Altkleider: Second Hand ist nicht mehr zweite Wahl

Altkleider: Second Hand ist nicht mehr zweite Wahl
Der Frühling naht, und mit ihm wechselt die Mode. Altkleidersammlungen haben zu dieser Zeit Hochsaison. Aber viele wissen gar nicht, was mit ihren abgelegten Klamotten eigentlich passiert. Direkt an einen Bedürftigen gehen die Stücke jedenfalls nicht: Sie werden recycelt, verkauft oder nach Afrika verschifft. Ethisch korrekte Verwertung ist keine Selbstverständlichkeit.
17.03.2010
Von Alexia Passias

Der helle Anzug von der Taufe der Tochter passt nicht mehr, das Kleid vom letzten Jahr ist out. Der Kleiderschrank platzt aus allen Nähten. Wohin mit den alten Klamotten? In die Kleidersammlung natürlich! Während Kleidungsstücke früher möglichst lange halten mussten, diktieren heute schnelllebige Modetrends den Lebenszyklus von Textilien. Kleidung ist im Verhältnis zum Einkommen immer günstiger geworden. Das Resultat: Berge an gebrauchter Kleidung, die von Jahr zu Jahr wachsen. Altkleidersammlungen allerdings werden eher mit Mildtätigkeit und weniger mit Recycling in Verbindung gebracht. Meist wird geglaubt, die Sachen gehen an Bedürftige.

Allein in Deutschland werden jährlich über 750.000 Tonnen ausrangierte Textilien gesammelt. Ein Teil der Textilien wird direkt bei Kleiderkammern, Second-Hand-Läden oder Sozialkaufhäusern abgegeben. Diese sortieren die Sachen und geben sie dann kostenlos weiter oder verkaufen sie zu sozialen Preisen. Allerdings erhalten die meisten sozialen Einrichtungen viel mehr Kleidung, als sie für ihre eigene Arbeit benötigen. Sie verkaufen daher ihre Überschüsse an Textilrecyclingfirmen. Über den weltweiten Gebrauchtkleidermarkt und die Arbeitsweise des Textilrecyclings ist wenig bekannt. Auch deshalb, weil viele Sammler – darunter auch gemeinnützige Organisationen – verschweigen oder sogar verschleiern, was tatsächlich mit der gesammelten Textilflut geschieht.

Die Wege der Kleidung durchschaubar machen

Um eine ethisch vertretbare Verwertung der gesammelten Kleider zu gewährleisten, haben sich mehrere kirchennahe Organisationen unter einem gemeinsamen Dach zusammengeschlossen. Sie wollten den Weg der Kleidung durchschaubarer machen und neue Konzepte für den Umgang mit Gebrauchtkleidung entwickeln. 1994 gründeten sie den Dachverband FairWertung. "Unser wichtigstes Ziel ist es, Transparenz zu schaffen", meint Andreas Voget, Geschäftsführer von FairWertung: "Heute können wir sagen, wohin die gesammelten Sachen gehen."

Mehr als 100 kirchennahe Organisationen wie auch nicht konfessionell gebundene Einrichtungen haben sich FairWertung angeschlossen. Sie verpflichten sich, bei der Sammlung und Vermarktung soziale und umweltverträgliche Standards einzuhalten. Dazu zählt beispielsweise: keine Namens- oder Markenlizenz an (gewerbliche) Dritte zu vergeben, die dann den Namen für ihre eigenen Sammlungen verwenden, wahrheitsgemäße Angaben über Zweck und Verwendung der Kleidersammlungen zu machen und die eingesammelte Kleidung ordnungsgemäß zu vermarkten oder zu verwerten. Ausweis dieser Haltung ist das Zeichen "FairWertung", das der Verein, der selbst keine Gebrauchtkleidung sammelt, gegen eine Lizenzgebühr vergibt.

Seit März 2010 führt der Dachverband FairWertung ein neues Logo mit dem Slogan "Bewusst handeln". Es soll einerseits deutlich machen, dass die angeschlossenen Organisationen Kleidung nach klaren Kriterien sammeln und vermarkten. Andererseits ist es gleichzeitig ein Appell, genau hinzusehen, wem man seine gebrauchte, aber noch gut erhaltene Kleidung gibt.

Brockensammlung sammelt 11.000 Tonnen Kleidung jährlich

Die Brockensammlung (Brosa) der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel gehört zu den wichtigen Trägern des Dachverbands. Ein Wort aus dem Johannes-Evangelium hat sie sich bis heute als Leitspruch bewahrt: "Sammelt die übrigen Brocken, auf dass nichts umkomme!" (Joh. 6,12). Noch heute steht der Spruch über dem Eingang. Aus dem anfänglichen Schuppen sind längst mehrere Gebäude geworden, in denen die Sach- und Kleiderspenden verwertet werden. Menschen aus ganz Deutschland und viele Kirchengemeinden unterstützen die Arbeit.

Mit jährlich rund 11.000 Tonnen gehört die Brosa zu den größten Kleidersammlern in Deutschland. Ein Teil der gesammelten Kleidung geht in die eigenen Second-Hand-Shops, der überwiegende Teil wird an Verwertungsfirmen verkauft. 85 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten zurzeit in der Brosa, darunter zehn Menschen mit Behinderung. "Die Unterstützung durch Spenden hilft uns dabei, diese besonderen Beschäftigungsverhältnisse aufrechterhalten zu können", sagt Rüdiger Wormsbecher, Leiter der Brockensammlung Bethel.

Altkleider sind ein Spiegelbild des Überflusses. "Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft, in der oftmals Dinge weggeworfen werden, die noch gut sind", meint Pastor Ulrich Pohl, Vorstandsvorsitzender der v. Bodelschwingschen Stiftungen Bethel. "Und das, obwohl die Spaltung zwischen arm und reich deutlich voranschreitet. Wo immer mehr Leute schauen müssen, wo sie günstig Sachen bekommen. Für mich sind Spenden immer ein Tauschgeschäft. Eine Spende kann eine Geldspende, aber auch eine Zeit- oder Sachspende sein. Sie vermittelt Lebenssinn und ist ein gutes Angebot für Menschen, die Gutes tun wollen."

Sammlung gibt es nicht nur gemeinnützig, sondern auch gewerblich

Auch die Förderung beschäftigungspolitischer Maßnahmen ist ein wichtiges Ziel der Brosa. "Die Frage ist, wo leistungsschwächere Menschen Arbeitsplätze bekommen. Nicht nur behinderte, sondern auch die, die auf dem ersten Arbeitsmarkt scheitern, weil sie keine gute Ausbildung haben und somit gering qualifiziert sind", sagt Pastor Pohl. "Mein Rat: Spendet gut erhaltene Kleidung. Ihr schafft damit Arbeitsplätze, nicht nur für Behinderte, und gebt bedürftigen Menschen die Chance, gut einzukaufen. Und ihr fühlt euch prächtig dabei."

Bei der Sammlung von gebrauchten Kleidern lassen sich zwei verschiedene Sammel- und Verwertungskreisläufe unterscheiden. Die gemeinnützige Sammlung von Kleiderkammern, Second-Hand-Läden und Sozialkaufhäuser, die die Textilien selber sortieren und nur ihre Überschüsse an Textilrecyclingfirmen verkaufen, um mit dem eingenommen Geld soziale Projekte zu finanzieren. Und die gewerbliche Sammlung mit Hilfe von Container- und Straßensammlungen. Die so gesammelte Kleidung wird in der Regel unsortiert an Textilrecyclingfirmen verkauft, im Vordergrund steht der finanzielle Gewinn.

Allerdings lässt sich nicht alles, was gespendet wird, auch weiterverwerten. 20 Prozent der Textilien landen im Müll. Fast die Hälfte der Kleidung taugt bestenfalls als Putzlappen oder Recyclingmaterial. 43 Prozent - immerhin etwa 1,5 Milliarden einzelne Teile - eignen sich für den Second-Hand-Verkauf. Wollte man all diese T-Shirts, Jacken, Hosen, Röcke und Kleider auf eine Wäscheleine hängen, so würde man sie von der Erde bis zum Mond spannen können. Spätestens hier wird deutlich: Die Vorstellung, das die ausrangierte Jacke morgen den Obdachlosen auf dem Marktplatz wärmt, ist unrealistisch. Die Menge der Altkleider ist einfach zu groß, um sie unkompliziert zu verteilen.

Die besten Stücke bleiben hier, der Rest geht nach Afrika

So entsteht ein globaler Handel. Der Sortierbetrieb verkauft sowohl hoch- als auch minderwertiger Textilien weiter: Die besten Stücke, die sogenannte "Creme-Ware" - etwa 12 Prozent der der gesamten Ware - landen in Deutschland und Westeuropa. Der größte Teil der Second-Hand-Kleidung geht nach Osteuropa, Afrika und den Mittleren Osten, wo eine große Nachfrage nach Gebrauchtkleidung besteht. Der Rest der Sammlungen, minderwertige Textilien für die Putzlappenherstellung, geht an Verwerter in Europa oder Asien. An diesen Artikeln ist nicht viel zu verdienen: In der Regel liegen im Sortierbetrieb die Verkaufserlöse für diese Produktgruppen unter den Ankauf- und Sortierkosten.

Hinter dem hohen Kleidungskonsum, der diesen Kreislauf erst möglich macht, verbergen sich ökologische und soziale Fragen. Nicht nur die kurzen Modezyklen sorgen für einen wachsenden Berg an Gebrauchtkleidung. Vielfach heißt es auch "Masse statt Klasse". Denn oftmals handelt es sich bei den Neukäufen um billige Textilien von minderwertiger Qualität. Schon nach kurzer Zeit werden sie wieder ausrangiert, weil sie aus der Form geraten sind. Wer beim Kauf von Textilien auf Qualität achtet, hilft, die Lebensdauer der Kleidung zu verlängern und die natürlichen Ressourcen zu schonen. Nicht zuletzt können hochwertige Stücke, wenn sie dann doch aussortiert werden, als Second-Hand-Kleidung weiterverwendet werden.

In Deutschland werden jährlich mehrere Milliarden Euro gespendet. Viele Spender erkundigen sich nach der Vertrauenswürdigkeit der Organisationen, denen sie ihr Geld geben. Sie lesen deren Rechenschaftsberichte oder achten darauf, ob die Organisation das Siegel des "Spenden-TÜV" DZI bekommen hat. Wer auch bei Kleidung ähnlich bewusst handeln möchte, kann sich zunächst nach Textilprojekten oder Kleiderkammern in der Nähe erkundigen  und dort nachfragen, wie sie die Textilien verwerten. Dass auch viele Sozialprojekte ihre Überschüsse an andere Organisationen weitergeben oder an Textilrecyclingfirmen verkaufen, ist nach Ansicht von FairWertung nicht zu beanstanden. Nur sollte ehrlich darüber informiert werden.

Second-Hand – erste Wahl

Second-Hand-Kauf hat heute nichts mehr mit Armut oder Peinlichkeit zu tun. Es gibt inzwischen eine große Angebotsvielfalt vom klassischen Second-Hand-Laden über den edlen Second-Hand-Shop für Designer-Kleider. Insgesamt ist Second-Hand salonfähig geworden. "Ich bin immer wieder überrascht, wie viele fantasievoll eingerichtete Läden es inzwischen gibt und bin selbst zum begeisterten Second-Hand-Kunden geworden", sagt FairWertungs-Geschäftsführer Voget. "Mein Rat an verantwortungsbewusste Verbraucher: Geben Sie Ihre Gebrauchtkleidung gezielt bei gemeinnützigen Einrichtungen ab, die sich auf unsere Standards verpflichtet haben. Sie fördern damit Transparenz und Fairness im Umgang mit Gebrauchtkleidung."

Eine andere Möglichkeit wäre, die Klamotten selber auf Flohmärkten zu verkaufen. Oder werden Sie kreativ: Oft reichen kleine Veränderungen an den Kleidern, um sie wieder schick zu gestalten. Auch lustige Abende mit Freunden veranstalten, um Kleidung zu tauschen, bringt oft erstaunliche Ergebnisse. Was dem einen nicht mehr gefällt, kann für den anderen durchaus sehr attraktiv sein. Besser, als die alten Sachen einfach in den Müll zu werfen, ist es allemal.

 

In unserem Team-Blog schreibt unsere Kollegin Anika Kempf darüber, wie sie ihren Kleiderschrank entrümpelt hat.


Alexia Passias ist freie Journalistin und lebt in Karlsruhe. Unter anderem arbeitet sie als Online-Redakteurin für evangelisch.de.