tageeschau'-App würde er vielmehr 'sehr begrüßen'."

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[+++] Die Unterscheidung zwischen Presse und Fernsehen ist Rupert Murdoch so klar, dass das ab kommenden Jahr auch wirtschaftsrechtlich Ausdruck findet in der Organisation seines Reiches. Steffen Grimberg schreibt in einem großen Text in der Funkkorrespondenz, der die Folgen des Phone-Hacking-Skandals Paroli passieren lässt:

"2013 soll die News Corporation in zwei Reiche aufgeteilt werden: Der Zeitungsbereich – allen voran der am meisten vom Hacking-Skandal betroffene britische Zweig News International – werden dann zusammen mit dem Buchverlag Harper Collins und dem nicht gerade besonders erfolgreichen Firmenteil Bildung als eigenes Unternehmen geführt. Die sonstigen Medien- und Entertainment-Aktivitäten von Murdoch in der ganzen Welt, darunter fallen auch die Fernsehsender von Fox in den USA bis hin zum Abosender Sky Deutschland, werden in einer zweiten Holding gebündelt."

Was das mit der Unbill für Murdoch zu tun hat, die in England etwa die Leveson-Kommission verbreitet, führt Grimberg am Ende aus. Das Ende des 81-jährigen Patriarchen scheint zwar angefangen zu haben, aber vielleicht erweist er sich auch noch mal als der große Trickser, der er immer war:

"Einige rufen zwar endgültig den Herbst des großen Medienmoguls aus. Andere sehen dagegen hier den alten Haudegen am Werk, der seinen Konkurrenten immer einen entscheidenden Schritt voraus war. So bedeute der künftig zweigeteilte Konzern keine Niederlage, sondern sei ein kluger Schachzug, um das unter Druck stehende Verlagsgeschäft ohne Auswirkungen auf die profitableren, zukunftsorientierten Geschäftsfelder dereinst still beerdigen zu können."

Was auch den Vorteil hätte, die durch das aufgeflogene Phone Hacking ausgesetzte vollständige Übernahme von BSkyB voranzutreiben.


ALTPAPIERKORB

+++ Medienmacht international, Teil 2: Dirk Schümer begrüßt in der FAZ (Seite 33) zwar die Bestellung der Bankerin Anna Maria Tarantola als letzte Chance, den heruntergewirtschafteten italienischen Staatssender RAI aus seinem korrupten Geflecht zu befreien. Dämpft aber zugleich die Erwartungen: "Die Neubesetzung des Aufsichtsgremiums im Senat, der „Commissione di Vigilanza“, bewies quasi gleichzeitig mit der Benennung Tarantolas, dass die alten Missbräuche munter fortbestehen. Zwar durften Bewerber öffentlich und übers Internet ihre Kandidatur an den fast neunzigjährigen Vigilanza-Vorsitzenden Sergio Zavoli schicken, doch nur die Vertrauten, Verwandten und Padroni des politischen Establishments kamen in die engere Wahl." +++

+++ Werbekampagnen für hiesige Zeitungen diskutiert Nico Schmidt im TSP: FAZ jefällt mer, Spiegel jefällt mer nich. +++ Niklas Hofmann unternimmt in der SZ (Seite 31) eine tour d'horizon in Sachen Social TV: "Im Netz kann bewertet und gevotet werden, Zuschauer können im Social Web längst Sendungswiederholungen und exklusive Zusatzinhalte sehen, und sie können mit den Sendern über direkte Feedback-Kanäle interagieren. Was die Menschen online im Einzelnen machen, ist zweitrangig. Es geht um die Verwandlung der Zuschauerschaft in Nutzer-Communitys - und die Hoffnung der Sender, diese eng an sich zu binden." +++ Jan Freitag portraitiert in der Berliner (seite 26) Klaas Heufer-Umlauf mit der verdienstvollen Erwähnung der Biathlethin Simone Greiner-Petter-Memm. Irritierend ist nur, dass man als medialer Heavyuser nicht gewohnt ist, sich "KHU" (Freitag) als Einzelwesen vorzustellen und deshalb dauernd überrascht ist, was der alleine alles kann: "Dieser Mann mit den Haaren von George Clooney, den Manieren von Oliver Pocher und dem Talent von Thomas Gottschalk, er kann scheinbar alles." 'Scheinbar' ist nach so einem Lob fast ein wenig böse. +++

+++ Die FAZ unterrichtet über Gesichtserkennungsfeinheiten bei Youtube und/aka Google (Seite 33). +++ Und Jochen Hieber bespricht dort zum zweiten Mal in einer Woche eine München-1972-Terror-Doku – so viel zu den Anforderungen an einen Medienredakteur, der nicht Urlaub hat in diesen Tagen. +++ TAZ, sehr ärgerlich: Jens Müller schreibt die Rezension der Komödie "Kebab mit alles" (Arte, 21.50 Uhr) mit seinen Projektionen voll: "Ein etwas zu vorsichtiger Multikulti-Film" - was immer das für ein Genre sein soll oder wie unvorsichtig all die nicht Multi-Kulti-Filme sonst auch sind. Auch sehr schön: "Viele Österreicher haben ein verblüffend unverkrampftes Verhältnis zum eigenen Chauvinismus. Das irritiert uns Deutsche." Uns Deutsche irritiert vor allem die super Überschrift, die nirgendwo erklärt wird: "Politscher korrekter Kleinkrieg". Handelsblatt von 22.44 bis 4.06 würde sagen: Journalist saugt Sinn aus Fernsehkritik. +++

+++ TAZ, sehr lustig: Die hauseigene Spendenaktion für den Rücktritt von FIFA-Blatter durch Bestechung wächst rasant: "Das Spendenvolumen wuchs somit binnen eines Tages um 1.000 Prozent." +++ Solche Sprünge macht sonst nur die Auflage der Zeit, wie Stefan Niggemeier amüsiert feststellt. +++

+++ Niggemeier dokumentiert auch, welche üblen Reflexe das Urteil des Bundesverfassungsgericht zu den fast 20 Jahre nicht erhöhten Sozialleistungen für Asylbewerber bei Springers heißer Website hervorruft. +++ Wie verbreitet Blödheit in Sachen Menschenwürde und Asyl ist, kann man allerdings auch in Kommentaren auf der gesitteten Website Carta nachlesen, wo der Filmemacher Christian Stahl das Urteil zum Anlass des Nachdenkens genommen hat. +++ 

+++ In der FAZ (Seite 31) antwortet Frank Lübberding auf Don Rainers Dig-Bohème-Schelte (AP von vorgestern). +++ Und in der TAZ von gestern: Der Kampf der Orchesterretter (gegen die Zusammenlegung der SWR-Sinfonieorchester) ist auch einer gegen die Zeit. +++ Christian Meier stellt auf Meedia.de die Zeitschrift Infographics vor. +++

Neues Altpapier gibt es Montag wieder.

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