Zahlen zum Ausmalen

Zahlen zum Ausmalen

Das müssen Sie sich mal vorstellen: 500.000 Euro, 1000 Milliarden Gigabyte, 41 Prozent. Und Sachverhalte, die sich nicht in Zahlen auflösen lassen.

Neues Feature in der Medienkolumne Ihres Herzens: knallharte Facts statt weitschweifiger Erklärungen. Soll heißen: unbestechliche Zahlen.

Ganz fresh: 500.000 Euro hat die SZ-Journalistin Meike Winnermuth gestern abend bei "Wer wird Millionär?" gewonnen. Das qualifiziert sie schon jetzt für das Editorial zu dem upcoming Standardwerk: Weichert/Kramp (Hg.): "Die Survival-Journalisten. Deutschlands neue Journalismuskrisenbewältiger im Portrait", das voraussichtlich im Herbst 2011 erscheint.

Demnächst womöglich eine Frage bei Günther Jauch: Wieviel Prozent der europäischen Internetznutzer unterhalten ein Profil in einem sozialen Netzwerk? 41 Prozent, teilt der unermüdliche FAZ-Netzökonom Holger Schmidt mit (Seite 19).

Ganz interessant am Text ist auch (er erscheint auf den Wirtschaftsseiten):

"Mit Hilfe biometrischer Verfahren und einer Analyse der Augenbewegungen haben die Forscher zudem herausgefunden, dass die Menschen, die eine Nachricht als persönliche Empfehlung aus ihrem sozialen Netzwerk erhalten haben, sich mit einer 19 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit an die darin genannte Marke erinnern können und diese Marke mit einer 27 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit auch gut finden."

Dann gehören die Zeiten, in denen Konsumtester am Montag bei Fernsehzuschauern anrufen, um zu erfahren, an welche Marken aus den Sportschau-Werbeblöcken sie sich erinnern, und diese Fernsehzuschauer dann "Marlboro" sagen, hoffentlich bald der Vergangenheit an.

Die Kehrseite dieser Datenerfassung: Man kriegt sie nicht mehr los. Chanchal Biwas hat sich in der Sonntagsausgabe der NZZ der Unmöglichkeit des Vergessens in our days gewidmet.

"Der Technologiekonzern IBM schätzt, dass jeden Tag weltweit 15 Millionen Gigabyte (eine Festplatte für den Hausgebrauch umfasst 1000 Gigabyte) an neuen Informationen generiert werden."

Noch krasser unvorstellbar:

"Bis Ende 2010 soll der globale Datenberg auf 1000 Milliarden Gigabyte wachsen."

Da sich kein Mensch davon ein Bild machen kann, hat Biwas das Datenmaterial kurzerhand in analoge Metaphern umgerechnet:

"Die darin enthaltene Information entspreche einem Bücherstapel von der Sonne bis zum Pluto und zurück, haben Forscher berechnet. Das wären über 10 Milliarden Kilometer."

Davon kann sich vermutlich auch kein Mensch (ein paar Astronauten abgerechnet) ein Bild machen. Es ist, in jedem Fall, sehr, sehr viel. Womit wir bei den vageren Mengenangaben wären, die uns knallharte Facts-Checker naturgemäß nur vage zufrieden stellen.

Im Fall der beiden in Iran inhaftierten deutschen Journalisten, die ein Interview mit dem Sohn der zum Tod durch Steinigung verurteilten Sakineh Mohammdi-Aschtiani machen wollten und die angeblich für die "Bild"-Zeitung arbeiten sollen, erklärt der Springer-Verlag der Süddeutschen Zeitung:

"Der Axel-Springer-Verlag, in dem die Bild-Zeitung erscheint, kann das nicht bestätigen. 'Von einer Verhaftung von Mitarbeitern unseres Verlages ist uns nicht bekannt', sagt Pressesprecher Tobias Fröhlich auf Anfrage. Auch ob Reporter der Bild-Zeitung in Iran unterwegs seien, will er nicht bestätigen. 'Wir haben weltweit zahlreiche Mitarbeiter im Einsatz', sagt er."

Vermutlich hat Springer aber nicht so viele Journalisten weltweit im Einsatz hat, dass der Verlag tatsächlich den Überblick verliert, sondern dass es sich hierbei um Diplomatie in einer heiklen Angelegenheit handelt. Dass Springer davon hätte wissen können, deutet ein Leser-Kommentar unter dem FAZ-Bericht zum Thema an:

"Wenn die Bild-'Zeitung' den iranischen Präsidenten penetrant als 'Irren von Teheran' beleidigt, muß sie solche Reaktionen der iranischen Justiz wohl hinnehmen."

Hinnehmen ist das falsche Wort. Aber ahnen hätte sie es wohl können, wenn sie den Unsinn, den sie schreibt, tatsächlich so meinen würde. Dass es in dieser Hinsicht offenbar eine Diskrepanz gibt, legen Cigdem Akyol und Steffen Grimberg in der TAZ dar. "Bild" hatte über den "1. Mietvertrag mit Islam-Klausel", nun ja, berichtet:

"Doch wie passt diese 'Fiese Mullahs wollen uns Currywurst und Schultheiss wegnehmen'-Berichterstattung überhaupt in das Integrationsblatt Bild? ... wo Ex-Hürriyet-Chefredakteur Ertugrul Özkök seit Kurzem selbst eine Kolumne hat, die allerdings in der Tat in Ordnung geht: 'Allah schütze Deutschland' war sein erster Text am Freitag überschrieben, schließlich glauben 'beide Religionen', Christen wie der Islam, 'an denselben Gott'. Da wüsste man gern, was die christliche-jüdische Leitkultur davon hält oder der gestern in Bild zitierte Sprecher des Erzbistums Berlin auf gut Katholisch dazu meint. Aber den führt Bild lieber auf altperfide Weise vor und lässt ihn zur mietrechtlichen 'Islam-Klausel' Unsinn über 'wenn die Strafe für Ladendiebstahl Handabschlagen wäre' mutmaßen."

Fürs Unsinn-Mutmaßen hat Bild seit kurzem ja eine neue Fachkraft, dessen Kommentar zur Angelegenheit die TAZ schon entgegenfiebert: Professor Ernst Elitz, dem einstigen ZDF-Mann und Deutschlandradio-Intendant, dem, wie Stefan Niggemeier ja bereits letzte Woche detailliert ausführte, "Ausrufezeichen gegen Muslime".

"Seine 'Bild'-Kommentare tragen Überschriften wie 'Helfen statt jammern!', 'Setzen, Sechs!', 'Sperren UND löschen!', '4 deutsche Soldaten tot! Rückzug wäre Flucht!', 'Aufschwung!', 'Vom Fußball lernen!', 'Schützt die Opfer, nicht die Verbrecher!', 'Nicht am Sessel kleben!', 'Abregen, anpacken!', 'Mit Sarrazin fliegt die Wahrheit raus!' und 'Schäbig, Herr Sarkozy!'"

[listbox:title=Die Artikel des Tages[Bild liest Mietverträge (TAZ)##Deutsche Journalisten in Iran inhaftiert (SZ)##Das Drama der Alice Schwarzer(Berliner)##Gerichtszeichner im Portrait (TSP)##]]

Die Frage, warum ein Mensch von Elitzens Reputation, statt schlichtweg alles in "Bild" wegzukommentieren, nicht einfach seinen Ruhestand genießen und wie jeder halbwegs vernünftige Wohlstandsrentner den Garten pflegen, Forschungen zur mittelalterlichen Mystik betreiben oder Patienten im Krankenhaus vorlesen kann, stellen wir nicht.

Aber an einer App, die automatisch Elitzens Ausrufezeichen zählt und sie dem weltweiten Datenberg beim Wachsen zwischen Sonne und Pluto (unser Bild) hinzufügen würde – an der melden wir aber schon einmal Interesse an.

Würde hier sofort als Zahl des Tages vermeldet.


Altpapierkorb

+++ Dass diese App im neuen Betriebssystem Windows Phone 7 Platz finden könnte, gilt nicht als gesichert. Denn die Zeichen stehen auf Restriktion, wie Axel Postinett für das Handelsblatt in einem Gespräch mit einem Microsoft-Sprecher erfahren hat: "Wir hatten 40 verschiedene Hersteller, über 50 verschiedene Designs und 115 Mobilfunkbetreiber. Die gesamte Produktlandschaft war zum Schluss fragmentiert und Apps (Zusatzsoftware) liefen nicht mehr auf allen Geräten. Darum machen wir jetzt Vorgaben, um eine einheitliche Plattform zu gewährleisten." +++ In den Texten zum Launch, den wie in solchen Fällen üblich der Chef persönlich vorgenommen hat, steht Mircosoft mit dem Rücken zur Wand: "Mircosoft zieht in die letzte Schlacht", lautete etwa die Schlagzeile in der FTD, die auch noch eine Zahl für uns bereithält: "Die Analysten erwarten, dass der Marktanteil von Windows Phone weiter sinken und das System zum Jahr 2014 mit 3,9 Prozent weiter auf den hintersten Plätzen rangieren wird." +++ Im Tagesspiegel weiß wiederum Axel Postinett: "Ein Scheitern hätte fatale Folgen, es könnte nach Meinung von Beobachtern sogar das Ende für Steve Ballmer als Chef bedeuten." +++

+++ Hat auch Jörg Pilawa Angst vor dem Scheitern mit seiner neuen Show "Rette die Million", der ersten beim neuen Arbeitgeber ZDF? "'So einen Druck gab es im deutschen Fernsehen noch nie', sagt Pilawa", hat Anne Burgmer für den KSTA in Erfahrung gebracht. +++ Weiß Pilawa wovon er spricht, wenn er Druck sagt? Peter Burghardt berichtet für die SZ über das "bizarrste Mediencenter der Welt", es steht in Chile, wo nach den eingeschlossenen Bergleuten gebohrt wird. +++ Eine Nachricht? Sky will das Bezahlfernsehen in die Gewinnzone überführen (SZ). +++ Im Tagesspiegel widmet sich Sonja Pohlmann, der Kachelmann-Prozess legt's nahe, einem seltener beschriebenen Phänomen: der Arbeit des Gerichtszeichners. +++

+++ Apropos Kachelmann-Prozess: Ulrike Simon erzählt in der Berliner das Drama der Alice Schwarzer, die für Bild die Prozessbeobachterin gibt (und dort übrigens anders reportiert als in ihrem Blog, wie der Freitag bereits bemerkt hatte): Wie weit sich Schwarzer dabei von dem entfernt hat, wofür sie einstmals gestanden hat, zeigt die Antwort auf eine Gesprächsanfrage: "Sie sei 'zurzeit unterwegs und wird auch darum Ihre Fragen nicht beantworten können', lässt sie ausrichten. Man möge sich mit einer Antwort begnügen, die sie einem anderen Fragesteller geschickt hat. Diese beginnt so: 'Es überrascht mich positiv, dass Sie recherchieren. Ich war bisher davon ausgegangen, dass Sie eh schon alles (besser) wissen.'" Bezeichnend ist die Leberwursthaftigkeit, mit der sie das Interesse an Objektivität honoriert, dem sie sich zugleich nicht stellt. +++ Welt-Online informiert über den produktionskritischen Vorspann, den der Künstler Banksy für die Simpsons designt hat. +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder ab 9 Uhr.
 

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