Warum Wilhelm nicht Intendant werden sollte

Warum Wilhelm nicht Intendant werden sollte
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss staatsfern sein, darum darf ein Regierungssprecher nicht nahtlos in das Amt eines Intendanten wechseln, fordert Diemut Roether. Ein Kommentar.
05.05.2010
Von Diemut Roether

In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" war von einer "skandalösen Berufung" die Rede. Als der französische Präsident Nicolas Sarkozy vor zwei Jahren die Frau des französischen Außenministers Bernard Kouchner, Christine Ockrent, zur Geschäftsführerin des französischen Auslandssenders France 24 machte, waren die deutschen Medien empört: "Deutlicher könnte die Verquickung von politischen und medialen Interessen nicht zum Ausdruck kommen", schrieb die "Frankfurter Rundschau". Dabei hatte Madame Ockrent selbst nie ein Amt in der französischen Regierung inne. Sie ist nicht einmal Parteimitglied. Sie ist vielmehr eine der profiliertesten politischen Journalistinnen Frankreichs. Seit den 60ern im journalistischen Geschäft, arbeitete sie zunächst für die berühmte CBS-Sendung "60 minutes" und moderierte später unter anderem die französische "Tagesschau", das "Journal de 20 heures" bei France 2.

Jetzt soll in Deutschland der Regierungssprecher Ulrich Wilhelm Intendant des Bayerischen Rundfunks – mit einem Etat von einer knappen Milliarde Euro immerhin viertgrößter Sender im ARD-Verbund - werden. Doch die Zeitungen finden allenfalls ein "gewisses Geschmäckle" (FR) daran, dass da einer fast nahtlos (mit einer Schamfrist von einem halben Jahr) aus dem Amt des Regierungssprechers in das des Chefs einer öffentlich-rechtlichen Anstalt wechselt. In der FAZ, die im vergangenen Jahr noch mit einer aufsehenerregenden Kampagne die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen ZDF gegen die allzu durchsichtigen Machtspielchen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch zu verteidigen suchte, stand über Wilhelm zu lesen: "Es mag als Contradictio in adiecto erscheinen, doch steht der Sprecher der Bundesregierung aufgrund seiner persönlichen Qualitäten in den Augen vieler offenbar in dem Augenblick, da er aus der Politik in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wechselt, jenseits der Politik."

Diplomatisches Geschick

Es geht hier wohlgemerkt nicht um die Person Ulrich Wilhelm, nicht um seine Fähigkeiten, die allenthalben gelobt werden. Es geht nicht um seine Eigenschaften wie Freundlichkeit und charmantes Wesen, die stets hervorgehoben werden. Es geht nicht um seine journalistischen Erfahrungen, nicht um das diplomatische Geschick, das ihm zugeschrieben wird, seine Fähigkeit zu vermitteln oder auch die Fairness, die ihm Journalisten allseits bescheinigen. Das alles sind gewiss Fähigkeiten, die einem Intendanten einer großen ARD-Anstalt gut zu Gesicht stehen. Es geht um das Signal, das davon ausgeht, dass ein Regierungssprecher Intendant eines der wichtigsten deutschen öffentlich-rechtlichen Sender wird. Was würde die deutsche Presse – zu Recht! - schäumen, wenn der französische Präsident Nicolas Sarkozy oder gar der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi es wagen würden, ihren Regierungssprecher zum Chef eines Staatssenders zu machen?! Der Mann könnte eine schier übermenschliche Lichtgestalt sein, er hätte keine Chance.

Die Debatte um die von Koch (angeblich mit Billigung von Angela Merkel) betriebene Entlassung von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender brachte im vergangenen Jahr das Thema Staatsferne der öffentlich-rechtlichen Anstalten wieder auf die Agenda. ARD-Obere runzelten sorgenvoll die Stirn und sprachen davon, dass Kochs Verhalten dem ganzen öffentlich-rechtlichen System schade. Von einem "Geburtsfehler" des ZDF war die Rede. Wie bei keiner anderen Rundfunkanstalt hätten es die Länder beim ZDF "verstanden, ihre Machtinteressen in Paragrafen zu gießen", schrieb NDR-Justiziar Werner Hahn (epd 17/09). Bei der ARD tat man so, als sei nur das ZDF von dieser allzu großen Nähe zur Politik betroffen. Die Personalie Wilhelm belehrt die Öffentlichkeit eines besseren. Wenn das Bundesverfassungsgericht demnächst über die Staatsferne des ZDF urteilen sollte, könnte man die ARD nach der Wilhelm-Wahl gleich daneben auf die Bank setzen, schrieb die "tageszeitung", die die Personalie Wilhelm als einzige Zeitung deutlich kritisiert hat.

Bayerische Verhältnisse

Noch bevor die Diskussion um das ZDF und Brender entbrannte, hatte der ehemalige ARD-Programmdirektor und Historiker Dietrich Schwarzkopf in der "Funkkorrespondenz" geschrieben, dass sich die ARD-Intendanten im vergangenen Jahrzehnt weitgehend von der Politisierung ihres Amtes emanzipiert hätten. Dies zeige sich unter anderem daran, dass der jetzige BR-Intendant Thomas Gruber 2002 gegen den erklärten Willen des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber gewählt worden sei. Schwarzkopf lobte die von politischen Einflüsterungen unbeeindruckte Personalpolitik, die unabhängige Persönlichkeiten wie der frühere NDR-Intendant Jobst Plog betrieben hätten; er hob aber auch hervor, das sich die Aufsichtsgremien der ARD-Landesrundfunkanstalten von parteipolitischen Interessen zunehmend freigemacht hätten.

Fast hätte man also den Eindruck gewinnen können, die Parteien hätten eingesehen, dass das überkommene Links-Rechts-Schema, das sie den Anstalten jahrzehntelang aufgezwungen hatten, nichts bringt, da es bestenfalls zur gegenseitigen Neutralisierung führt, im schlimmsten Fall aber mit einer Lähmung der Sender endet. Doch in Bayern scheinen die Uhren immer noch anders zu gehen als im Rest der Republik. Im BR-Rundfunkrat hätten die unabhängigen Mitglieder gar keine Chance, einen Kandidaten durchzusetzen, der nicht CSU-nah sei, sagte Rundfunkratsmitglied Wolfgang Stöckel (der auch Vorsitzender des Bayerischen Journalistenverbandes ist) dem epd. Und so erscheint Wilhelm in seiner verbindlichen professionellen Art und der vielgelobten Fairness auch den sogenannten Grauen im Rundfunkrat als das kleinere Übel. Wenn schon ein CSU-Mann gewählt werden muss, dann wenigstens einer, mit dem man reden kann, scheint man sich hier zu denken.

Die Gruppe derer, die Wilhelm nicht für eine glückliche Wahl halten, ist auch im Rundfunkrat eher überschaubar. Nur ein paar Vertreter der Freien Wähler, der Gewerkschaften und der Grünen kritisierten die "Klüngelei bei der BR-Intendantenwahl" und sprachen von einem "falschen Signal". In einer gemeinsamen Presseerklärung schrieben sie, die Kandidatur Wilhelms sei eine "Bankrotterklärung für die gesetzlich geforderte Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" (epd 29/10). Auch einige bayerische Landtagsabgeordnete äußerten sich kritisch. Mit Rudolf Erhard, dem Landtagskorrespondenten des BR, boten die Rundfunkräte immerhin noch einen Gegenkandidaten auf. Doch diesem werden bei der Wahl am 6. Mai wenig Chancen eingeräumt.

Staatsnähe

Die Diskussion wiederum erboste den BR-Rundfunkratsvorsitzenden Bernd Lenze, der es nicht für eine gute demokratische Gepflogenheit zu halten scheint, dass überhaupt über eine solche Personalie öffentlich diskutiert wird. Es sei "verwunderlich, in welchem Ausmaß die Frage der Wahl eines neuen Intendanten des Bayerischen Rundfunks im Landtag zu einem parteipolitischen Thema gemacht wird", äußerte er pikiert und schob gleich noch hinterher, zwei Drittel der Mitglieder des Rundfunkrats seien "völlig unabhängige Persönlichkeiten". Nun, genau dies scheint den Äußerungen anderer Rundfunkratsmitglieder zufolge nicht der Fall zu sein.

Dass ein Regierungssprecher Intendant wird, ist in der Geschichte des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks beispiellos. Klaus Bölling, mit dem Wilhelm seines politischen Talents wegen gern verglichen wird, war damals den umgekehrten Weg gegangen: Er war Intendant von Radio Bremen, bevor er unter Bundeskanzler Helmut Schmidt Regierungssprecher und Leiter des Bundespresseamts wurde. Bölling war klug genug, nicht zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurückzukehren, als er nach dem Ende der sozialliberalen Koalition sein Amt als Regierungssprecher aufgeben musste. Seit 1982 ist er freier Publizist.

Von der Wahl Wilhelms geht in der Tat kein gutes Signal aus. Die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) gehört zu den wenigen, die sich kritisch zu Wort meldeten: "Ein übergangsloser Wechsel vom Regierungssprecher zum Intendanten des BR kann nicht in Betracht kommen, wenn man es mit der Staatsferne ernst meint", sagte sie dem "Spiegel".

Mehr BR als CSU

Wilhelm wählen heißt, die Staatsnähe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Gesetze der politischen Farbenlehre zu akzeptieren und fortzuschreiben. Es soll ja nicht wenige in den Anstalten geben, die die Nähe zur Politik sogar als Garantieschein für das Überleben der öffentlich-rechtlichen Sender sehen. Amtsmüde Parteisprecher aller Couleurs dürfen sich jetzt wieder Hoffnungen machen, dass sie eines Tages mit lukrativen Posten bei öffentlich-rechtlichen Sendern belohnt werden.

Und was wird der Europarat zur Wahl Wilhelms sagen, der bereits nach der von der CDU betriebenen Ablösung von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender den zu starken Einfluss der Politik auf die Besetzung von Führungspositionen bei ARD und ZDF kritisiert hatte (epd 7/10)? Die Parlamentarische Versammlung mag zwar wenig Möglichkeiten haben, den Durchgriff der Politik auf ARD und ZDF mit Sanktionen zu belegen. Vielleicht interessiert sich aber auch der EU-Wettbewerbskommissar für die deutliche Politiknähe des BR. Vielleicht bringt diese Personalie ja auch neue Erkenntnisse für die Frage, ob die Rundfunkgebühr eine versteckte Beihilfe ist.

Bleibt das Argument der Wilhelm-Befürworter, dass das CSU-Mitglied mit seinen guten Kontakten in die Politik dafür sorgen könnte, dass der BR wieder eine wichtigere Stimme im Konzert der ARD wird. Die Berufung könne das öffentlich-rechtliche System insgesamt stärken, heißt es. Auch dieses Argument muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Denn welchen Preis haben die guten Kontakte in die Politik? Welche Zugeständnisse werden Wilhelms Parteifreunde von ihm fordern? Wird er als Intendant stark genug sein, alle Versuche, Einfluss auf das Programm zu nehmen, abzuwehren? Über Jobst Plog, der als SPD-nah galt, sollen die Genossen einst enttäuscht gesagt haben: "Der ist doch mehr ARD als SPD." Wilhelm wird nun beweisen müssen, dass er tatsächlich jenseits der Politik steht. Ein guter Intendant wird er erst sein, wenn seine Parteifreunde über ihn sagen: "Der ist doch mehr BR als CSU."

Eine Gegenmeinung zu diesem Kommentar finden Sie hier.


Diemut Roether verantwortet den Fachdienst "epd medien". Dort ist der Text in der Ausgabe 30/2010 erstmals erschienen.