Schiffsunglück: Im Zweifel war's der Kapitän

Schiffsunglück: Im Zweifel war's der Kapitän
Sechs Tote, 60 Verletzte, derzeit noch mindestens 16 Vermisste und ein gesunkenes Kreuzfahrtschiff: Die Bilanz des Unglücks vor der italienischen Küste ist verheerend. Wie konnte es dazu kommen?
16.01.2012
Von Thomas Östreicher

450 Millionen Euro hat das Vergnügungsschiff gekostet. Mit einer Länge von 290 Metern (21 Meter mehr als die legendäre "Titanic") bot die "Costa Concordia" in rund 2000 Kabinen Platz für 3200 Passagiere und mehr als 1000 Beschäftigte. Erst vor fünf Jahren in Betrieb genommen, war das "Traumschiff" auf dem neuesten Stand der Technik.

Doch alle Hightech hat nicht verhindert, dass die "Costa Concordia" am vergangenen Freitagabend nur 150 Meter von der Hafeneinfahrt der Isola del Giglio entfernt in flachem Wasser auf Grund lief - zu flach für ein Schiff mit gut acht Metern Tiefgang.

Wie konnte es dazu kommen? Manche Medien sprechen bereits vom "Totalversagen des Comandante Schettino". Kapitän Francesco Schettino soll die zuständige Hafenkommandantur von Savona zu spät informiert, die Havarie sogar als simple "technische Panne" heruntergespielt haben. Zu schnell sei er gefahren und zu nah an den unterirdischen Granitfelsen und habe sich obendrein an Land per Taxi abgesetzt, trotz mehrfacher telefonischer Aufforderung, zurückzukommen.

Der Kapitän ist "Master next God"

Wie es wirklich war, weiß im Moment noch niemand. Fest steht, dass der "Voyage Data Recorder" genannte Schiffsdatenschreiber unversehrt geborgen wurde. Dessen Auswertung ist von zentraler Bedeutung, bestätigt Ulrike Windhövel vom Cuxhavener Havariekommando: "Solange die Blackbox noch nicht sorgfältig untersucht ist, wird man dazu nichts Vernünftiges sagen können."

[listbox:title=Boommarkt Kreuzfahrten[Kreuzfahrten sind bei den Deutschen beliebter denn je: Nach Angaben des Deutschen Reiseverbands (DRV) buchten 2010 mehr als 1,6 Millionen Deutsche (2009: 1,02 Millionen) eine Hochsee- oder Flusskreuzfahrt – 1,2 Millionen machten davon die Reise auf dem Meer. Insgesamt betrug der Umsatz 2,1 Milliarden Euro (2009: 1,9 Milliarden Euro). Bis 2015 rechnet die Branche mit jährlichen Zuwachsraten von elf Prozent mehr Gästen, 2011 ist sie nach Schätzungen des DRV um weitere zwölf Prozent gewachsen. Das Potenzial in Deutschland wird als besonders hoch eingeschätzt: Bisher machen nur 1,5 Prozent der Bundesbürger eine Seereise - in Großbritannien sind es drei und in den USA sogar fünf Prozent.]]

Die gemeinsame Einrichtung des Bundes und der Küstenländer ist seit neun Jahren für das Unfallmanagement auf Nord- und Ostsee zuständig. Dass ein Schiffsführer einsame Entscheidungen treffe, sei nicht ungewöhnlich, heißt es dort: "Es gibt den Spruch 'Master next God', der Kapitän kommt gleich hinter dem lieben Gott."

Der Kapitän entscheide allein und sei allein verantwortlich, auch juristisch. "Selbst wenn er einen Lotsen nimmt - der berät ihn zwar, aber die Verantwortung bleibt beim Kapitän." Und was, wenn seine Crew einem Befehl widerspricht? "Vielleicht fanden sie auch alle, das kann man so machen. Wissen wir ja nicht", sagt Ulrike Windhövel im Gespräch mit evangelisch.de. Es sei immerhin auch denkbar, dass die Steuerung komplett ausgefallen oder das Ruder ausgefallen ist.

"Ich frage mich allerdings: Ist er vielleicht auch vorher schon mal so gefahren?" Italienischen Presseberichten zufolge soll tatsächlich ein ehemaliger "Costa"-Kapitän in früheren Jahren Schaulustige am Hafen gegrüßt haben, wofür sich der Bürgermeister der Küstenstadt Giglio 2008 sogar brieflich bei ihm bedankt haben soll.

Schiffsdaten garantieren keine Aufklärung

Gemäß internationalem Seerecht hat jedes Land eine Behörde, die die technischen Abläufe an Bord untersucht, wenn es zu einem Unfall kam. In Deutschland ist das die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung in Hamburg. Auch deren Direktor Jörg Kaufmann unterstreicht die Bedeutung des Schiffsdatenschreibers, der seit einigen Jahren an Bord aller Seeschiffe ab einer bestimmten Größe vorgeschrieben ist.

Eine Ausrede nach dem Motto "Ich dachte, dort ist es tief genug" ist damit hinfällig, sofern der Schiffsführung alle relevanten Informationen zur Verfügung standen. Die Aufzeichnungen sämtlicher Sensordaten, ausgewählter Maschinen- und Ruderdaten, außerdem der über Funk und an Bord geführten Gespräche garantierten allerdings nicht, dass es gelinge, den Hergang aufzuklären.

"Man kann zwar mit dem Schiffsdatenschreiber nachvollziehen, was auf dem Schiff passiert ist - eine Kursänderung, eine Geschwindigkeitsänderung und so weiter. Was man aber nicht daran ablesen kann, ist die Absicht, die dahinter stand", erklärt Hoffmann gegenüber evangelisch.de. Warum der Kapitän, der Lotse, der Erste Offizier oder im technischen Bereich der verantwortliche Ingenieur eine Maßnahme veranlasst habe, verrate die Blackbox nicht - es sei denn, das gehe aus den Brückengesprächen hervor.

"Wenn das eine Entscheidung war, die sich nur im Kopf des Kapitäns oder des Wachoffiziers abgespielt hat, weiß ich darüber nichts, wenn ich nicht den jeweiligen Zeugen dazu befragt habe. Darum ist es für uns auch immer wichtig, neben der Auswertung der Aufzeichnungen mit den Handelnden zu sprechen, um zu verstehen, wie deren Sicht der Dinge war und was sie beabsichtigten."

Die meisten Unfälle produziert der Mensch

Eine Entscheidung des Kapitäns infrage zu stellen, ist an Bord jedenfalls unüblich, erläutert Kaufmann. "Der Kapitän hat das Sagen. Und wenn er eine Entscheidung trifft, dann gilt die. Wenn er offensichtlich auf Land zufährt, wird natürlich der Wachoffizier einschreiten und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen. Aber wenn der Kapitän vorgibt, in einem bestimmten Abstand zur Küste zu fahren, dann wird das erst mal so gemacht."

Kaufmann findet es ebenfalls "noch zu früh zu sagen, was zum Unfall der Costa Concordia geführt hat. Dazu muss man noch einiges an zusätzlichen Informationen einsammeln." Nach seiner Erfahrung werde etwa ein Jahr vergehen, bis ein technischer Abschlussbericht vorliegt, auch wenn Staatsanwaltschaft und Strafverfolgungsbehörden bei ihrem Verfahren sehr viel schneller seien.

"Bei der Seeunfalluntersuchung wird sicherlich auch eine Rolle spielen, welcher Schaden entstanden ist und ob es Verbesserungsmöglichkeiten gibt, damit sich das Schiff zum Beispiel nicht so auf die Seite legt. Das nimmt mehr Zeit in Anspruch als die Strafverfolgung." Am Ende sind die Schiffsunfallberichte öffentlich im Internet einsehbar.

Die häufigsten Ursachen für unabsichtliche Schiffshavarien? "Etwa 75 bis 80 Prozent der Unfälle gehen auf den Faktor Mensch zurück." Die Reederei Costa Crociere beziffert den aktuellen Schaden allein durch Umsatzausfälle auf 85 bis 95 Millionen Dollar. Die Aktien des US-Kreuzfahrtspezialisten und weltweiten Marktführers brachen an der Londoner Börse mit zweistelligen Prozentsätzen ein.

mit Material von dpa

Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.