Kälte-Allergie: Wenn der Winter töten kann

Kälte-Allergie: Wenn der Winter töten kann
"Man wird angeschaut wie ein Monster", schreibt Yve im Internet-Forum "Urticaria-Network". Sie ist Kälterallergikerin, leidet an der sogenannten Kälte-Urtikaria. Herrschen arktische Temperaturen wie in diesen Tagen, bilden sich dicke rote Quaddeln auf ihrer Haut, die jucken und brennen. Besonders im Gesicht sei das sehr unangenehm, sagt Yve.
07.01.2010
Von Barbara Driessen

Die Kälte-Unverträglichkeit ist eine Sonderform der chronischen Urtikaria, besser bekannt als Nesselsucht. Etwa drei bis fünf Prozent der Bevölkerung seien von Nesselsucht betroffen, erläutert Nicolas Hunzelmann von der Klinik für Dermatologie und Venerologie der Universität Köln: "Und davon hat etwa jeder 50. eine Kälte-Urtikaria", schätzt er, etwa 45.000 bis 75.000 Menschen in Deutschland. Sie reagieren äußerst empfindlich auf kühle Temperaturen.

Kälteallergiker sind auch im Sommer beeinträchtigt

Und das kann sehr beeinträchtigend sein, nicht nur bei Minustemperaturen, weiß Hunzelmann. Wer vor die Tür geht, muss dick eingepackt sein. Je nach Ausprägung der Krankheit kann es nötig sein, eine Ski-Maske zu tragen, in der nur zwei kleine Löcher für die Augen frei sind. Auf einen Skiurlaub sollten Kälteallergiker besser ganz verzichten. Eine Autofahrt im Winter müssen Betroffene oft genau planen: "Am Zielort angekommen, kann ich bei Kälte erst dann aussteigen, wenn ich einen Parkplatz unmittelbar vor der Eingangstür gefunden habe", berichtet eine Betroffene im "Urticaria-Network".

Doch auch im Sommer müssen Kälteallergiker aufpassen. "Beim Konsumieren kalter Getränke oder beim Eisessen schwellen den Betroffenen die Lippen an", sagt Hunzelmann. Tiefgekühltes aus der Gefriertruhe zu holen ist ebenso problematisch wie etwa die Verdunstungskälte, die beim Joggen durch das Schwitzen entsteht. Schon das Anfassen eines kühlen Fahrradlenkers oder das Abstützen auf einem Metalltisch kann Haut-Reaktionen auslösen.

Schwimmen ohne Medikamente kann tödlich enden

Das Schwimmen ist ohne die vorherige Einnahme von Medikamenten meist tabu. Besonders gefährlich ist es, im Sommer in kaltes Wasser zu springen: "Das kann tödlich sein", sagt Hunzelmann. Denn dabei kann es zu einem sogenannten anaphylaktischen Schock kommen: Die Gefäße des Körpers weiten sich, so dass der Blutdruck abfällt, was zu einer Unterversorgung lebenswichtiger Organe führt.

Prominentestes Opfer einer Kälte-Urtikaria könnte Friedrich Barbarossa gewesen sein. Der Kaiser sprang im Juni 1190 in Anatolien nach einer gewonnenen Schlacht zur Abkühlung in einen Fluss - mit tödlichem Ausgang. Experten halten es für wahrscheinlich, dass die plötzliche Kälte in der türkischen Hitze zu einem Schockzustand mit akutem Herz-Kreislaufversagen führte.

Studien zu Antikörper-Therapie laufen

Wie eine Kälte-Urtikaria entsteht, ist noch nicht geklärt. Sicher ist nur, dass viele Patienten zusätzlich noch an einer anderen Form der Nesselsucht oder an Nahrungsmittelallergien leiden. Experten vermuten zudem, dass Infektionskrankheiten wie das Pfeiffer'sche Drüsenfieber, Masern, Windpocken, HIV oder etwa Atemwegsinfektionen eine Kälte-Urtikaria auslösen können.

"Aber ein konkreter Auslöser ist nicht bekannt", sagt Hunzelmann. Deswegen besteht die Behandlungsmethode in der Regel darin, gegen die lästigen Erscheinungen der Kälteallergie vorzugehen, also etwa gegen die Quaddeln und den Juckreiz: "Man bekämpft die Symptome und wartet darauf, dass es wieder weggeht."

Antihistaminika können in vielen Fällen helfen. In einer Studie der Berliner Charité wurde kürzlich gezeigt, dass die Mehrheit der Patienten mit einer hohen Dosis des Antihistamins Desloratadin sogar ganz symptomfrei wurde. "Bei schwer erkrankten Patienten reicht das manchmal nicht", sagt Hunzelmann. Hier könne in Zukunft möglicherweise eine Antikörper-Therapie helfen, die in Studien bereits erste positive Effekte gezeigt habe, aber noch nicht zugelassen sei.

"Was war der Auslöser? Warum ist sie jetzt weg?"

Im Durchschnitt dauert eine Kälteallergie fünf bis sieben Jahre. Manchmal heilt sie spontan nach nur ein paar Wochen wieder ab. In seltenen Fällen sind Patienten jahrzehntelang betroffen. Doch auch dann ist der Spuk irgendwann ganz plötzlich wieder vorbei. Warum das so ist, ist den Wissenschaftlern ein Rätsel: "So wie es keinen wirklich konkreten Auslöser gibt, gibt es auch keinen konkreten Grund, warum es wieder weggeht", sagt Hunzelmann.

"Zehn Jahre lang war ich belastet. Versucht habe ich fast alles, um dieser Krankheit auf die Spur zu kommen", schreibt Bernd im Internetforum, "was war der Auslöser? Warum ist sie jetzt weg? Ich weiß es nicht genau."

epd