"Zocken mit Agrarrohstoffen ist unverantwortlich"

Foto: epd-bild/Ralf Maro
Ein kleiner Junge sammelt in Chimwanza im Süden von Malawi bei einer Lebensmittelverteilung Maiskörner auf.
"Zocken mit Agrarrohstoffen ist unverantwortlich"
Der Preisanstieg bei Getreide infolge der Dürre in den USA hat eine ethische Debatte ausgelöst. Dürfen reiche Anleger von der Teuerung profitieren, während die Armen in Afrika hungern?
24.08.2012
epd
Elvira Treffinger

Der Anstieg der Getreidepreise bringt den spekulativen Finanzhandel mit Weizen, Mais oder Soja in die Kritik. "Mit ihren Wetten treiben Banken die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe und machen sich mitschuldig am Hunger in der Welt", erklärt die Organisation "Foodwatch". Einige Banken verkünden ihren Ausstieg aus dem Handel mit Agrarrohstoffen. Andere bestreiten einen Zusammenhang mit dem Hunger von fast einer Milliarde Menschen weltweit.

Neben der Landesbank Baden-Württemberg und der Deka-Bank hat sich unter anderem die Commerzbank vom Handel mit Finanzanlagen in Agrarrohstoffen verabschiedet, ohne jedoch Gründe zu nennen. An einer Diskussion über Spekulation, Preisanstieg und Hunger wolle sich die Commerzbank nicht beteiligen, sagte ein Unternehmenssprecher dem Evangelischen Pressedienst. Da müsse erst noch mehr Forschung ins Land gehen.

Allianz verteidigt ihre Geschäfte

Die Commerzbank gilt nicht als großer Player im Agrarhandel. Das sind in Deutschland vor allem der Versicherungskonzern Allianz, der rund 6,2 Milliarden Euro in Agrarrohstoffen verwaltet, und die Deutsche Bank, deren Agrar-Investments ähnlich hoch geschätzt werden. Die Deutsche Bank sagte eine Prüfung zu und will vorerst keine neuen Finanzprodukte zu Lebensmitteln herausgeben.

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Die Allianz verteidigt dagegen ihre Geschäftspolitik im Agrarhandel. "Wir sagen, dass es falsch ist, aus dem Markt zu gehen", erklärt Firmensprecher Nicolai Tewes. Termingeschäfte (Futures) bildeten die erwartete Preisentwicklung ab und versorgten die Agrarbranche mit Kapital. Ohnehin sei kein Geld von Versicherten in solchen Finanzprodukten angelegt, sagt Tewes.

Die Kunden für Vermögensanlagen sind nach seinen Worten vorwiegend institutionelle Anleger wie Pensionsfonds. Sie seien nicht an kurzfristigen Gewinnmitnahmen interessiert, sondern an langfristigen stabilen Erträgen. Agrarrohstoffe machten nur einen winzigen Teil am Portfolio aus. Gegen eine stärkere Regulierung würde sich der Konzern nicht sperren. Man werde "alles unterstützen, was die Manipulation von Preisen unterbindet", sagt Tewes.

Oxfam: Spekulation verstärkt Preissprünge

Ob die Spekulation mit Agrarprodukten zum Preisanstieg beiträgt, ist in der Branche umstritten. Einige Broker und Ökonomen bestreiten dies. Andere betonen, dass die zusätzliche Nachfrage von Börsianern nach Weizenkontrakten kurzfristig die Teuerung anheizt, weil zum Beispiel Getreidehändler ihre Waren horten. Für Hilfswerke wie Oxfam ist klar: "Zocken mit Agrarrohstoffen ist unverantwortlich und gefährdet die Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln."

Zwar sei die Spekulation nicht die Ursache des Hungers, räumt der Oxfam-Agrarexperte Frank Braßel ein. Aber sie verstärke die Preissprünge, wie jetzt, wo in den USA eine große Dürre herrsche. "Und das kann schon für Millionen Menschen Hunger bedeuten." Braßel denkt an die Armen in Afrika, die auf Weizen-Einfuhren angewiesen sind. Wenn Familien 80 Prozent ihres Einkommens für Essen ausgeben müssen, können sie einen Preisanstieg um 30 oder 50 Prozent wie derzeit kaum verkraften.

Soll der Handel reguliert werden?

Auch in der UN-Ernährungsorganisation (FAO) und im Bundeslandwirtschaftsministerium werden die stärkeren Agrarpreisschwankungen zum Teil auf Finanzmarkt-Aktivitäten zurückgeführt. Braßel beklagt eine "völlig überzogene Spekulation" mit Rohstoffen, die allein auf die Mehrung des Finanzvermögens abziele, aber mit der Landwirtschaft nichts mehr zu tun habe. Ein Grund sei die Liberalisierung der Finanzmärkte um die Jahrtausendwende. Die Hilfswerke fordern eine Regulierung. Selbst Entwicklungsminister Dirk Niebel, obwohl von der FDP, möchte wenigstens den Handel mit Agrarrohstoffen auf die Börsen beschränken: "Damit Transparenz hergestellt wird."

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Der Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH, Thorsten Polleit, hält Einflüsse des Finanzmarkts auf Lebensmittelpreise für gegeben, die man alllerdings nicht überbewerten dürfe. "Die Kernursache sehe ich nicht im Handel mit Agrarrohstoffen, sondern in der inflationären Geldpolitik diesseits und jenseits des Atlantiks", sagt Polleit, der auch Honorarprofessor an der privaten Hochschule "Frankfurt School of Finance & Management" ist. Zur Bekämpfung der Finanzkrise weiteten die Zentralbanken die Geldmenge zu stark aus und spülten zuviel Liquidität in die Wirtschaft.

Diese "zerstörerische Politik" führe zu Inflation. Investoren suchten daher Anlagen, die vor Geldentwertung geschützt seien. Da böten sich Metalle oder Agrarrohstoffe an. "So unliebsam ein kurzfristiger Preisauftrieb durch Überschussliquidität ist, er regt natürlich eine Ausweitung der Produktion an", ist Polleit überzeugt. Dann würden langfristig die Preise auch wieder sinken. Eine Regulierung des Finanzmarkts lehnt er ab: "Ich stehe jeder Art von staatlichem Eingreifen in das Marktgeschehen skeptisch gegenüber."